Städtetrip Viel Gemütlichkeit – Utrecht ist wie Amsterdam ohne Touristen

dpa

9.3.2019

Die Oudegracht zieht sich einmal durch Utrecht – und Einheimische und Besucher wie magisch an.
Die Oudegracht zieht sich einmal durch Utrecht – und Einheimische und Besucher wie magisch an.
Source: NBTC

Die meisten Holland-Besucher fahren an Utrecht vorbei. Ein Fehler. Denn in der viertgrössten Stadt der Niederlande gibt es eine doppelstöckige Gracht, einen halbierten Dom, ein schwebendes Haus und delikate Hexenzähne.

Ein paar Tage in Utrecht war die 45 Jahre alte Barbara aus Köln, dann hatte sie einen Alptraum. Sie sah sich mit ihren drei Kindern in das berühmte Rietveld-Schröder-Haus einziehen und geriet regelrecht in Panik.

Man dürfe dieses Horror-Haus nicht weiterempfehlen, meint sie. Doch wenn ein 1924 erbautes Haus heute noch bleibenden Eindruck hinterlässt, dass man davon (schlecht) träumt, ist es allemal einen Besuch wert. Später mehr dazu.

Normalerweise gibt die niederländische Stadt Utrecht keineswegs Anlass zu Alpträumen. Utrecht ist fast so schön wie Amsterdam – nur mit viel weniger Touristen.

Utrecht wirkt in weiten Teilen regelrecht dörflich – manchmal watscheln sogar Gänse vorbei.
Utrecht wirkt in weiten Teilen regelrecht dörflich – manchmal watscheln sogar Gänse vorbei.
Source: Christoph Driessen

Die Stadt ist auch sehr relaxt, sie hat nur 350'000 Einwohner. Die scheinen gefühlt alle unter 30 zu sein, in Utrecht gibt es fast 70'000 Studenten. Viel Wasser und viel Grün, windschiefe Häuschen und gepflasterte Strassen verleihen der Stadt ausserdem einen stellenweise dörflichen Charakter. Man darf sich nicht wundern, wenn plötzlich eine Schar Gänse über die Strasse watschelt.

Nicht so viele Grachten wie Amsterdam

Utrecht hat lange nicht so viele Grachten wie Amsterdam, aber dafür eine besonders grosse und schöne, die sich durch das gesamte Zentrum zieht: die Oudegracht.

Im Gegensatz zu den Amsterdamer Kanälen ist sie zweistöckig: Es gibt eine Ebene auf Strassenniveau und ein paar Meter darunter direkt auf Höhe des Wasserspiegels noch steinerne Anlegestege. Diese niedrig gelegenen Kaianlagen stehen über Tunnel unter der Strasse direkt mit den Lagerkellern der Grachtenhäuser in Verbindung.

Utrecht hat zwar nicht so viele Kanäle wie Amsterdam, doch die Oudegracht zieht sich einmal durch das Zentrum.
Utrecht hat zwar nicht so viele Kanäle wie Amsterdam, doch die Oudegracht zieht sich einmal durch das Zentrum.
Source: NBTC

Die Handelsware konnte dadurch vom Wasser aus gleich in die Häuser transportiert werden. Heute sind noch 732 dieser Gewölbekeller übrig, und viele von ihnen haben sich in Cafés, Restaurants, Discos, Clubs oder Geschäfte verwandelt.

Berühmter Domturm

Utrechts bedeutendste Attraktion neben der Gracht ist der Domturm. Einst besass die Stadt die grösste Kathedrale der Niederlande. Heute aber steht von diesem Dom nur noch die hintere Hälfte, die vordere ist weg. Sie verschwand am 1. August 1674, als ein Tornado das Mittelschiff einstürzen liess. Es wurde nie wieder aufgebaut.

Stehengeblieben ist der 122 Meter hohe Turm, der höchste Kirchturm der Niederlande, den man in dem platten Land schon aus vielen Kilometern Entfernung sieht. Der Domturm ist eine niederländische Ikone jenseits von Windmühlen und Strassenorgeln, und man sollte ihn unbedingt erklimmen.

Von oben kann man bei gutem Wetter einen Grossteil des Königreichs überblicken: Man sieht die Dächer von Amsterdam und die Hochhäuser von Rotterdam.

Einfach treiben lassen

Top-Museen so wie in Amsterdam das Van-Gogh-Museum oder das Rijksmuseum gibt es in Utrecht nicht. Statt von einer Attraktion zur anderen zu hetzen, lässt man sich am besten einfach durch die Gassen der behaglichen Innenstadt treiben. «Gezellig», wie der Niederländer sagt – urgemütlich.

Der Winkel van Sinkel, in dem sich früher das älteste Kaufhaus der Niederlande befand, ist eines der auffallendsten Gebäude an der Oudegracht.
Der Winkel van Sinkel, in dem sich früher das älteste Kaufhaus der Niederlande befand, ist eines der auffallendsten Gebäude an der Oudegracht.
Source: Christoph Driessen

Irgendwann setzt man sich in eines der Cafés, bestellt ein Stück «appeltaart met slagroom» (Apfelkuchen mit Sahne) und schaut den «fietsers» (Radfahrern) zu. Die gibt es in Utrecht in so unglaublicher Zahl, dass man zu den Hauptverkehrszeiten richtige Radlerstaus beobachten kann. Helme sind unbekannt.

Viele bezaubernde Plätze warten darauf, entdeckt zu werden. Einer davon ist der Kreuzgang des Doms samt Garten und Brunnen. Oder der botanische Garten der Universität, der verwunschen mitten in der Stadt liegt. Darin ein Gingko aus dem 18. Jahrhundert und eine Amazonas-Riesenseerose mit eineinhalb Meter Durchmesser.

Essen und Schoppen

Abends ist das kleine Restaurant «De Witte Ballons» (Lijnmarkt 10-12) empfehlenswert: Dort bestellt man jeweils zwei halbe Vor- und zwei halbe Hauptgerichte. Weil man so mehr probieren kann.

Hier werden nicht nur Kinderträume wahr: Das Kruideniersmuseum ist ein Süssigkeitenladen alter Schule.
Hier werden nicht nur Kinderträume wahr: Das Kruideniersmuseum ist ein Süssigkeitenladen alter Schule.
Source: Jurjen Drenth

Das Shoppen in Utrecht führt auf einen Abstecher ins frühe 20. Jahrhundert: Freundliche ältere Damen betreiben in ehrenamtlicher Tätigkeit einen Süssigkeitenladen, genannt Kruideniersmuseum.

Man kann sich dort mit allen denkbaren Leckereien eindecken, und zwar noch zu jenen Mini-Beträgen, für die man früher auch an deutschen Büdchen Drops und Lakritze erhielt. Besonders zu empfehlen sind unter anderem «heksentanden» (Hexenzähne), «harde katjes» (harte Katzen) und «zwarte schoolkrijt» (schwarze Schulkreide). Ausgesprochen lekker!

Das Rietveld-Schröder-Haus

Und dann schliesslich das Rietveld-Schröder-Haus. Es steht für Freiheit und Klarheit. Was in Deutschland unter Bauhaus bekannt ist, hiess in den Niederlanden De Stijl. Und begann dort sogar um einiges früher. Das Rietveld-Schröder-Haus sieht aus wie ein in Architektur umgewandeltes Bild von Piet Mondrian in Rot, Gelb und Blau. Es wirkt hypermodern – dabei ist es fast 100 Jahre alt.

Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht: In dem einst visionären Haus der Architekturbewegung De Stijl wollte schlussendlich niemand leben.
Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht: In dem einst visionären Haus der Architekturbewegung De Stijl wollte schlussendlich niemand leben.
Source: Christoph Driessen

Wenn man im ersten Stock die Fenster öffnet, wird das Haus eins mit der Landschaft – es scheint zu schweben. Auch die Innenwände lassen sich komplett wegklappen, so dass ein einziger Raum entsteht. Das ist der Stoff, aus dem für Touristin Barbara Alpträume entstehen: Wer will schon mit Teenagern in einem Haus ohne Wände leben?

Warum ist das Haus nicht massenhaft nachbestellt worden, so wie sein Erbauer es erwartet hatte? Der Grund ist wohl, dass es zu wenig Schutz bietet. Man lebt quasi öffentlich. Und es gibt kaum Stauraum. Wer hier leben will, darf fast nichts besitzen. So ist das Haus heute zwar Weltkulturerbe – aber leben will so immer noch niemand.

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