Kolumne am Mittag Morddrohungen bei «GNTM» – diese Schuld trägt der Sender am Eklat

Von Jennifer Furer

22.5.2020

Die 24-jährige «GNTM»-Finalistin stieg im Finale freiwillig aus.
Die 24-jährige «GNTM»-Finalistin stieg im Finale freiwillig aus.

Instagram/lijana.gntm2020.official

Polizeischutz und Morddrohungen: Die 24-jährige Lijana sorgte beim «GNTM»-Finale für einen Schocker. Sie stieg freiwillig aus dem Rennen um den Topmodel-Titel aus. Die Reaktion des Senders überrascht.

«Wieso gehen manche Menschen so viel grosszügiger mit Hass um als mit Liebe?», fragt Lijana am Ende ihres Personality-Walks im «Germanys Next-Topmodel»-Finale am Donnerstagabend. «Ich kann den Hass in mir so gross machen, wenn ich ihm nur genügend Futter gebe. Aber ich werde den Hass nicht füttern», sagt die 24-Jährige weiter. «Meinen Wert kann nur ich festlegen – und nicht Hater und Menschen, die mich nicht kennen. Menschen, die mich nur verlieren sehen wollen.»

Die Gastgeber wirken überrascht. Lijana fährt fort: «Ich möchte nicht mehr das Futter sein für noch mehr Hass. Denn ab jetzt höre ich nur noch auf mein Herz. Deshalb verzichte ich auf das Finale. Love always wins und mein Sieg ist Glückseligkeit.»

Die Worte von Lijana lassen aufhorchen. Ihr Ende bei «GNTM» ist kein Aufgeben, kein Sieg für die Mobber. Es zeigt Stärke und den Willen, über sich selbst bestimmen zu dürfen und nicht das zu tun, was andere verlangen. 

Den Mut von Lijana wünscht man jeder jungen Frau, die in einer Welt aufwächst, in der Frauen immer noch um ihre Stellung kämpfen müssen und in der Social-Media-Bewertungen eine grössere Rolle spielen als die eigene Gesundheit.

Was der 24-Jährigen in der vergangenen Woche widerfahren ist, geht zu weit. Was mit Hassbotschaften im Internet begann, endete in Morddrohungen. Menschen lauerten Lijana auf, sie wurde bespuckt und in ihrem Garten wurden Giftköder ausgelegt mit dem Ziel, ihren Hund zu vergiften. «Deshalb brauche ich jetzt sogar Polizeischutz», so Lijana zur «Bild»-Zeitung.



Lijanas Schicksal ist ein krasses Beispiel dafür, wie tief Mobbing in unserer Gesellschaft verankert ist. Wir werden in einer Welt sozialisiert, in der sich viele Menschen, das Recht herausnehmen, andere Menschen zu beurteilen – und folglich zu verurteilen. 

Wir tun es oft und fast überall: in der Schule, bei der Arbeit, im Verein, beim Einkaufen, in der Disco. Wer sich nicht so verhält, wie es sich in der Gesellschaft vermeintlich gehört, wird zur Zielscheibe von Schikane, Qualen und Verletzungen. Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken.

Dafür verantwortlich sind auch Sender wie Pro7, die Mobbing durch ihre Fernsehshows eine Plattform geben. Sie betreiben eben nicht nur Unterhaltung. Welche Werte und welcher Umgang in Unterhaltungssendungen vorgelebt werden, prägt die Einstellungen und damit das Handeln – besonders jenes der jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauer. Sie lernen durch diese Shows, was in der Welt der Erwachsenen als normal gilt und was nicht.

Vordergründig engagiert sich Pro7 gegen Mobbing – auf den Social-Media-Kanälen, durch Werbespots und mit der Kampagne «Share Respect. Not Hate». Doch der Sender lebt auch von negativen Emotionen und deren Bewirtschaftung. In Shows wie «GNTM» werden diese meist unkommentiert stehen gelassen. Manchmal geht der Sender sogar mit schlechtem Beispiel voran, indem er die Models selbst an den Pranger stellt.

So etwa in der Social-Media-Episode, in der Journalist und Moderator Christian Düren den «GNTM»-Kandidatinnen aufgrund eines Gespräches im Rahmen eines Interviewtrainings einen Hashtag zugeschrieben hat – darunter waren #nopersonality, #fake, #barbie, #zicke. Diese Zuschreibung mussten die Models bei einem Walk um ihren Hals tragen. 

So wird dem Publikum vermittelt, dass junge Frauen auf ein Wort reduzierbar sind, dass ihre Fähigkeiten sowie Leistungen nicht im Vordergrund stehen und dass Menschen sich aufgrund eines Gesprächs Urteile erlauben dürfen.

Genau hier könnten Fernsehsender wie Pro7 eingreifen und bewirken, dass die Gesellschaft sensibilisiert wird. Der Fernsehsender ist für ein Umdenken prädestiniert – gerade eben, weil er sich gegen aussen als moralisches Vorbild präsentiert. So zeigt er sich etwa in den sozialen Medien als Kämpfer gegen Rassismus, Sexismus oder den Klimawandel.

Auch ein klares Statement von Heidi Klum würde dazu beitragen, dass Mobbing nicht kommentarlos stehen gelassen wird. Nach dem Ausstieg von Lijana aus dem Finale fokussierte sie erneut auf Lijanas scheinbar negatives Verhalten, statt auf jenes der Mobber. «Lijana, du hast definitiv polarisiert in dieser Staffel», sagte sie. «Ich finde es schade, dass du jetzt aussteigst.»

Dann aber legte Heidi nach: «Was dir passiert ist, geht auf jeden Fall zu weit. Du bist ein ganz tolles Mädchen, hast einen tapferen Auftritt hingelegt und bist sehr mutig.»

Am Ende der Sendung fand sie noch deutlichere Worte: «Eine Sache, die liegt mir noch auf dem Herzen und die möchte ich noch loswerden: Hört bitte auf, euren Hass abzulassen – angefangen im Internet bis zur Presse, egal, ob ihr die Person kennt oder nicht. Es passieren so viele scheiss Sachen auf der Welt gerade. Ich bitte um mehr Toleranz, weniger Hass und Missgunst.»


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