Sechs Monate Corona Eine halbe Million Tote – und noch kein Impfstoff in Sicht

dpa/tafu

30.6.2020

Ein winziges Virus hat die Menschheit vor sechs Monaten in eine beispiellose Krise gestürzt – und zu intensivster Forschungsarbeit geführt. Denn nur ein Impfstoff kann die Pandemie wirklich stoppen.

Vom chinesischen Wuhan um die ganze Welt: Selten trifft eine Krise so weltumspannend alle Menschen wie in diesem Jahr Corona. Sechs Monate nach ersten Meldungen über ein mysteriöses neues Virus sind weltweit mehr als 10 Millionen Infektionen und 500'000 darauf zurückgehende Todesfälle registriert. Die Dunkelziffer nicht erfasster Infektionen und Todesfälle gilt als immens.

Wohl niemand ahnte Anfang des Jahres, welches Ausmass die Pandemie bekommen und welch schlimme Folgen sie für Wirtschaft und Gesellschaft haben würde. Anfang Dezember, vielleicht schon im November, treten in der Millionenmetropole Wuhan erste Fälle einer bis dahin unbekannten Lungenerkrankung auf. Am 31. Dezember werden sie offiziell an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldet. Ein Tiermarkt gilt als Ursprung der Ansteckungswelle.



Im Februar sagt der Berliner Virologe Christian Drosten: «Ich glaube nicht mehr daran, dass eine Pandemie vermeidbar ist.» Und so immens die Infektionszahlen inzwischen wirken: Wir stehen noch immer am Anfang. Etwa 7,8 Milliarden Menschen leben auf der Erde. Selbst ein sehr ansteckendes Virus braucht eine Weile, eine solche Population zu erobern – zumal alle Regierungen der Welt mit gezielten Massnahmen gegensteuern, wenn auch manche nur verhalten.

Vor sechs Monaten eroberte Corona die Welt: Mediziner in Schutzkleidung gehen im Februar in Japan an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, auf dem es Covid-19-Fälle gab.
Vor sechs Monaten eroberte Corona die Welt: Mediziner in Schutzkleidung gehen im Februar in Japan an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, auf dem es Covid-19-Fälle gab.
Bild: Keystone

Februar: Coronavirus erreicht die Schweiz

Am 24. Februar wird der erste Schweizer positiv auf das Coronavirus getestet. Bereits im Januar gab es erste Verdachtsfälle, doch infiziert hatte sich im Land noch niemand. Nun reagiert der Bund mit Einschränkungen: Die Situation wird als «besondere Lage» eingestuft und ein Verbot von Veranstaltungen mit mehr als 1'000 Personen ausgesprochen.

Trotz erster Massnahmen: Am 5. März stirbt der erste Patient in der Schweiz an den Folgen einer Corona-Erkrankung. Die Bevölkerung wird vom Bundesrat dazu aufgerufen, die Hygiene-Regeln zu beachten und zum Social Distancing überzugehen.


Die Coronavirus-Krise: Eine Chronologie


Mitte März erklärt der Bundesrat die «ausserordentliche Lage». Schulen werden geschlossen, ebenso Restaurants, Märkte, Bars und Unterhaltungsbetriebe. Der Lockdown erreicht seinen Höhepunkt.

Mai: Krise überstanden?

Erste Lockerungen folgen Ende April, ab dem 11. Mai öffnen Schulen und Restaurants wieder ihre Türen. Anfang Juni fallen die allermeisten Regulationen wieder weg. Auch Versammlungen von 300 Personen sind wieder möglich. Mit der Entspannung mehren sich auch kritische Stimmen, die sagen, der Lockdown sei eigentlich gar nicht nötig gewesen.

Im Nachbarland Deutschland wird das Infektionsgeschehen nun von einzelnen Ausbrüchen wie beim Schlachtbetrieb Tönnies in Ostwestfalen bestimmt. Während in der Schweiz die Zahl der Neuinfektionen zwar konstant niedrig bleibt, geschehen auch hier einzelne grössere Ausbrüche.



Und auch in der Schweiz ist das Virus nicht besiegt. Am 21. Juni kommt es im Kanton Zürich zum ersten sogenannten «Superspreader-Event». Ein Mann, der in einem Stadtzürcher Club war, wurde positiv auf Covid-19 getestet. Fünf weitere Personen, die mit ihm im Club waren, entwickelten Symptome und wurden ebenfalls positiv auf das Coronavirus getestet. Um die Infektionskette zu unterbrechen, ordnete der Kantonsärztliche Dienst für die knapp 300 Gäste und Angestellten des Clubs eine zehntägige Quarantäne an.

Trügerische Ruhe vor dem Sturm

Solche Vorfälle lassen die sonst ruhige Situation trügerisch wirken und geben einer entscheidenden Frage neuen Auftrieb: Kommt sie, die zweite Welle? Eine sichere Antwort darauf haben Experten nicht.

Der deutsche Virologe Christian Drosten blickt skeptisch in die Zukunft: «Ich bin nicht optimistisch, dass wir in einem Monat noch so eine friedliche Situation haben wie jetzt, was die Epidemietätigkeit angeht.» Man müsse alle Alarmsensoren wieder anschalten. Die Bevölkerung müsse einsehen, dass die Gesundheitsbehörden Unterstützung und Konsens bräuchten.



Derweil läuft die Suche nach Medikamenten gegen die vom Virus verursachte Krankheit Covid-19 auf Hochtouren. Derzeit hat ein einziger Wirkstoff – Remdesivir – in den USA und Japan eine Sonderzulassung gegen Covid-19. In der EU empfiehlt die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) Ende Juni die Zulassung, die Zustimmung durch die EU-Kommission gilt als Formsache.

Mitte Juni werden vorläufige Studiendaten zum Entzündungshemmer Dexamethason bekannt: Der Wirkstoff senkt demnach die Sterberate bei künstlich beatmeten Patienten um ein Drittel. Für eine abschliessende Beurteilung sei es aber zu früh, warnen Experten.

Klar sind inzwischen auch einige Faktoren, die zu einer bedrohlichen Erkrankung führen. «Wir wissen mittlerweile, dass es bei schweren Verläufen neben der Entzündung der Lunge häufig zu Gerinnungsstörungen kommt, die die Behandlung erschweren», nennt Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, ein Beispiel. Behandelt werde nun von Anfang an prophylaktisch mit gerinnungshemmenden Medikamenten.

Nur der Impfstoff ist das Ende

Ein echtes Aus für die Pandemie könnte ohnehin nur ein Hilfsmittel bringen: wirksame Impfstoffe. Ob ein Impfstoff noch in diesem Jahr für erste Massenimpfungen zur Verfügung stehen wird, ist fraglich – zudem muss der erste Impfstoff nicht zwingend der mit der besten Schutzwirkung sein. Die Schnelligkeit dürfe nicht zulasten der Sicherheit gehen, wird immer wieder gemahnt.



Im Juni laufen weltweit mindestens 130 Impfstoff-Projekte, einige Kandidaten werden bereits am Menschen getestet. Am weitesten fortgeschritten ist die Forschung am Impfstoff AZD1222, entwickelt an der britischen Universität Oxford. Etliche Länder haben mit dem Konzern AstraZeneca Verträge über insgesamt mindestens zwei Milliarden Dosen dieses Impfstoffes abgeschlossen.

Auch die Schweiz hat bei Firmen, die an einem Impfstoff forschen, bereits mit einem Betrag in Höhe von 100 Millionen Franken vorreserviert – ohne zu wissen, wann dieser verfügbar sein wird.

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