Kolumne Beim Coiffeur lernst du fürs Leben

Von Michelle de Oliveira

11.6.2022

Und irgendwann kommt im Coiffeursalon immer die Frage an die Kolumnistin: «Sie haben die Haare schon länger nicht mehr geschnitten, richtig?»
Und irgendwann kommt im Coiffeursalon immer die Frage an die Kolumnistin: «Sie haben die Haare schon länger nicht mehr geschnitten, richtig?»
Bild: Renato de Oliveira

Die Kolumnistin geht ganz und gar nicht gern zum Coiffeur. Das hat viele Gründe. Sich die Haare unendlich lange wachsen zu lassen, ist aber keine Option, denn: Ein Friseur-Besuch ist für sie auch eine Lebenslektion.

Von Michelle de Oliveira

11.6.2022

Ich setze mich ungelenk auf den Stuhl, grinse verkrampft und wünsche mir, es wäre schon vorbei.

Nein, ich bin nicht beim Zahnarzt. Ich bin beim Coiffeur.

Was für andere ein Spa-Moment, Me-Time oder einfach eine willkommene Dienstleistung ist, schiebe ich so lange wie möglich vor mir her. Was dann alles nur noch schlimmer macht.

Es gibt verschiedene Aspekte, die das professionelle Haareschneiden für mich problematisch machen. Einerseits mein eigener Anblick im Spiegel.

Wenn ich mich mit nassen, am Kopf klebenden Haaren im grellen Licht betrachte, frage ich mich, wann ich genau angefangen habe, auszusehen wie ein Zombie. Augenringe so dunkel wie Gewitterwolken, Hautunreinheiten und Falten, von deren Existenz ich bis anhin keine Ahnung gehabt hatte. Oder dank des schummrigen Badezimmerlichts zu Hause erfolgreich übersehen konnte.

Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle und Esoterische. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren. Seit Kurzem lebt sie mit ihrer Familie in Portugal.

Ich will nicht unhöflich sein

Ich könnte mich einfach hinter einem Magazin verstecken. Aber dort lauert bereits das nächste Problem: Ich will nicht unhöflich sein und lasse mich darum immer auf das Geplänkel mit der Coiffeuse oder dem Coiffeur ein. Ich kann einfach nicht anders.

Und jedes Mal denke ich, die machen das doch auch nur aus Höflichkeit, die wollen sich gar nicht mit mir unterhalten. Und doch rede ich weiter, halte sogar selbst die Konversation aufrecht, als führte mein Mund ein Eigenleben.

Und irgendwann kommt immer die Frage: «Sie haben die Haare schon länger nicht mehr geschnitten, richtig?»

Meistens nicke ich dann schuldbewusst und murmle einen Zeitraum, den ich um ein paar Monate kürzer schummle. Und dann folgt sogleich die am meisten gefürchtete Frage: «Ist das Ihre Naturhaarfarbe?» Oje.

Im Sommer ist sie das, ja. Dann werden meine Haare strohblond, von der Sonne, vom Chlor, vom Salzwasser. «Und im Winter?» Ich zögere. Dann helfe ich mit zweifelhaften Sprays nach, weil mir der dunkle Ansatz nicht gefällt. «Oh, das sollten Sie aber wirklich nicht tun, das ist gar nicht gut für die Haare!»

Das weiss ich.

«Diese Produkte würden Ihren Haaren so guttun»

Aber weil ich nicht gern zum Coiffeur gehe, tue ich es eben doch und fürchte mich dann noch viel mehr davor, wieder dorthin zu gehen und meinen Aufhellungs-Spray-Skandal entlarvt zu wissen. Ein Teufelskreis, wie er runder nicht sein könnte.

Und schliesslich, nachdem ich mich während des Trocknens, das eine Konversation unmöglich macht, tatsächlich etwas erholen konnte, die letzte Hürde: Die Produkte, die man mir vor die Nase stellt mit den Worten «Die würden Ihren Haaren so guttun.»

Ich weiss, sie müssen das tun.

Und ich weiss, ich könnte einfach sagen, «Nein, danke». Stattdessen hole ich stotternd und hilflos zu einer so mühsamen Ausrede aus, dass selbst die eifrigste Geschäftsperson die Produkte aus lauter Unbehagen gleich wieder wegräumt.

Die Lösung wäre wahrscheinlich, zur immer gleichen Person zum Haareschneiden zu gehen. Zu einer Person, die weiss, dass ich nicht reden will, nur selten die Haare schneide, und dass ich jeweils einfach zu jener Shampoo-Flasche greife, die gerade am nächsten steht (sehr oft Babyshampoo).

Das habe ich versucht, bin aber gescheitert, weil jedes Mal, wenn ich jemanden gefunden zu haben glaubte, wechselte er oder sie den Salon, ging auf Weltreise oder frisierte fortan Hunde.

Ich könnte auch lernen, mir selbst die Haare zu schneiden, was bei meiner simplen Frisur eigentlich machbar sein sollte. Oder ich lasse mir die Haare einfach endlos weiterwachsen.

Selbstliebe, Selbstfürsorge und Nein-Sagen

Aber damit versäumte ich eine Gelegenheit, wichtige Dinge zu üben:

– Nachsichtiger und liebevoller mit mir selbst zu sein: Meine Haare sind nicht meine erste Priorität und das ist in Ordnung, genauso wie meine bescheidene Pflegeroutine. Und ich sehe nicht aus wie ein Zombie während eines Nervenzusammenbruchs.

– Meine Bedürfnisse zu erkennen und dafür einzustehen: Ich möchte lieber lesen, Ruhe geniessen und einfach nicht reden.

– Nein sagen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben: Vielen Dank, aber ich möchte keine Pflegeprodukte kaufen.

Das sind Themen, die nicht bloss beim Coiffeurbesuch auftauchen, sondern mich auch im Alltag begleiten: Selbstliebe, Selbstfürsorge und Nein-Sagen.

Haareschneiden ist für mich also viel mehr als eine neue Frisur. Ein Coiffeurbesuch ist eine lehrreiche Lebenslektion. Und die hätte ich tatsächlich häufiger nötig als nur ein, höchstens zweimal im Jahr. Ich buche mir jetzt gleich einen Termin.


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