Putin, Scholz und die Abhör-Affäre «Deutschland ist für russischen Einfluss viel empfänglicher als Frankreich oder Grossbritannien»

Philipp Dahm

4.3.2024

Nach Taurus-Abhörskandal: Aufklärung und Konsequenzen im Fokus

Nach Taurus-Abhörskandal: Aufklärung und Konsequenzen im Fokus

Der Skandal um ein mutmasslich durch Russland abgehörtes Gespräch deutscher Luftwaffen-Offiziere schlägt grosse Wellen. Die Aufklärung der Umstände und die möglichen Konsequenzen stehen jetzt im Mittelpunkt. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius rechnet sehr bald mit Ergebnissen der Prüfung des Militärischen Abschirmdienstes.

04.03.2024

Die Veröffentlichung eines Gesprächs von deutschen Offizieren über den Taurus-Marschflugkörper schlägt hohe Wellen. Sie soll Kräfte am linken und rechten Rand ansprechen, erklärt der Russland-Kenner.

Philipp Dahm

4.3.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Veröffentlichung eines am 19. Februar abgehörten Gesprächs unter Bundeswehroffizieren gibt in Deutschland zu reden.
  • Russland-Experte Ulrich Schmid: Wladimir Putin weiss, «dass Deutschland für eine russische öffentliche Einflussnahme viel empfänglicher als Frankreich oder Grossbritannien ist».
  • Insbesondere der «linke und rechte Rand des politischen Spektrums» soll so im Nachbarland angesprochen werden.
  • Damit wolle der Kreml «Zwietracht in der deutschen Gesellschaft» säen, meint Schmid.
  • Ein Ex-Chef des deutschen Geheimdienstes BND fürchtet, dass der Leak nur «die Spitze des Eisbergs» gewesen sei.
  • Putins Kettenhund bezeichnet die Deutschen als «Krauts», «ewige Rivalen» und «Erzfeinde».

Margarita Simonjan ist ein Sprachrohr des Kremls: Die Chefin der staatlichen Medienagentur Rossija Sewodnja ist regelmässig im TV zu sehen. Mal sagt sie, der Ukraine sei doch Odessa, die Krim und die Kommunistische Partei geschenkt worden. «Und sie haben Mütterchen Russland nie dafür gedankt. Nein, sie haben unsere Leute, uns, Russland, zerstört.»

Beim Interview Tucker Carlsons mit Wladimir Putin habe sie weinen müssen: «Es war das erfolgreichste, signifikanteste und wahrlich historische Medienereignis im Journalismus in der Geschichte der Menschheit.»

Und dann wiederum erklärt Simonjan, was «wirklich» mit Alexej Nawalny passiert ist: «Das Timing wirft grosse Fragen auf: Es ist total offensichtlich, dass das der russischen Regierung nicht hilft. Aber für [den Westen] ist das Timing exzellent.»

«In Deutschlands Nachrichten ist es Nummer eins»: Margarita Simonjan freut sich über das Medienecho auf ihre Telegram-Publikation in Deutschland.
«In Deutschlands Nachrichten ist es Nummer eins»: Margarita Simonjan freut sich über das Medienecho auf ihre Telegram-Publikation in Deutschland.
Screenshot: Telegram

Kurz: Die 43-Jährige ist ganz auf Kreml-Linie. Wenn es also ausgerechnet Simonjan ist, die ein abgehörtes Gespräch von Bundeswehrsoldaten auf Telegram veröffentlicht, dann weiss Moskau nicht nur sicher darüber Bescheid. Man darf annehmen, dass die Publikation auch von Wladimir Putin initiiert worden ist.

«Deutschland für eine Einflussnahme viel empfänglicher»

Wie auch immer Russland in den Besitz der Aufnahme kam: Der «Lausch-Skandal erschüttert Deutschland», schreibt stellvertretend «Bild». Das Land «hat mal wieder die Hosen runter». Und weiter: «Moskau tut so, als plane Berlin den Marsch nach Moskau. Eine Lüge!»

Hat sich Olaf Scholz dieses Debakel selber eingebrockt? Der deutsche Kanzler ist zuletzt als Zauderer in Erscheinung getreten: Während London und Paris ungerührt die Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp an Kiew liefern, lehnt Scholz ein Taurus-Export ab, weil Putin sonst denken könnte, Deutschland beteilige sich direkt am Krieg in der Ukraine.

Scholz zu Taurus-Mitschnitt – «sehr ernste Angelegenheit»

Scholz zu Taurus-Mitschnitt – «sehr ernste Angelegenheit»

Angesichts der Berichte über einen in Russland veröffentlichten Mitschnitt eines Bundeswehr-Gesprächs über den Marschflugkörper Taurus kündigt der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz eine Aufklärung des Falls an.

02.03.2024

Hat Scholz den Kreml damit ermutigt, Berlin zur Zielscheibe zu machen? «Nein», meint Russland-Kenner Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen, «aber Russland weiss, dass Deutschland für eine russische öffentliche Einflussnahme viel empfänglicher als Frankreich oder Grossbritannien ist.»

«Zwietracht in der deutschen Gesellschaft gesät»

Der Slawist nennt auch den Grund: «Am linken und rechten Rand des politischen Spektrums gibt es in Deutschland Vertreter einer ‹Friedenspartei›, die sich für ein Ende der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine einsetzen. Es geht darum, der deutschen Öffentlichkeit zu zeigen, dass die militärische und politische Führung die von Scholz selbst gezogene rote Linie – Deutschland wird nicht Kriegspartei – überschreitet.»

Kremlchef Wladimir Putin lenkt Alice Weidel und Sahra Wagenknecht: Der Mainzer Karnevalswagen wurde am 6. Februar fotografiert.
Kremlchef Wladimir Putin lenkt Alice Weidel und Sahra Wagenknecht: Der Mainzer Karnevalswagen wurde am 6. Februar fotografiert.
Keystone

Putin verfolge ein klares Ziel: «Damit soll Zwietracht in der deutschen Gesellschaft gesät werden. Der Kreml rechnet damit, dass solche internen Debatten die deutsche Militärhilfe für die Ukraine schwächen werden.» Ins selbe Horn stösst Carlo Masala von der Bundeswehruniversität München.

Der Vorgang wie auch die öffentliche Reaktion darauf stellen sicher, «dass Olaf Scholz die Taurus definitiv nicht an die Ukraine liefern wird», sagt der Politikwissenschaftler der «Bild». «Es geht um Spaltung. Es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben», sagt auch Boris Pistorius.

«Leak könnte nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein»

Der deutsche Verteidigungsminister wertet die Signale aus Russland als «hybriden Angriff zur Desinformation». Sein Ministerium prüft nun fieberhaft, wie Moskau das Gespräch der Bundeswehroffiziere abhören konnte – und was der Kreml noch alles weiss. 

Boris Pistorius (links) und Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) besuchen am 12. Februar mit CEO Armin Papperger ein Rheinmetall-Werk im deutschen Unterlüss.
Boris Pistorius (links) und Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) besuchen am 12. Februar mit CEO Armin Papperger ein Rheinmetall-Werk im deutschen Unterlüss.
Keystone

«Dieser Leak könnte nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein», spekuliert ein früherer Chef des Geheimdienstes BND. «Normalerweise werden erfolgreiche Abhöraktionen nicht öffentlich gemacht, um der Quelle nicht zu schaden», sagt August Hanning der «Bild».

Während sich die Bundesrepublik bemüht, das Leck in den eigenen Reihen ausfindig zu machen, poltert Putins Kettenhund kräftig gegen Berlin. «Unsere ewigen Rivalen – die Deutschen – haben sich wieder mal als unsere Erzfeinde herausgestellt», schreibt Dmitri Medwedew auf Telegram

«Fürchterliche Woche für Deutschland»

Und weiter: «Schaut, wie sorgfältig und detailliert die Krauts Angriffe auf unser Territorium mit Langstreckenraketen diskutieren, die zu treffenden Ziele auswählen und erörtern, wie man unserem Mutterland und unserem Volk grösstmöglichen Schaden zufügen kann.»

Wie wirkt das Narrativ vom kriegerischen Deutschland nach innen? «Die deutsche Aussenpolitik wird vom Imperativ beherrscht», schickt Ulrich Schmid voraus: «Nie wieder Krieg. Die Einflussnahme des Kreml fällt hier auf eine weit verbreitete pazifistische Haltung.»

Schmid erklärt: «Wenn nun deutsche Generäle über die Zerstörung der Krimbrücke spekulieren, wird das deutsche Verteidigungsministerium und natürlich auch der Kanzler in der breiten deutschen Öffentlichkeit diskreditiert. Und das wiederum spielt dem Kreml in die Hände.»

Markus Söder, Chef der deutschen CSU, sieht nach den Vorgängen «eine Menge an Diskussionsbedarf». «Das Ganze war jetzt, unter uns gesagt, auch 'ne fürchterliche Woche für Deutschland», sagte der bayerische Ministerpräsident in der ARD. Er verwies neben dem Abhörskandal auf den «Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich, auf offener Bühne ausgetragen – ich glaube zum Gelächter im Kreml».

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12.04.2023

Mit Material von dpa.