Kolumne «Das Volk» – es sind meine Freunde

Caroline Fink

25.3.2019

Zwei junge Frauen aus Teheran geniessen den Freitag – den iranischen Sonntag – in den Bergen über Teheran.
Zwei junge Frauen aus Teheran geniessen den Freitag – den iranischen Sonntag – in den Bergen über Teheran.
Bild: Caroline Fink

Reisen öffnet Horizonte, heisst es. Nachrichten aus aller Welt hören, das ebenfalls. Doch bei den News geht es um Länder und Regierungen, beim Reisen um das Leben. Das spürt man spätestens dann, wenn sich die Politik in den Alltag der eigenen Freunde mischt.

Ich mag den Iran. Dieses Land der Schneeberge und Wüsten, der alten Poeten und herzlichen Menschen. Und ganz besonders mag ich Teheran. Die iranische Hauptstadt, deren Strassenschluchten donnern und dröhnen, während Alte und Junge in schattigen Parks Safranlimonade trinken und Gurkeneis essen.

Eine Millionenmetropole ist Teheran, in der man das warme Fladenbrot noch beim Bäcker kauft und die Oliven und Datteln im Quartierladen nebenan. Und in der mir eine Frau in der Metro einen Apfel schenkte, eingewickelt in rotes Papier mit einer Goldschleife.

Irrsinn und Traumwelt zugleich

Jedes Mal, wenn ich in den Iran reise, um Bergsteigen zu gehen, freue ich mich auch auf diese Stadt, die für mich immer Irrsinn und Traumwelt zugleich ist.

Doch dann, letzten Sommer, ist mit einem Mal alles anders: Eine Glocke scheint über der Stadt zu hängen. Die Menschen lächeln weniger, die Farben der Stadt wirken matter – und bald verstehe ich: Die Wirtschaftssanktionen, mit denen der US-Präsident den Iran wegen angeblicher Verletzung des Atomabkommens erneut belegt hat, sind wieder in Kraft.

Irrsinn und Traumland zugleich – die iranische Hauptstadt Teheran mit ihren über 10 Millionen Einwohnern.
Irrsinn und Traumland zugleich – die iranische Hauptstadt Teheran mit ihren über 10 Millionen Einwohnern.
Bild: Caroline Fink

Ein junger Taxifahrer erzählt mir, er habe von einem Tag auf den anderen seine Stelle als Ingenieur auf einer Ölplattform im persischen Golf verloren – jetzt fahre er Taxi. Er zuckt mit den Schultern. «Die erneuten Sanktionen.»

Bergsteigerfreunde von mir sitzen im Ladenlokal, das sie selbst mit Holz getäfert und mit Bergbildern geschmückt haben. Hier verkauften sie seit Kurzem Gore-Tex-Jacken aus dem Westen, Kletterseile, glänzende Karabiner. Jetzt zerstört die Inflation das Geschäft, und sie blicken ratlos auf die vollen Regale. «Die erneuten Sanktionen.»

«Die erneuten Sanktionen»

Und als ich vor den Geldwechselstuben südlich des Ferdowsi-Platzes stehe, sind deren Ladengitter geschlossen. Geld wechseln? Ein Passant schüttelt den Kopf. Keiner wisse im Moment, wo der aktuelle Wechselkurs überhaupt stehe. Er blickt mich entschuldigend an. «Die erneuten Sanktionen.»

Heute erinnere ich mich nicht mehr, wie oft ich das Wort «Sanktionen» an diesen Tagen in Teheran hörte. Aber ich erinnere mich genau daran, wie es sich anfühlt, wenn internationale Geopolitik sich in die Leben der Menschen flicht.

Die Strassen Teherans sind gesäumt von kleinen Quartierläden und Shops.
Die Strassen Teherans sind gesäumt von kleinen Quartierläden und Shops.
Bild: Caroline Fink

Und wenn ich heute in der Zeitung lese, «ein Regime» leide unter Sanktionen und «ein Land» ächze unter wirtschaftlichem Druck, dann weiss ich: Es leiden jene, mit denen ich auf Berge steigen und gemeinsam lachen kann.

Jene, die ein ähnliches Leben führen und ähnliche Träume hegen wie ich. Ganz egal, ob sie im Iran, in Russland oder Venezuela leben. Ganz egal, ob ich sie kenne oder nicht.

Zur Autorin: Caroline Fink ist Fotografin, Autorin und Filmemacherin. Selbst Bergsteigerin mit einem Flair für Reisen abseits üblicher Pfade, greift sie in ihren Arbeiten Themen auf, die ihr während Streifzügen in den Alpen, den Bergen der Welt und auf Reisen begegnen. Denn von einem ist sie überzeugt: Nur was einen selbst bewegt, hat die Kraft, andere zu inspirieren.

«Kolumne»: Ihre Meinung ist gefragt

In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine Mail an: redaktion2@swisscom.com

Eine kraftvolle Hommage an die Kuh
Zurück zur Startseite