Das iranische Regime und seine Schergen «Das hat nichts mit Religion zu tun, sondern mit Machtgier»

Von Monique Misteli

18.10.2022

Proteste im Iran: Schülerinnen gehen auf die Strasse

Proteste im Iran: Schülerinnen gehen auf die Strasse

Schülerinnen gehen im Iran für ihre Rechte auf die Strasse. Dabei begeben sie sich in Gefahr: Sie müssen mit Verhaftungen rechnen.

10.10.2022

Die iranische Machtelite hat seit der Gründung des islamischen Gottestaates 1979 für die Tage der Existenzbedrohung vorgesorgt: Sie hat einen Sicherheitsapparat der Einschüchterung aufgebaut.

Von Monique Misteli

18.10.2022

Seit vier Wochen gehen generations- und schichtübergreifend die Iranerinnen und Iraner zu Tausenden auf die Strassen, um gegen das Regime der Islamischen Republik und für Freiheit zu demonstrieren.

Doch dieses schlägt zurück mit Waffen, Internetdrosselung und Inhaftierungen.

Menschen werden willkürlich von zu Hause verschleppt, von der Strasse geprügelt oder in Minibusse gezerrt und anschliessend ohne Gerichtsverfahren in Gefängnisse gesteckt.

Seit dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Mahsa Amini protestieren im Iran jeden Tag Menschen auf den Strassen für Frauenrechte und Freiheit.
Seit dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Mahsa Amini protestieren im Iran jeden Tag Menschen auf den Strassen für Frauenrechte und Freiheit.
Bild: Getty Images

Doch wie setzt sich dieser mächtige Sicherheitsapparat zusammen? Eine Übersicht des hochkomplexen Konstrukts mit Einschätzungen des Journalisten und Nahost-Experten Erich Gysling.

Polizeikräfte des Iran (NAJA)

Das ist die Dachorganisation für verschiedene Polizeieinheiten des Iran. Etwa die Verkehrs-, Internet- oder Kriminalpolizei. Dazu gehört auch die berüchtigte Sittenpolizei.

Zu Beginn war vorwiegend die Polizei aktiv, die Demonstrationen zu zerschlagen. Doch weil sie die Proteste nicht aufzulösen vermochte, hat sich die Revolutionsgarde eingeschaltet.

«Die Sittenpolizei patroulliert meist in Sechsergruppen, in der Regel zusammengesetzt mit vier Männern und zwei Frauen»

Sittenpolizei (Gašt-e eršād)

Die Sittenpolizei ist eine islamische Religionspolizei, um das «Laster» zu bekämpfen. Sie wurde 2005 geschaffen, um Personen festzunehmen, die sich nicht an die geltenden Kleidervorschriften halten. Besonders Frauen sind davon betroffen.

Erich Gysling: «Die Sittenpolizei patrouilliert meist in Sechsergruppen, in der Regel zusammengesetzt mit vier Männern und zwei Frauen.»

Seit der erzkonservative Ebrahim Raisi an der Macht ist, sei die Sittenpolizei wieder öfter unterwegs als in den Jahren 2014 bis 2021, als der liberal eingestellte Hassan Rohani das Land regierte, so Gysling.

Seither werde auch strenger kontrolliert, sagt Gysling. Nicht nur die Art, wie das Haar verschleiert wird, sondern auch für die Sittenpolizei unpassende Kleidung, zu starkes Make-up oder lackierte Fingernägel führen mittlerweile zur Verhaftung.

Die Revolutionsgarden (Pasdaran)

Nebst der regulären Armee bilden die Revolutionsgarden die offiziellen Streitkräfte des Irans.

Sie haben die Aufgabe, den Iran gegen ausländische Angriffe zu verteidigen. Neben der Landesverteidigung sind sie auch für den Erhalt der Staatsform der «Islamischen Republik» und dessen Regierung sowie der geistlichen Führungselite zuständig.

Sie nennen sich auch die «Wächter der Islamischen Revolution» und sollen über zirka 200'000 aktive Kämpfer verfügen.

1979 rief der Gründer der Islamischen Republik Ayatollah Khomeini die Revolutionsgarde ins Leben. «Khomeini zweifelte an der Loyalität der eigenen Armee», sagt Gysling. Denn die hätten alle während der Revolution für den Schah gekämpft.

Die Revolutionsgarde ist die zentrale Organisation im Sicherheitsapparat und spielt bei den jetzigen Demonstrationen eine entscheidende Rolle. Unter anderem weil sie die paramilitärischen Basidschi losschickt, die Proteste zu unterbinden.

Basidschi

Die Basidschi sind eine paramilitärische Miliz, die sich aus jungen Männern meist zwischen 15 und 18 Jahren zusammensetzt, sagt Gsyling.

Die Basidschi sind zentral in der Repression, denn sie kommen meist in Gruppen auf Töffs und zerschlagen die Demonstrationen äusserst gewaltsam, wie Gysling ausführt. Wie viele Männer den Basidschi-Milizen angehören, ist offiziell nicht bekannt.

Geheimdienst

Der iranische Geheimdienst ist berüchtigt, besonders hart gegen Oppositionelle vorzugehen. Diese Informationen beziehen sich vor allem auf Augenzeugenberichte und Beobachtung von Menschenrechtsorganisationen. Viel mehr Informationen zum Geheimdienst sind kaum bekannt.

Bei der aktuellen Protestwelle fürchten sich viele, weil sich Geheimdienstmitarbeitende als Zivilisten unter die Demonstranten mischen, diese aufspüren und dann sofort verhaften oder in der Nacht zu Hause aufsuchen und mitnehmen.

Unberechenbarer Sicherheitsapparat

Wer von dem Sicherheitsapparat wann und wo losgeschickt werde, sei reine Willkür und in jedem Fall unterschiedlich. Mal gingen die Sittenpolizei, mal die Revolutionsgarde, mal die Basidschi los, um die Proteste niederzuschlagen, sagt Gysling.

Sie alle würden dem Ruf des Regimes folgen, wie der Nahost-Experte erklärt.

Laut einer Mitteilung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International seien sämtliche iranischen Sicherheitskräfte angewiesen worden, mit «aller Härte» gegen die Demonstranten vorzugehen. Der Organisation liegen geleakte Dokumente vor, die zeigen, dass das Regime die Proteste um jeden Preis niederschlagen will.

Letzten Endes haben sie alle nur ein Ziel, sagt Erich Gysling. Die jetzige Machtelite tue alles, um sich halten zu können. Ihr brutales Vorgehen würden sie damit begründen, im Interesse des islamischen Glaubens zu handeln. «Das hat nichts mit Religion zu tun, sondern mit Machtgier», sagt Gysling.