Sprachpfleger Redensarten sind nicht das Gelbe vom Ei

Von Mark Salvisberg

13.12.2021

War es das frühe Huhn, das den Wurm fängt, oder der frühe Vogel? Egal!
War es das frühe Huhn, das den Wurm fängt, oder der frühe Vogel? Egal!
Bild: Getty Images / EyeEm

Sind Parlamentsmitglieder fleissig wie die Bienen? Sitzen sie im stillen Kämmerlein und bohren dicke Bretter? Immer wieder werden wir von alten Floskeln zum Schwafeln verleitet. Das nervt den Sprachpfleger.

Von Mark Salvisberg

Einst stiess ich auf folgenden Satz, der in seiner gewollt wahnhaften Blumigkeit kaum zu überbieten ist: «Der Zahn der Zeit wird deine Tränen trocknen und Gras über deine Wunden wachsen lassen.» Was so ein Zahn alles können soll, wenn er nicht gerade nagt. Das Schlimme ist, dass man trotzdem «irgendwie weiss», was damit gemeint ist. Vielleicht deshalb wuchern Redensarten, oder noch schlimmer: Floskeln, ungehindert weiter.

Ein Aufschrei

Schon vor Jahren erhob der bekannte Journalist Jean-Martin Büttner zu Recht seine Feder, und aus ihr spritzte jede Menge Gift gegen Redensarten und seine Fürsprecher.

Sein Credo: Wer diese verwende, könne nicht schreiben, man möge doch das Hirn anstrengen und etwas Eigenes formulieren. Die immergleichen Wendungen haben ihn also auf die Palme ... Pardon: in Rage gebracht. Der «Wirtschaftsmotor stottert»? Irgendwer «führt etwas im Schilde»? Jeden Tag lässt man sich aufs Neue von diesen nichts (mehr) sagenden Bildern langweilen.

Wie praktisch, dass jemand «vorgedacht» hat

Seien wir ehrlich, bei jedem Starkregen, jeder Überschwemmung fällt der vereinigten Medienlandschaft nichts Kreativeres ein, als von «sintflutartigen Regenfällen» zu berichten. Das kommt ihr gelegen, denn die Formulierung ist servierbereit, hunderttausendfach «bewährt». Dabei würde man mit Vorteil von gewaltigen Regenfällen oder immensen Niederschlägen sprechen, meinetwegen von Jahrhundertregengüssen.

Wird etwas oft wiederholt, erscheint garantiert der Ausdruck gebetsmühlenartig, und wenn etwas nicht das Ende ist, ist es nicht das Ende der Fahnenstange. Doch sind Redensarten wirklich so schlecht, sollte man nicht besser die Kirche im Dorf lassen? Ich will nicht päpstlicher sein als der Papst, aber die richtig schlechten Wendungen – wie soeben genannt – sollten vermieden werden, diejenigen, die man stetig nachplappert, deren Inhalt aber einem ein Rätsel ist.

Wer weiss so etwas heute noch?

«Mir graut besonders vor Redensarten militärischer Herkunft. Wenn jemand aufgibt, heisst es stets, er werfe die Flinte ins Korn. Dieses Wort ist entstanden, weil Söldner einst bei Gefahr ihre Gewehre in ein Getreidefeld warfen, um nicht als feindliche Kämpfer erkennbar zu sein. Das haben sie von der Pike auf gelernt: Die Pike war eine Art Spiess, junge Soldaten wurden damit als Erstes bewaffnet (deshalb heisst es auch gepikst, nicht «gepiekst»).

Im 18. Jahrhundert erhielten Soldaten bei ihrer Entlassung aus dem Militärdienst den sogenannten Laufpass, ihr offizielles Entlassungsdokument. Auch darunter kann sich heute kaum jemand etwas vorstellen. Nur komisch, dass junge Leute, die von ihrer/ihrem Angebeteten den Laufpass bekommen, sich nie fragen: Ja was heisst denn das überhaupt?

Vermeiden Sie Floskeln. Wer so textet, dem sollte man die Leviten lesen.


Zur Person: Mark Salvisberg war unter anderem als Werbetexter unterwegs. Der Absolvent der Korrektorenschmiede PBS überarbeitet heute täglich journalistische Texte bei einer Tageszeitung.