Late Night USA Bei Anruf Trump

Von Philipp Dahm

5.1.2021

«Fast 500» Tote haben gewählt – und alle auch noch für Biden? Brad Raffensperger muss seinen Präsidenten korrigieren.
«Fast 500» Tote haben gewählt – und alle auch noch für Biden? Brad Raffensperger muss seinen Präsidenten korrigieren.
Screenshot: YouTube

Donald Trump hat mit seinem Anruf bei Staatssekretär Braffensperger nicht nur plump versucht, Wahlfälschung anzustiften – er schmälerte damit auch noch die Chancen seiner Republikaner bei der Stichwahl.

Das Beste von 2021

Zum Jahresende bringt blue News die Lieblingsstücke des ablaufenden Jahres noch einmal. Dieser Text erschien zum ersten Mal am 5. Januar 2021.

«Frohes neues Jahr! 2020 ist vorbei», begrüsst Stephen Colbert das Publikum seiner «Late Show», «alles Schlechte liegt hinter uns, und wir fangen neu an ... mit einer grassierenden Epidemie und einem Präsidenten, der versucht, die Wahl zu fälschen. Scheint, als drehe 2020 noch ein paar Extrarunden.»

Late Night USA – Amerika verstehen
blue News

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Natürlich dreht sich (unter anderem auch) der Monolog von Late-Night-Host Colbert zum Auftakt des neuen Jahres um das Telefonat Donald Trumps mit dem Staatssekretär von Georgia, Brad Raffensperger. Die Dimensionen ordnet der 56-Jährige so ein: «Es ist, als hätten der Watergate- und der Ukraine-Skandal ein Baby, das sie ihm Access-Hollywood-Bus gemacht haben.» An jenem Ort sagte Trump 2016 mit Blick auf Frauen zu einem Reporter: «Grab ‘em by the pussy!»

Vier Jahre später erklärt Trump Brad Raffensperger, warum «ziemlich klar» sei, dass er die Präsidentschaftswahl in Georgia gewonnen habe. «Man sieht es offen gesagt auch an der Grösse der Wahlkampfveranstaltungen. Wir hatten 25'000 bis 30'000 Leute pro Auftritt.» Wenn es danach ginge, müssten jedoch die Chartstürmer der Boygroup BTS am 20. Januar das Amt übernehmen, kontert Colbert.

«Hör' doch auf!»

Und obwohl der Präsident ja meine, er habe gewonnen, wisse er dennoch genau, um wie viele Stimmen er verloren habe, lästert der gebürtige Washingtoner weiter, bevor er den nächsten Mitschnitt einspielt: «Die jetzige Marge liegt nur bei 11'779. Also, schau, alles, was ich will, ist das: Ich will 11'780 Stimmen finden, was eine mehr ist, als wir haben.» Trump will Georgia also mit nur einer Stimme Vorsprung gewinnen? «Daran ist nichts Schmieriges», ätzt Colbert.

An Trumps Anruf ist absolut nichts Schlieriges, findet Stephen Colbert.
An Trumps Anruf ist absolut nichts Schlieriges, findet Stephen Colbert.
Screenshot: YouTube

Dabei gehe es ja eigentlich um nichts, pauschalisiert Trump dann wieder an anderer Stelle. «Also, Leute, was wollen wir hier machen? Ich brauche nur 11'000 Stimmen. Jungs, ich brauche 11'000 Stimmen – hört doch auf!»

«Du wirst aufhören – am 20. Januar», schliesst Colbert an. Trump werde dann viel Zeit haben, all jene Stimmen aufzuspüren. «Vielleicht sind sie dort, wo auch Barack Obamas Geburtsurkunde ist.»

Trump fehlt einfach die Munition für seinen Krieg: «Glauben Sie, es ist möglich, dass sie Wahlzettel in Fulton County geschreddert haben? Denn es gibt das Gerücht», sagt der Noch-Amtsinhaber im Telefonmitschnitt zu Raffensperger. «Und auch, dass [die Firma] Dominion Maschinen aus dem Verkehr gezogen hat. Die bei Dominion waren schnell dabei, ihre, äh, Maschinen loszuwerden. Wissen Sie irgendwas darüber?»

Quelle: «Trump Media»

Ryan Germany, der Anwalt Raffenspergers, antwortet: «Nein, Dominion hat keine Maschinen aus Fulton County entfernt.» Trump bleibt hartnäckig: «Aber haben Sie Teile der Maschinen entfernt und mit anderen Teilen ersetzt?» Ryan Germany: «Nein.»

Es ist nicht die einzige Absage, die Trump hinnehmen muss. Auf seinen Einwand, «fast 5000» Tote hätten in Georgia abgestimmt, antwortet Raffensperger mit der knapp vorgetragenen Erklärung: «Die tatsächliche Zahl war zwei. Zwei! Zwei Personen waren tot. Das ist also falsch.»

«The 6th Sense» in neuem Licht: «I see dead people, but only two.»
«The 6th Sense» in neuem Licht: «I see dead people, but only two.»
Screenshot: YouTube

Der Staatssekretär fügt an, man dürfe nicht alles glauben, was auf Social Media zu lesen sei. «Das ist nicht Social Media», widerspricht der Anrufer. «Das ist Trump Media.» Raffensperger müsse sich nicht schämen: «Es ist nichts dabei, wenn man sagt, man habe sich verrechnet.»

Germany? «Sie haben einen schönen Namen»

Bei Anwalt Germany versucht es Trump mit Zuckerbrot und Peitsche. «Warum wollen Sie das nicht finden, Ryan? Was läuft falsch bei Ihnen? Ich habe tatsächlich gehört, dass Sie ein sehr schwieriger Anwalt sind, aber ich bin sicher, Sie sind ein guter Anwalt. Sie haben einen schönen Namen.»

Natürlich sei der Präsident ein grosser Fan von Deutschland, so Colbert. «Er glaubt, es gab gute Anwälte auf beiden Seiten», scherzt er mit Blick auf Trumps Aussage von 2017, es habe «gute Leute auf beiden Seiten» gegeben, als Bürger in Charlottesville, Virginia, gegen Neonazis protestiert hatten.

Was Anwalt Ryan Germany (rechts) erzählt, will Trump nicht hören – oder er kann es nicht glauben.
Was Anwalt Ryan Germany (rechts) erzählt, will Trump nicht hören – oder er kann es nicht glauben.
Screenshot: YouTube

Das Sahnehäubchen auf dieser Mélange aus plumpen Betrugsversuch und peinlicher Verzweiflung ist der Bärendienst, den Trump den Parteikollegen in Georgia erweist: Es geht um Wahlstimmen von Leuten aus Georgia, die in andere Staaten gezügelt sind. Germany erklärt, viele von denen seien aber zurückgekommen und hätten deshalb legal gewählt.

Zurück nach ... Georgia???

Das kann der Mann im Weissen Haus nun gar nicht glauben. «Wie viele Leute tun das? Sie zügeln fort, und dann sagen sie: ‹Ah, zur Hölle damit, ich zügle zurück›? Wissen Sie, das hört sich nicht ganz normal an. Sie meinen, die sind weggezogen, und dann was? Sie haben es so sehr vermisst, dass sie zurückzügeln wollten? Das ist ... das ist verrückt.»



Colbert ist ebenfalls fassungslos – natürlich ob Trumps Reaktion. Georgia sei sehr schön und sogar bekannt für seine Rückkehrer. Der Moderator erinnert an entsprechende Songs wie «Georgia On My Mind» von Ray Charles, «Midnight Train to Georgia» von Gladys Knight oder «Walkin' Back to Georgia» von Jim Croce, der nicht einmal auf den Zug habe warten wollen.

Wer The Charlie Daniels Band hört, denkt sofort auch an «The Devil Went Down in Georgia».
Wer The Charlie Daniels Band hört, denkt sofort auch an «The Devil Went Down in Georgia».
Screenshot: YouTube

«Ganz zu schweigen von ‹The Devil Went Down to Georgia›. Aber Sie werden jetzt sicherlich sagen: ‹Stephen, der Teufel ist zwar nach Georgia hinabgefahren, aber er ist nicht nach Georgia zurückgekommen!› Tatsächlich?» Colbert nimmt seine Brille ab. «Erzählen Sie das dem Nachfolger von 1993, ‹The Devil Comes Back to Georgia›!»

Am Ende kommen alle nach Georgia.
Am Ende kommen alle nach Georgia.
Screenshot: YouTube

Merke: Die USA bleiben nun mal das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Wer ist hier kriminell?

Während Trump Raffensperger und Germany warnt, sie würden sich strafbar machen, findet ein ehemaliger Staatsanwalt den Anruf des Präsidenten kriminell. «Seine beste Verteidigung wäre Unzurechnungsfähigkeit», schreibt Michael Bromwich auf Twitter.

Zumindest seien die Republikaner auf den Anruf vorbereitet gewesen: Trump habe 18 Mal versucht, Raffensperger zu erreichen, so Colbert. Den Mann, der auf Geheiss des Weissen Hauses die Stimmen in seinem Staat bereits zweimal hat nachzählen lassen.

Wie lange will Donald Trump noch versuchen, an dem Ergebnis zu rütteln? Am 20. Januar ist fertig lustig. Ganz bestimmt. Vielleicht.

Ein Bonustrack:

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