Bötschi fragt Rosa von Praunheim: «Katholische Priester müsste man outen»

Von Bruno Bötschi, Berlin

24.4.2019

Filmemacher Rosa von Praunheim über das Sterben: «Den Tod fand ich schon immer aufregend. Wenn man jünger ist, ist ja noch ein gewisser Abstand zum Sterben da, deshalb kann man radikaler und freier damit umgehen, noch mehr darüber scherzen.»
Filmemacher Rosa von Praunheim über das Sterben: «Den Tod fand ich schon immer aufregend. Wenn man jünger ist, ist ja noch ein gewisser Abstand zum Sterben da, deshalb kann man radikaler und freier damit umgehen, noch mehr darüber scherzen.»
Bild: Keystone

Der Filmregisseur Rosa von Praunheim, heute 76, hat für manchen Skandal gesorgt, etwa als er Hape Kerkeling outete. Ist er zahmer geworden? Depressionen, Sterbehilfe, Sex – es gibt nichts, über was man mit ihm nicht reden könnte.

Seine Wohnung in Berlin. Ein Altbau. Hohe Wände, bunt und gemütlich zusammengewürfelte Möbelstücke, an den Wänden Plakate der eigenen Filme. Auf dem schwarz bezogenen Sofa bunte Plüschtiere. Daneben zwei grosse weisse Tafeln auf denen mit akkurater Schrift die Termine für sein nächstes Filmprojekt notiert sind.

Schrill, schräg und schonungslos: Rosa von Praunheim ist kein Mann der leisen Töne. Sein Leben und filmisches Werk hat er dem Kampf für die Rechte von Homosexuellen gewidmet.

«Hallo Freaks, Filmfreunde und Perverse», schreibt er auf seiner Internetseite, «ich war weltweit einer der Ersten, der nach dem Zweiten Weltkrieg einen politischen Schwulenfilm gemacht hat und sage in Bescheidenheit, dass ich wohl der produktivste Schwulenfilmer dieser Erde bin.»

Fleissig ist von Praunheim auf jeden Fall. Er hat in seinem Leben über 140 Filme gedreht (und tut es mit 76 auch weiterhin), hat endlose Talkshows, viele Bücher, Hörspiele und Theaterstücke produziert.

Der Journalist hat die Hoffnung, dass alles, was er an diesem Nachmittag sagen wird, schon deshalb lustig oder frech ist, weil er es sagt. Na dann: los!

Herr von Praunheim, ich stelle Ihnen in den nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen. Und Sie antworten möglichst kurz und schnell. Wenn Ihnen eine Frage nicht passt, sagen Sie einfach «weiter».

Schiessen Sie los.

Anfang Mai erhalten Sie in Zürich den Pink-Apple-Festival-Award 2019. In der Einladung stellen die Organisatoren des schwul-lesbischen Filmfestivals Sie als Filmemacher, Schwulenaktivist, Autor und Bürgerschreck vor. Finden Sie auch, dass Sie ein Bürgerschreck sind – sind Sie gar ein schrecklicher Bürger?

Ach, das ist doch schon lange her. Als wir 1971 in Deutschland die Schwulenbewegung gegründet haben, war das ein grosser Skandal. Viele regten sich damals über uns, über mich auf. Ich galt als Provokateur – aber wie gesagt: Das ist lange her.

Mit was haben Sie die Bürgerinnen und Bürger am meisten erschreckt?

Was sicher erschreckt hat, war 1971 mein kontroverser Film «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt». Der Film wurde zuerst verboten, dadurch gab es viel Presse. Später wurde er im Fernsehen gezeigt. Damals gab es in Deutschland nur drei TV-Programme, die Aufmerksamkeit war entsprechend gross. In der Presse war ich zudem 1991, als ich Hape Kerkeling und Alfred Biolek im Fernsehen öffentlich outete.

Bereuen Sie etwas?

Tja, das mit dem Outing war so eine Sache ... Nach meinem TV-Auftritt wandten sich Menschen gegen mich, die davor Pro-Outing waren. Das fand ich sehr traurig. Und es gibt eine Sache, die ich wirklich bereue: Anfang der 1990er Jahre gründeten wir in Berlin das schwule Fernsehen. Irgendwann wurde RTL auf uns aufmerksam. Der TV-Sender produzierte damals bereits das «Weibermagazin» mit Hella von Sinnen und plante eine Pilotsendung mit uns. Ich weilte damals gerade in der Schweiz auf der Premiere einer meiner Filme und wurde von einem Journalisten gefragt, warum RTL unser schwules Fernsehen finanzieren wolle. Ich antwortete: «Wenn es Quote bringt, würden die auch ein Bibel- oder ein Neonazi-Magazin realisieren.» Irgendwie kam meine Antwort den RTL-Chefs zu Ohren – und sie wurden wütend. Damit war die Chance, ein schwules Magazin für ein grösseres Publikum zu realisieren, fürs Erste leider gestorben.

Auf Ihrer Internetseite steht der Satz: «Manche bezeichnen mich als beliebtesten schwulen Filmregisseur Deutschlands, manche als den unbeliebtesten». Welche Bezeichnung ist Ihnen lieber?

Natürlich kann ein Skandal helfen, die Leute ins Kino zu locken. Seit der Outing-Geschichte Anfang der 1990er Jahre gab es jedoch keine grösseren Kontroversen mehr um mich oder um meine Filme. Ich freue mich vielmehr, wenn ein Film beim Publikum ankommt – so wie mein letzter Film «Männerfreundschaften», der viele positiven Kritiken erhalten hat.

Wieso gingen Sie nie in die Politik?

Dazu bin ich nicht diplomatisch genug. Politiker müssen zu allen nett sein, das bin ich nicht. Aber ich bewundere Politiker, wie sie all diese Kontroversen und Anfeindungen aushalten.

Wo bewahren Sie eigentlich Ihr Bundesverdienstkreuz auf?

Mein Freund Oliver verwahrt es in seinem Schliessfach.

Rosa von Praunheim über Sex: «Das Schreckliche ist, dass die Kirche die Sexualität verteufelt hat. Fast alle Religionen normieren, kritisieren die Sexualität. Es ist furchtbar, wie viel Schuldgefühle den Menschen deswegen eingeprägt werden.»
Rosa von Praunheim über Sex: «Das Schreckliche ist, dass die Kirche die Sexualität verteufelt hat. Fast alle Religionen normieren, kritisieren die Sexualität. Es ist furchtbar, wie viel Schuldgefühle den Menschen deswegen eingeprägt werden.»
Bild: zVg

Was wollten Sie als Zehnjähriger werden?

Das weiss ich nicht mehr. Meine Familie flüchtete gerade von Ost- nach Westdeutschland. Ich war schlecht in der Schule und schlecht in praktischen Dingen, insofern gab es wenig Aussicht auf einen guten Job. Ich habe zu jener Zeit bereits viel geschrieben und gemalt, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass Maler oder Autor ein Beruf sein könnte.

Sein Gesichtsausdruck: Er kann zwischen topfreundlich und ziemlich angewidert hin- und herschalten. Jetzt, nach den Jugendfragen: Tendenz gelangweilt. Und man hat den Eindruck, dass er etwas müde ist an diesem Nachmittag. Na dann: auf zu den Sex-Fragen!

Das zweite Buch, das ich von Ihnen gekauft habe, trägt den Titel: «Gibt es Sex nach dem Tod?». Es ist 1981 erschienen. Sie waren damals 39. In diesem Alter wollen die meisten Menschen nichts mit dem Tod zu tun haben.

Mit dem Tod setzte ich mich schon früh auseinander. Mit 20 inszenierte ich zusammen mit einigen Kommilitonen meine Beerdigung. Den Tod fand ich schon immer aufregend. Wenn man jünger ist, ist ja noch ein gewisser Abstand zum Sterben da, deshalb kann man radikaler und freier damit umgehen, noch mehr darüber scherzen.

In Ihrem Todes-Buch entwerfen Sie eine Art Jenseits, in dem die Verstorbenen sich ihre sexuellen Wünsche erfüllen dürfen. Man konnte meinen, die Sexualität sei für Sie zu einer Art Religion.

Die Sexualität ist die Wurzel von allem. Ohne Sex würde die Menschheit nicht existieren. Das Schreckliche ist, dass die Kirche die Sexualität verteufelt hat. Fast alle Religionen normieren, kritisieren die Sexualität. Es ist furchtbar, wie viel Schuldgefühle den Menschen deswegen eingeprägt werden. Dabei ist Sex doch eine lebenserzeugende, kraftvolle Angelegenheit.

Wann hatten Sie das erste Mal Sex?

Mit 19 hatte ich zum ersten Mal Sex mit einer Frau, kurz danach mit einem Mann.

Robbie Williams sagte einmal, Männer sähen beim Orgasmus aus wie Gewichtheber mit Verstopfung. Wahr oder nicht?

Mein Freund Frank Ripploh hat etwas Ähnliches gesagt. Der 2002 verstorbene Regisseur war eine sehr witzige Tunte. Ripploh beobachtete öfters die Mimik seiner Partner, wenn er Sex hatte und amüsierte sich köstlich dabei. Sex haben, das ist ein unkontrolliertes Gefühl und gleichzeitig etwas Wunderschönes. In der Gesellschaft werden wir sonst ständig gezwungen, uns zu kontrollieren.

Was empfinden Sie beim Sex?

Das kommt auf den Partner und die Gelegenheit an. Es gibt Tausend verschiedene Arten von Sex. Besonders für einen schwulen Mann, der sich viel mehr Freiheiten nimmt als ein heterosexueller Mann. Männer untereinander gehen mit weniger Distanz aufeinander zu. Das ist das Schöne am Schwulsein, dass eigentlich jeder die Gelegenheit hat, Sex zu haben. Ich rede jetzt nicht von Liebe, Beziehung oder Nähe, das ist etwas völlig anders, aber Sex ist für Schwule relativ leicht zu bekommen.

Was macht viele Menschen so vernünftig?

Der Mensch wird früh darauf trainiert, sich anzupassen. Ich als Künstler hatte jedoch Interesse an Kunst und deshalb war mir das Unangepasste, das Individualistische immer wichtig. Woher das kommt, weiss ich nicht, weil ich sozusagen als Findelkind zu Adoptiveltern gekommen bin und deshalb wenig über meine leiblichen Eltern sagen kann. Ich weiss nur, dass ich mich als junger Mensch mit meinen Interessen oft allein fühlte. Die meisten anderen interessierten sich für Sport, Technik oder irgendwelche Wissenschaften.

Sich entschuldigen – können Sie das?

Heute bin ich darin besser als früher.

Müssten Sie sich noch bei jemandem entschuldigen?

Nein – aber ich habe meine Mutter, die ich sehr geliebt habe und die am Ende ihres Lebens mehrere Jahre bei mir wohnte, oft geärgert. Einmal sassen wir im Garten, und ich habe sie geknufft und gehänselt. Irgendwann lief ein fremder Mann vorbei und schimpfte, warum ich meine Mutter ständig ärgern würde. Ich schämte mich damals wahnsinnig.

Sie erfuhren erst mit 58, dass Sie adoptiert wurden. Wie war das?

Ich fand das toll und abenteuerlich. Meine Mutter fürchtete sich jahrelang davor, es mir zu sagen, weil sie dachte, ich würde ihr die Adoption übelnehmen. Das Gegenteil war der Fall: Meine Mutter hat mich aus einer Kriegssituation gerettet. Meine Eltern haben mich wunderbar beschützt und mir ein tolles Leben geschenkt, das ich sonst nicht gehabt hätte.

Wie oft wurden Sie in Ihrem Leben verprügelt?

Niemals. Ich bin ein paar Mal sitzengeblieben in der Schule. Deshalb war ich meist grösser als meine Mitschüler.

Jetzt glaubt man ihm komischerweise gar nicht. Er guckt unschuldig wie ein Neunjähriger – die ja bekanntlich ziemlich lieb lügen können.

Haben Sie je zugeschlagen?

Nein. Aber ich kann mich erinnern, dass ich einmal derart wütend wurde, einen Mitschüler am Kragen packte und ihm Prügel angedrohte. Wenn ich Regie führe, bin ich eigentlich auch eher der sanfte Typ. Aber es gab seltene Momente, in denen die Dreharbeiten nicht gut liefen, da hat sich in mir eine grosse Wut angesammelt, und ich schrie von einer Sekunde auf die andere los. Komischerweise nützte mein Schreien, weil alle Beteiligten derart erschrocken sind – die Zusammenarbeit am Set funktionierte danach viel besser.

Gibt es einen Art Generalmotto, mit dem sich Ihr künstlerischer Prozess erklären liesse?

Oh Gott! Natürlich werde ich immer im Zusammenhang mit schwulen Filmen genannt. Ich bin sicher der Filmer, der weltweit am meisten schwules Leben und schwule Politik dokumentiert hat. Auf der anderen Seite arbeitete ich auch oft mit älteren Frauen, habe sie zu Stars gemacht – Lotti Huber zum Beispiel oder meine Tante Lucy. Starke, ältere Frauen interessieren mich seit jeher, ihr Selbstbewusstsein zieht mich an. Aber ich habe auch viele Filme über soziale Themen gedreht.

Viele schwule Regisseure haben Frauen zu Protagonisten gemacht – Fassbinder, Pedro Almodóvar, Sie auch. Wieso?

Ich glaube, das hat mit der weiblichen Identifikation zu tun. Ich drehe zurzeit den Film «Operndiven, Oberntunten». Eine Dokumentation über schwule Männer, die die Oper lieben. Die Schwulen lieben besonders die hohen Sopranstimmen. Meine Erklärung dafür: Viele Schwule fühlen sich als Minderheit oder gar minderwertig, aber durch die Verehrung von Opernstars bekommen sie einen gewissen Selbstwert. Die Oper ist für Schwule also auch eine Art Flucht. Ich werde auch einige Opernstars besuchen, um herauszufinden, was sie von ihren schwulen Fans halten.

Billy Wilder meinte: «Männer hassen oder lieben Frauen. Nur Schwule mögen Frauen.»

Heterosexuelle Männer wurden früher oft frauenfeindlich erzogen. Frauen galten als Hexen, wurden als intrigant beschrieben. Weil Frauen nie viele Rechte hatten, mussten sie sich ihre Macht erkämpfen, was den Männern Angst machte. Schwule hingegen können sich gut mit Frauen identifizieren und verstehen sie besser.

Was können Frauen besser als Männer?

Emanzipatorisch gedacht geht es nicht um das Besserkönnen, sondern um Gleichheit. Das heisst etwa für das Filmgeschäft, dass Frauen genauso gut Krimis drehen können wie Männer, aber leider nicht oft die Chance dazu bekommen, es zu tun.

Rosa von Praunheim über das Alter: «Wir Älteren könnten um die Welt reisen und den Trumps, Putins, Erdogans, und wie sie alle heissen, an den Kragen gehen. Die Frage ist dann natürlich, ob das eine gute Lösung ist – und wer oder was danach kommen wird..»
Rosa von Praunheim über das Alter: «Wir Älteren könnten um die Welt reisen und den Trumps, Putins, Erdogans, und wie sie alle heissen, an den Kragen gehen. Die Frage ist dann natürlich, ob das eine gute Lösung ist – und wer oder was danach kommen wird..»
Bild: zVg

Wenn Sie jetzt mit 76 auf Ihr Leben zurückblicken: Wie zufrieden sind Sie?

Im Januar 2018 wurde mein Theaterstück «Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht» im Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt. Es ist ein autobiografisches Musical, ich arbeitete darin meine Biografie auf witzig-ironische, aber auch auf ernste Art auf. Das Stück lief anderthalb Jahre sehr erfolgreich. Oft war ich bei Vorstellungen selber dabei, um die beiden Hauptdarsteller zu unterstützen. Das war total aufregend für mich, weil ich während jeder Vorstellung sozusagen wieder mein Leben komprimiert zu sehen bekam. Ich habe kein gutes Gedächtnis, kann mich nur schlecht daran erinnern, was der junge Rosa alles gemacht hat. Drehe ich einen neuen Film, fühlt es sich für mich jedes Mal so an, als würde ich gerade neu anfangen, kreativ zu sein.

Sagen wir, wie es ist: Der Mann erzählt gerne Geschichten und deshalb redet er und redet er und ...

Gibt es einen schwulen Filz?

Eine Bekannte von mir argumentierte vor Jahren einmal, als Klaus Wowereit noch Ministerpräsident von Berlin war, dass sich die Schwulen untereinander absprechen würden. Das empfand ich als ungeheuer homophob und schwulenfeindlich. Schwule haben es bis heute derart schwer in der Gesellschaft, da wäre gegenseitige Hilfe nur normal und auch wichtig. Ich erfuhr allerdings nur das Gegenteil.

Erzählen Sie.

Ich erlebte oft, dass Schwule anderen Schwulen das Leben schwer machten, weil sie Angst hatten, in der Öffentlichkeit als schwul zu gelten. Es gab Fernsehredaktoren, die schwul waren, und ich konnte genau aus diesem Grund nichts von ihnen erwarten. Ich muss leider sagen, es waren meistens die heterosexuellen, eher konservativen Menschen, die mir geholfen haben. Zum Glück hat sich das in den letzten Jahren durch die Emanzipation und die Liberalisierung zum Besseren verändert.

Körperkultur ist für viele Schwule wichtig. Ist das Älterwerden für Schwule deshalb besonders hart?

Vielleicht war das früher so. Durch das Internet gibt es heute jedoch viel mehr Möglichkeiten, jemanden kennenzulernen. Aber auch sonst ist das Angebot heute grösser, weil es viel mehr schwule Organisationen gibt. Mein Nachbar zum Beispiel arbeitet in der Berliner Bar «Der neue Oldtimer». Dort treffen sich vor allem ältere Schwule. Aber es gibt ja auch junge Schwule, die ältere mögen – genauso wie es junge heterosexuelle Männer gibt, die auf ältere Frauen stehen. Das einzige Problem besteht vielleicht darin, dass die älteren Männer es früher gewohnt waren, sehr begehrt zu sein und deshalb im Alter nicht wissen, wie man auf andere Menschen zugeht. Gleichzeitig glaube ich, dass dies uns Schwulen deutlich leichter fällt als den Heteros, weil wir es gewohnt sind, kommunikativ zu sein.

Warum ist der Körper für Schwule so wichtig – weil der Sex so wichtig ist?

Egal, ob heterosexuell oder schwul, der Körperkult ist heute grösser als früher – das hat aber vor allem mit gesundheitlichen Aspekten zu tun. Ich bin überzeugt, Verlieben hat wenig mit dem Körper zu tun, sondern viel mehr mit der Persönlichkeit eines Menschen. Wäre es anders, müssten ja alle mit Bodybuildern liiert sein. Dem ist aber nicht so. Schwule Paare sehen genauso wie heterosexuelle Paare total unterschiedlich aus. Und sowieso, ich stelle mir eine Beziehung mit einem Menschen mit perfektem Körper schnell ziemlich langweilig vor.

Als Schwulen-Aktivist muss es Sie sehr betrüben, dass bis heute in über 70 Ländern antihomosexuelle Gesetze gelten. In 13 Ländern Afrikas und Asiens droht Homosexuellen sogar die Todesstrafe.

Das ist furchtbar. Durch die Immigration der letzten Jahre kamen viele Menschen zu uns nach Europa, die eine Homophobie in sich tragen. Viele, die gekommen sind, sind schwulenfeindlich erzogen worden. In den Ländern, in denen die Frauen nicht ernst genommen oder unterdrückt werden, haben meist auch die Schwulen nichts zu lachen. In Saudi-Arabien dürfen die Frauen nach wie vor nicht Autofahren, und in vielen arabischen Ländern werden Frauen, wenn sie fremdgehen, bis heute gesteinigt.

Im Moment erleben wir in Europa das Erstarken nationalistischer, rechter Kräfte. Haben Sie manchmal Angst um die Errungenschaften, die mit Ihrem Lebenswerk einhergehen?

Davor muss man immer Angst haben. Als Angehöriger einer Minderheit war ich mir immer bewusst, dass ich kämpfen muss für meine Rechte. Erschreckend finde ich jedoch, dass auch viele Lesben und Schwule in rechten Organisationen eingebunden sind. Denken sie nur an den deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn, der sehr konservative Ansichten hat – oder die AfD-Frontfrau Alice Weidel.

Mögen Sie Schwulenwitze?

Ja, aber es kommt immer darauf an, wer die Witze erzählt. Ich bin in einer Zeit gross geworden, in der sich schwule Witze immer gegen Schwule richteten. Hörte ich in den 1950er Jahren einen Schwulenwitz, konnte ich das Gegenüber nicht kritisieren. Stattdessen wusste ich, dieser Mensch hasst Schwule – und ich nehme mich besser in acht vor ihm.

1991 wurden Sie heftig angegriffen, nachdem Sie in der RTL-Talkshow «Explosiv – der heisse Stuhl» Hape Kerkeling und Alfred Biolek geoutet hatten. Was hat Sie damals dazu gebracht?

Das Outing geschah auf dem Höhepunkt der Aids-Krise. Es herrschte fast Krieg, und deshalb kam ich zur Überzeugung, wir Schwule müssen in die Offensive gehen. Davor wurden bereits in den USA Prominente geoutet. Ich nahm diese Initiative auf, um eben all jenen Schwulen, die damals noch versteckt lebten, zu zeigen, dass sie nicht allein sind, dass auch viele bekannte Persönlichkeiten schwul sind. Ich wollte damit anderen Mut machen.

Kerkeling kommentierte sein Outing später mit den Worten: «Sensiblere Naturen als ich hätten sich in einer Kurzschlusshandlung womöglich mit dem Föhn in die Badewanne gelegt.»

Ach was! Das hat keiner gemacht – allen Prominenten, die ich geoutet habe, hat das Outing eher genutzt. Ihre Popularität ist danach gestiegen. Der Hass fiel stattdessen auf mich zurück. Und eines müssen Sie wissen: Ich würde nie einen schwulen Lehrer outen, der in einem Schulhaus arbeitet, das 90 Prozent muslimische Schüler besuchen. Ich würde niemals Leute ins Unglück reiten, die sich nicht wehren können.

Schwule Profi-Fussballer würden Sie ebenfalls nicht outen, erklärten Sie kürzlich in einem Interview, weil dies sehr wahrscheinlich deren Karriereende bedeuten würde.

Ach, Fussball und Sport interessieren mich überhaupt nicht ... – viel wichtiger wäre es, dass der Bigotterie in der Katholischen Kirche endlich ein Ende gesetzt würde. Es ist längst bekannt, dass viele katholische Priester schwul sind, und auch im Vatikan gibt es viele Schwule, die hohe Ämter bekleiden. Es ist Zeit, schwule Priester zu outen.

Habe ich Sie richtig verstanden: Sie wollen schwule Priester outen?

Das werde ich nicht tun. Aber ich fände es gut, wenn es eine Gruppe von Leuten gäbe, die mit den schwulen Würdeträgern in der Katholischen Kirche darüber reden würden. Am besten wäre es natürlich, wenn das Outing aus der Kirche selber geschehen würde. Ich glaube, wenn eine grosse Gruppe schwuler Priester sich outen würde, könnte die Katholische Kirche es sich gar nicht leisten, sie alle rauszuschmeissen – dafür ist der Priestermangel aktuell viel zu gross. Die Katholische Kirche müsste vielmehr endlich ihre Einstellung zur Sexualität überhaupt und zur Homosexualität überdenken, sie anpassen und modernisieren.

Rosa von Praunheim über seinen Partner Oliver Sechting: «Ich bin froh, dass ich seit elf Jahren mit einem wunderbaren Mann liiert bin.»
Rosa von Praunheim über seinen Partner Oliver Sechting: «Ich bin froh, dass ich seit elf Jahren mit einem wunderbaren Mann liiert bin.»
Bild: Getty Images

Kann einen ein anderer Mensch glücklich machen?

Ja sicher. Glück bezieht sich meiner Ansicht nach aber nicht nur auf eine Partnerschaft – auch die Familie oder Freunde können einen glücklich machen. Für mich war es ein grosses Glück, dass ich zehn Jahre lang mit Lotti Huber zusammenarbeiten durfte. Gleichzeitig bin ich froh, dass ich seit elf Jahren mit einem wunderbaren Mann (Regisseur Oliver Sechting, Anmerkung der Redaktion) liiert bin. Gerade wenn man älter ist, ist es schön, wenn man eine gemeinsame Solidarität leben darf.

Was halten Sie von monogamen Beziehungen?

Diese Frage kann ich nicht so generell beantworten. Früher war es ja so, dass der Mann so viele Geliebte haben durfte, wie er wollte, die Frau hingegen musste monogam leben. Das war schrecklich. Bei manchen schwulen Paaren ist es so, dass sie Lust auf andere Menschen haben und dies ganz offen ausleben. Das finde ich toll. Bei manchen Schwulen ist es auch so, dass die Partner keinen Sex mehr zusammen haben, aber trotzdem ein Paar bleiben. Ich selber fand es schön, wenn am Anfang einer Liebschaft nur mein neuer Freund und ich Sex zusammen hatten. Ich fand, so könne sich die Beziehung besser entwickeln.

Schauen Ihnen noch ganz junge Männer nach?

Natürlich – aber ich finde Männer jeden Alters attraktiv.

Schönster Mann, mit dem Sie je verglichen wurden?

Als ich in Mexiko einmal einen Film drehte, sagte jemand, ich würde Alain Delon ähnlichsehen, kurz danach wurde ich dann noch mit Warren Beatty verglichen. Das fand ich natürlich toll. Ach, ich sah als junger Mann sehr gut aus und hatte meine Verehrer. Aber ich konnte das damals gar nicht so richtig geniessen. Aber das war wahrscheinlich auch gut so, sonst wäre ich eitel geworden.

So grundsätzlich: Wofür lohnt es sich zu leben?

Für mich ist der Sinn des Lebens, das Leben an sich, also das Überleben. Ich glaube nicht, dass das Leben einen tieferen Sinn hat.

Der österreichische Philosoph Robert Pfaller sagte 2011 in einem Interview, es lohne sich für die verschwindend kleinen Dinge zu leben. Mit Freunden ein Bier trinken, in einem zärtlichen Moment die Aussicht geniessen, beim Kaffee eine Zigarette rauchen. Finden Sie das auch?

Das ist wohl sehr individuell. Ich für mich kann nur sagen, ich habe auch meine manisch-depressiven Seiten. Besonders wenn ich nicht in einer Arbeitsphase stecke, falle ich oft schnell in ein Loch. Vor zwei Jahren war ich ziemlich verzweifelt. Ich trommelte dann meinen Geliebten Oli und meinen guten Freund Mike zusammen und sagte, ich hätte keine Lust mehr zu leben, weil doch alles erledigt sei. Oli und Mike haben mich dann ausgelacht, weil sie das witzig fanden, und weil sie wussten, dass ich eh nicht selber Schluss machen würde. Und wissen Sie was? Danach folgte das beste Jahr meines Lebens. Es folgte das Theaterstück «Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht», es kam die «Abfallprodukte der Liebe» in der Akademie der Künste in Berlin, und ich habe zwei Filme gedreht. Das Jahr war ein riesiges Geschenk. Es lohnt sich also zu warten und zu schauen, was kommt. Komiker Karl Valentin hat einmal gesagt: «Das Leben ist wie eine Lawine, mal geht es rauf, mal geht es runter.» So sehe ich das heute auch.

Lesen Sie immer noch zehn Bücher gleichzeitig?

Ich lese nach wie vor sehr viele Bücher. Viele lese ich nur an, bei einigen bleibe ich dann hängen. So ist es auch mit Filmen. Ich habe nicht viel Geduld – gefällt mir ein Film nicht, sehe ich ihn nicht zu Ende.

Welches Buch lesen Sie zurzeit am liebsten?

Gerade fertig gelesen habe ich den Roman «Ein wenig Leben» von der lesbischen Schriftstellerin Hanya Yanagihara. Ich habe das 900-Seiten-Buch förmlich verschlungen. Yanagihara erzählt eine deprimierende Geschichte, die aber gleichzeitig von einer ungeheuren Kraft strotzt. Auch ihren vorherigen Roman «Das Volk der Bäume» fand ich sehr toll. Gefallen hat mir auch der Roman «Was dann nachher so schön fliegt» von Hilmar Klute. Darin schickt er den jungen Volker, der als Zivildienstleistender in einem Pflegeheim im Ruhrgebiet arbeitet, nach Berlin zu einem Treffen von Jungliteraten, wo er seine Gedichte vortragen soll. Ein unspektakuläres Thema, aber wunderbar leicht und locker geschrieben.

Wirklich wahr, dass Sie Musik generell furchtbar finden?

Na ja, ich habe wenig Bezug zur Musik, weil ich keine musikalische Bildung genossen habe. Ich fand immer eher abseitige Musik toll.

Thailändische Militärmusik zum Beispiel.

Genau – und ich mag polnische Chansons und DDR-Politsongs. Ich habe ein Faible für Musik, die unfreiwillig komisch ist. Und natürlich beschäftige ich mich jetzt für meinen neuen Film «Operndiven, Operntunten» ganz intensiv mit Musik.

Danke, das war spannend. Nun müssen wir Sie, Herr von Praunheim, aber nochmals richtig drannehmen – der Klassiker zum Ende: Fragen zum Tod. Endspurt.

Viele der Menschen, mit denen Sie künstlerische Beziehungen und auch Liebesbeziehungen pflegten, sind mittlerweile verstorben. Schrecklich, nicht wahr?

Ach, so schrecklich ist das gar nicht. Es ist ein Teil des Lebens. Und dadurch, dass ich nach wie vor mitten im produktiven Leben stehe, treffe ich auch immer wieder neue Leute. Zudem gibt es noch einige ältere Menschen, die auch noch da sind – meine beste Freundin Elfi Mikesch zum Beispiel. Mit ihr und Werner Schroeter habe ich letzten Sommer die Ausstellung «Abfallprodukte der Liebe» in der Berliner Akademie der Künste gestaltet. Elfi ist zwei Jahre älter als ich und noch sehr vital – genauso wie Regisseur Edgar Reitz, der noch mit über 80 Jahren mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet worden ist. Oder die beiden Regisseure Wim Wenders und Werner Herzog, auch sie sind beide noch wunderbar produktiv.

Rosa von Praunheim über seine Stofftier-Sammlung: «Ich bin sehr kindlich geblieben, was man ja auch an den vielen Teddybären auf meinem Sofa erkennen kann.»
Rosa von Praunheim über seine Stofftier-Sammlung: «Ich bin sehr kindlich geblieben, was man ja auch an den vielen Teddybären auf meinem Sofa erkennen kann.»
Bild: Keystone

Haben Sie eigentlich Ihre revolutionäre «Armee der Alten» bereits gegründet?

Leider nicht – aber von der Idee bin ich nach wie vor überzeugt, gerade im Hinblick auf die Schüler-Klimademos. Ältere Menschen haben nichts mehr zu verlieren, können also radikaler auftreten. Wir Älteren könnten um die Welt reisen und den Trumps, Putins, Erdogans, und wie sie alle heissen, an den Kragen gehen. Die Frage ist dann natürlich, ob das eine gute Lösung ist – und wer oder was danach kommen wird.

Mit 70 sagten Sie: «Ich bin erst sieben, noch völlig unreif.» Wie reif sind Sie heute?

Auch nicht älter als zehn oder elf. Ich bin sehr kindlich geblieben, was man ja auch an den vielen Stofftieren auf meinem Sofa erkennen kann. Die kindliche Phantasie ist etwas Wundervolles. Ich glaube, wenn ein Mensch erwachsen wird, dann stirbt auf eine Art auch seine Phantasie. Meine Überzeugung ist jedoch, die Phantasie ist die Magie des Künstlers.

Mit 73 sagten Sie in einem Interview: «Ich sehe dem Tod freudig entgegen, hab eher Angst vor Siechtum, Krankheit und Depressionen.»

Kein Mensch will am Ende seines Lebens dahinsiechen oder gar qualvoll sterben müssen. Gleichzeitig ist mein Überlebenswille nach wie vor sehr gross. Ich finde ein würdiges Sterben ganz wichtig, und deshalb finde ich es gut, wenn der Mensch selber entscheiden kann, wann er gehen will. Bei Ihnen in der Schweiz ist die Sterbehilfe ja viel besser geregelt als bei uns in Deutschland. Ich jedenfalls möchte nicht mit 90 dement in einem Altersheim hocken müssen. Nein, das möchte ich nicht erleben.

Mit 75 kokettierten Sie einem Interview mit dem Sterben. Sie sagten: «Ich würde gerne sterben.»

Diese Sehnsucht gibt es nach wie vor. Ich spüre eine starke Melancholie in mir. Der Tod ist ja in gewisser Weise eine Erlösung. Leben heisst ja auch Stress, weil man mit mancherlei Schwierigkeiten konfrontiert wird. Noch habe ich die Kraft, kreativ zu sein. Aber wer weiss wie lange noch?

Warum finden Sie alt werden nicht erstrebenswert?

Nur wenige Menschen können bis ins hohe Alter kreativ sein. Die meisten Menschen aber haben diese Kraft nicht. Viele Menschen im hohen Alter leiden. Eine Freundin von mir hat ein Augenleiden und kann nicht mehr lesen. Ich meine, wenn man nicht mehr lesen kann, ist die Lebensqualität schon sehr eingeschränkt. Meine Freundin kann nicht ohne Begleitung spazieren gehen. Darunter leidet sie sehr.

Kremieren oder im Sarg bestatten?

Ich hatte schon einige witzige Ideen, was nach dem Tod mit mir geschehen soll. Am liebsten würde ich mich ausstopfen und einbalsamieren lassen. Danach könnte man mich im Filmmuseum Berlin ausstellen – mit einem Fernsehgerät im Bauch, damit die Schulkinder meine Filme ansehen könnten. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch gross, dass ich nicht so enden werde. Eher wird meine Leiche im Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin begraben. Das ist ein sehr progressiver Friedhof. Es sind dort viele Schwule begraben, die an Aids gestorben sind. Am liebsten wäre mir, wenn mein Grab mit ganz vielen Penissen geschmückt würde.

Was soll dereinst auf Ihrem Grabstein stehen?

Ich habe ganz viele Gedichte geschrieben – eines davon soll dann ausgesucht werden.

Gibt es ein Danach?

Ich bin allesgläubig, und deshalb denke ich, es ist danach alles möglich, was man sich vorstellen kann. Gleichzeitig bin ich aber ein sehr realistischer Mensch und denke, dass danach nichts kommen wird. In meinem Film «Rosas Höllenfahrt» sagt ein Kulturwissenschaftler: «Wir werden intelligentes Wasser.» Ich finde das ein sehr schönes Bild, auch wenn ich nicht daran glaube.

Nach anderthalb Stunden verlässt der Journalist die Wohnung wieder. – Herzlichen Dank für Ihre Zeit, für Ihren Mut, für Ihre Offenheit, Rosa von Praunheim.

Pink Apple: Das schwullesbische Filmfestival findet anfangs Mai in Zürich und Frauenfeld statt. Der Pink-Apple-Festival-Award-2019 wird Rosa von Praunheim am 4. Mai überreicht, zudem ist ihm eine Retrospektive im Filmpodium Zürich gewidmet.

«Bluewin»-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten. Bötschi hat viel Erfahrung mit Interviews. Für die Zeitschrift «Schweizer Familie» betreute er jahrelang die Serie «Traumfänger». Über 200 Persönlichkeiten stellte er dafür die Frage: Als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Das Buch zur Serie «Traumfänger» ist im Applaus Verlag, Zürich, erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich.
«Bluewin»-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten. Bötschi hat viel Erfahrung mit Interviews. Für die Zeitschrift «Schweizer Familie» betreute er jahrelang die Serie «Traumfänger». Über 200 Persönlichkeiten stellte er dafür die Frage: Als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Das Buch zur Serie «Traumfänger» ist im Applaus Verlag, Zürich, erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich.
Bild: zVg
Prominente ohne Schulabschluss
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