Festlicher Spuk in Taiwan Wo die Geister im Sommer Ferien machen

Von Claudio Sieber, Taiwan

9.8.2021

Gerade wird in Taiwan der Geistermonat begangen. In den vier Wochen soll den Ahnen im Jenseits Tribut gezollt werden. Mit vielerlei Ritualen und Geschenken werden die Seelen der Vorfahren verwöhnt.

Von Claudio Sieber, Taiwan

9.8.2021

Die überschaubare Insel Taiwan, welche von China bis heute als abtrünnige Provinz betrachtet wird, hat trotz einer ultramodernen Gesellschaft eine der subtilsten Kulturagenden in Ostasien bewahren können.

Insbesondere zum jährlich stattfindenden Geistermonat, dieses Jahr vom 8. August bis 6. September 2021, glänzen die Taiwaner mit ihren mondänen Traditionen.

Laut chinesischem Volksglauben dürfen die Seelen der Verstorbenen während des Geistermonats das Jenseits verlassen und die Erde besuchen. Ausgehungert ziehen die «Good Brothers» (politisch korrekte Bezeichnung für die Geister) für einen Monat durch die Strassen auf der Suche nach Nahrung, Fürsorge und anderen Notwendigkeiten.

Die Quintessenz des Geistermonats

Jede Region inszeniert ihre eigenen, von lokalen Legenden inspirierten Events, um den Geistern zu huldigen, davon haben sich einige über die Jahrhunderte zu prachtvollen Veranstaltungen etabliert. Die Pudu Zeremonie um die Vollmondnacht gilt als die Quintessenz des Geistermonats.

Zum Autor: Claudio Sieber
Bild: zVg

Der Multimedia-Journalist Claudio Sieber aus St. Gallen reist seit mehreren Jahren durch Asien, wo er über die Traditionen fremder Völker, Popkultur und den sozialen Wandel im Orient und Ozeanien berichtet.

Dann wuchern reich gedeckte Tafeln in Taiwans Hinterhöfen, Tempelanlagen und vor allem, mitten auf den Gehwegen der ohnehin schon hektischen Metropolen. Um den Verstorbenen angemessen Tribut zu zollen, werden Opfertische dekoriert mit allem, was das Geisterherz begehrt:

Köstlichkeiten der asiatischen Küche, ganze Hühner, Enten, Fische oder Spanferkel, aber auch Fertignudeln, Kekse, Zigaretten und gängigen Süssgetränken.

Glöckchengebimmel und Gebete

Kommt eine Grossfamilie zusammen, führt ein taoistischer Priester mit beharrlichem Glöckchengebimmel und Gebeten durch den Ritus. Sobald sich die weitgereisten Gäste ordentlich verpflegt haben, steht ihnen ein Waschbecken mit Spiegel und Zahnbürste zur Verfügung, um sich frisch zu machen. Sie sollen den Rückweg gut gestärkt und «belebt» antreten.

Selbst im Nachleben läuft nix ohne Cash, somit wird zum Schluss einer jeden Andacht haufenweise Geisterwährung aus traditionellem Reis- oder Bambuspapier, plagiiertem Fiatgeld und ausgefeilter Zhǐzhā (3D-Papierkunst) kremiert.



Das Feuer transportiert die spirituellen Hilfsgelder in die Sphäre der Toten, wo es wieder materialisiert und ihnen dabei hilft, finanzielle Engpässe zu meistern.

Mit den exzessiven Schenkungsritualen während des Geistermonats wird garantiert, dass die verwahrlosten Seelen zufrieden und zuversichtlich in die Unterwelt zurückkehren. Nur dann ist die Balance der dualen Kräfte Yin und Yang garantiert, denn das Reich der Verstorbenen und die Welt der Lebenden gehören untrennbar zusammen.


Der Geistermonat in Taiwan

Geistermonat Zhongyuan Jie: 8. August bis 6. September 2021 (7. Monat des Mondkalenders).

Geistertag Pudu: 22. August 2021 (15. Tag vom 7. Monat im Mondkalender).

Joss-Papier/Geistergeld: Spirituelle Währung wie falsche Banknoten oder geprägtes beziehungsweise bedrucktes Bambus oder Reispapier.

Yin und Yang: Dieseits und Jenseits beziehungweise taoistische Philosophie dualer Kräfte, die sich nicht bekämpfen, sondern ergänzen.

«The Good Brothers»: Wörtlich übersetzt «Die guten Brüder» = Politisch korrekte Bezeichnung für die Geister.