Brutaler Anti-Drogenkampf Die Mütter von Manila: Vereint gegen Duterte

Christoph Sator, dpa

3.5.2018

Auf den Philippinen geht der brutale Feldzug von Präsident Duterte gegen Drogen ins dritte Jahr. An die Toten hat sich das Land fast gewöhnt. Doch nun formiert sich erstmals grösserer Widerstand: von Hinterbliebenen. Was können die Mütter der Opfer ausrichten?

Das Leben ihres Sohnes trägt Emily Soriano jetzt immer in einer blauen Mappe mit sich herum. Das Foto, wie Angelito so verschlafen in die Kamera guckt. Sein Schulausweis als Achtklässler. Dann, nur ein paar Tage vor seinem Tod, ganz stolz auf seinem lila Fahrrad. Schliesslich: sein dünner Körper auf einem Steinboden, von Kugeln zerschossen, furchtbar verdreht. Es sind schon Ameisen darauf. Die linke Hand, ganz blutig, liegt vor dem Gesicht.

Emilys Sohn ist eines von offiziell 4100 Todesopfern des brutalen Anti-Drogen-Krieges, den Polizei und Militär auf den Philippinen führen, seit Präsident Rodrigo Duterte an die Macht kam. In ein paar Tagen geht der Feldzug ins dritte Jahr. Menschenrechtler schätzen, dass die Zahl der Toten viel zu niedrig angegeben wird. Sie gehen von mindestens 13'000 aus, manche sogar von 20'000 und mehr. Die genaue Zahl kennt niemand. International gibt es viel Kritik. Aber Duterte macht weiter.

Warum musste Angelito sterben?

Angelito war 15, als er kurz nach Weihnachten 2016 erschossen wurde, in Bagong Silang, einem der Slum-Vororte der Hauptstadt Manila, zusammen mit sechs anderen Jugendlichen. An jenem Abend machte das Gerücht die Runde, dass es in einem Jugendtreff eine Polizei-Razzia gegeben habe, nach demselben Muster wie so oft: Zivilfahnder stürmen eine Wohnung, viele Schüsse, dann liegen Tote auf dem Boden.

Auch Emily wusste, dass in dem Haus mit Chrystal Meth gehandelt wurde, der Billigdroge, die auf den Philippinen Shabu heisst. «Ich habe meine Kinder immer wieder davor gewarnt, in dieses Haus zu gehen. Doch ich hatte eine böse Ahnung», sagt Emily. Ihr Gefühl trog sie nicht. Als sie in dem Haus ankam, war Angelito längst tot. Sie schwört aber bei allen Heiligen, dass ihr Sohn nie Drogen nahm.

Bei der Obduktion hatte er keine Spuren von Drogen im Körper. Auch am Tatort wurde nichts gefunden. Die Polizei behauptet trotzdem, dass es eine Abrechnung zwischen Drogen-Gangs war.

Die Frauen schliessen sich zusammen

Emily hatte Duterte 2016 nicht gewählt. Aber anfangs gehörte sie zu den Leuten, die seine harte Linie gut fanden. «Dass unser Land ein Drogenproblem hat, kann man nicht bestreiten», sagt sie. Der Inselstaat ist ein Riesenmarkt für die Drogenmafia. Zwischen zwei und vier Millionen Filipinos sollen Shabu verfallen sein. Vor allem die Armen versuchen, sich damit ihr Schicksal schön zu rauchen.

Heute will sie von Dutertes vollmundigen Sprüchen nichts mehr wissen. Dessen Geprahle, auch selbst schon Kriminelle erschossen zu haben, nennt sie «ekelhaft». Die 49-Jährige gehört nun zu einem Bündnis von mehreren Dutzend Hinterbliebenen unter dem Namen «Rise Up» («Steh' auf»). Auffällig, dass viel mehr Frauen darunter sind als Männer: Mütter, Ehefrauen, Freundinnen. Manchmal gehen sie jetzt auch schon zusammen gegen Duterte auf die Strasse.

Emily hat nun Klage eingereicht. «Ich muss wissen, wer die Mörder meines Sohns sind. Irgendwo bei der Polizei muss es eine Akte zu der Razzia geben, aber die wird versteckt.» So ist das heute auf den Philippinen, einem hochkatholischen Land. Kaum eine der «aussergerichtlichen Tötungen» hat die Polizei bislang aufgeklärt.

Er nennt sich «Duterte Harry»

Die eigentliche Schuld gibt Emily aber Duterte. «Er ist es, der zur Rechenschaft gezogen werden muss. Niemand sonst.» In den letzten Monaten hat er etwas Popularität verloren. Aber mehr als zwei Drittel der Filipinos geben an, dass sie mit ihm zufrieden sind.

Für viele ist der Anti-Drogen-Krieg wie ein Hollywood-Film: Solange sie selbst nicht betroffen sind, haben sie wenig dagegen. Dazu passt, dass sich Duterte - in Anlehnung an eine Filmrolle von Clint Eastwood - «Duterte Harry» nennen lässt. Dass es jetzt sogar eine Netflix-Serie darüber gibt, macht viele Filipinos sogar stolz.

Maria Victoria Dagohoy kann mit solchen Glorifizierungen nichts anfangen. Die 41-Jährige, ebenfalls aus Bagong Silang, hat im März ihren Sohn John Paul verloren. Der 17-Jährige war mit Freunden auf der Strasse unterwegs, als zwei Männer auf einem Motorrad heranrasten und schossen. Dann verschwanden sie wieder im Verkehrschaos.

Die Mutter vermutet, dass ihr Sohn im Auftrag eines Beamten erschossen wurde, mit dem er Streit hatte. Oder dass er verwechselt wurde. Beweisen kann die 41-Jährige das nicht. «Mit Shabu», sagt sie, «hatte er jedenfalls nie etwas zu tun.»

Die internationale Kritik prallt ab

Inzwischen sind die Razzien weniger geworden. Man hat sich daran gewöhnt. Internationale Kritik weist die Regierung zurück. Auch auf den Philippinen gibt es nun aber immer mehr Leute, die Duterte nicht mehr alles durchgehen lassen wollen. Der Ex-Senator Neri Colmenares gehört zu den Anwälten, die «Rise Up» helfen. Mit drei bislang nicht aufgeklärten Fällen beschäftigt sich jetzt die Justiz - ein minimaler Fortschritt, aber immerhin.

Der Anwalt spricht von einer «regelrechten Infrastruktur für aussergerichtliche Tötungen», die vom Präsidenten gedeckt würden. Und hofft aufs Ausland. «Duterte wird erst aufhören, wenn ihm seine Berater sagen, dass die Philippinen international zum Aussätzigen werden.»

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