Late Night USA «Einige sagten, sie hoffen, mein Sohn stirbt. Sie haben meine Frau bedroht»

Von Philipp Dahm

12.5.2020

Immer Ärger mit Trump: Für Jimmy Kimmel wird es persönlich.
Immer Ärger mit Trump: Für Jimmy Kimmel wird es persönlich.
Screenshot:  YouTube

Jimmy Kimmel hat einen rechten Shitstorm am Hals, nachdem seine Late-Night-Show unsauber gearbeitet hat. Nach Todesdrohungen entschuldigt er sich beim Weissen Haus – wenn man es so nennen will.

«Jimmy Kimmel Live» hat scheinbar einen Coup hingelegt: Die Late-Night-Show des amerikanischen TV-Senders «ABC» landet am Freitag, 8. Mai, mit einem Ausschnitt der Show vom Vortag einen viralen Hit – der auf dem offiziellen Twitter-Account aber nicht auffindbar ist. Genauer: nicht mehr. Denn das Stück hat dem Anschein nach eine mittlere Staatsaffäre ausgelöst.

Was ist passiert? Mike Pence hat am 7. Mai eine medizinische Einrichtung besucht, um kamerawirksam eine Sendung mit medizinischem Bedarf abzuliefern. Kimmel kommentierte die Bilder in seiner Sendung so:

«Hier ist er – ohne Maske –, wie er Pakete mit Schutzkleidung in ein Gesundheitszentrum rollt. Er gibt sein Bestes, was für ein Held! Bringt die Pakete kaum bis zur Tür. Weil das so gut lief und auch weil er nicht wusste, dass sein Mikro noch an war, beschloss Magic Mike, weiterzumachen. Hören Sie genau hin.»

PR-Stunt geht nach hinten los

Pence nähert sich erneut dem Wagen des Paketboten, in dem noch einige Pakete stehen. «Die sind leer, Sir», sagt der Lieferant. «Wir können weiter», ergänzt einer aus dem Stab des Vizepräsidenten. Pence scherzt: «Kann ich nicht die leeren abliefern – nur für die Kamera?» Der Pöstler antworte: «Na, klar.» Kimmels Fazit: «Pence, der so tut, als würde er Pakete mit Schutzausrüstung bringen, ist die perfekte Metapher dafür, was er ist und was er macht: Eine grosse, leere Box liefert grosse, leere Boxen.»

Ein Fressen für die Opposition: «Mike Pence bei PR-Stunt erwischt» twittert Demokrat Matt McErmott. Buzzfeed-Journalist David Mack widerspricht: Das Video sei unglücklich geschnitten worden. Der Paketbote antwortet Pence: «Na, klar – die wären deutlich leichter gewesen.» Der Republikaner hat also keine Fake-Pakete geliefert. Late-Night-Host Kimmel ringt sich danach zu einer Entschuldigung durch – doch damit ist die Angelegenheit noch lange nicht vorbei.

Shitstorm des Trump-Lagers

Das Büro des Vizepräsidenten fordert von Kimmel eine Entschuldigung vor laufender Kamera. Und sein Boss macht mit einem Retweet ein viel grösseres Publikum auf die Sache aufmerksam.

Auch Sonntag treibt Donald Trump das Thema noch um.

Am Montag antwortet «Jimmy Kimmel Live»: «Es war der vielleicht verrückteste Muttertag überhaupt. Besonders für mich: Ich habe einige Zeit des Tages mit einem Twitter-Zank mit dem Baby im Weissen Haus verbracht. Dem mit dem orangefarbenen Gesicht.» Er habe eine dieser «peinlichen Foto-Einsätze» von Mike Pence gezeigt, rekapituliert der Moderator. «Es war ein PR-Stunt, um zu zeigen, wie viel sie tun, aber so ist das nun mal in der Politik.»

Nach der Entschuldigung...

Der Ärger habe mit Pences Spruch über die leeren Pakete begonnen. «Ich habe es nicht gewusst, weil ich nur einen Teil des Videos gesehen habe, aber er hat bloss gescherzt. Unter dem Strich lag ich falsch. Er hat einen Witz gemacht, ich habe es nicht gewusst. Ich habe einen Fehler gemacht, und als mir das bewusst wurde, habe ich Verantwortung übernommen, das Video vom Netz genommen und mich auf Twitter entschuldigt.»

Das war einigen aber nicht genug. «Es gab hunderte schrecklicher, hasserfüllter und manchmal gewaltvoller Twitter- und Facebook-Posts, weil ich ein angeblich manipuliertes Video gezeigt habe», berichtet Kimmel. «Einige dieser Verrückten besitzen die Kühnheit, sich in ihren Beschreibungen Christen zu nennen, was sie nicht davon abhält, mir, meiner Familie und meinem Kind den Tod zu wünschen. Einige sagten, sie hoffen, dass mein Sohn stirbt. Sie haben meine Frau bedroht.»

Dass ihm aber nun gerade das Trump-Lager Vorwürfe mache, das immer wieder manipulierte Anzeigen und Videos von den sozialen Netzwerken entfernen müsse, wurme Kimmel: Mike Pences Sprecher habe gleich fünf verärgerte Tweets abgesetzt, sein Büro von ihm einen Kotau live auf Sendung gefordert.

... ist vor der Entschuldigung

«Das ist alles, was sie im Sinn haben, während Tausende Amerikaner jeden Tag ihr Leben lassen – Witze von Late-Night-Hosts. Aber okay, es war mein Fehler, ich entschuldige mich erneut beim Vizepräsidenten für das Verbreiten von Falschnachrichten», sagte Kimmel dann.

Und da er das nun getan habe, fordere er nun Mike Pence auf, seinen Boss nahezulegen, sich zu entschuldigen. Donald Trump, «der jedes Mal lügt, wenn nicht ein McNugget in seinem Mund ist», habe folgende Anstandsregeln gebrochen, für die er um Vergebung bitten solle:

«Die Trennung Tausender Migrantenkinder von ihren Eltern, Einladung der Taliban ins Camp David, Bevorzugung Putins vor dem Geheimdienst, die Bezeichnung ‹sehr feine Leute› für Neonazis, der Missbrauch von Wahlspenden, um einen Pornostar zum Schweigen zu bringen, das Verunglimpfen einer 16-jährigen Klimaaktivistin, das Verunglimpfen von Christine Blasey Ford, Behinderung der Justiz, das Ignorieren von Virus-Warnungen, das Relativieren der Corona-Gefahr [und] der falsche Umgang mit dem Coronavirus.»

Twitter-Battle

Der Präsident habe am Sonntag nicht nur ihn bedacht, sondern im Durchschnitt alle siebeneinhalb Minuten einen Tweet oder Retweet rausgelassen: «Beeindruckend», frotzelt Kimmel. Trump ignoriere die Pandemie und seine Frau am Muttertag. Er habe bloss geantwortet:

Screenshot: YouTube

Kleinlicher Social-Media-Streit sei alles, was das Weisse Haus interessiere, so Kimmel: «Es ist wirklich die dümmste Zeit, um am Leben zu sein. Ich dachte, wenn ich mal einen Twitter-Krieg führe, dann mit Präsident Kanye [West] im Jahr 2028, aber nun ist es schon vorher passiert.»

Late Night USA – Amerika verstehen

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Aber Kimmel hat auch noch was für Mike Pence – zu sehen ab Minute 6:30. Der Vizepräsident sollte sich in Iowa mit Grössen der Ernährungsindustrie treffen. Ein Clip zeigt, dass fünf Manager mit Mundschutz auf Mike Pence warten. Eine Dame kommt elf Minuten vor Pences Eintreffen, flüstert den Männern etwas ins Ohr – und diese entfernen ihre Masken, damit sie den Vizepräsidenten nicht als unverantwortlich erscheinen lassen. «Mike Pence ist ein sehr, sehr böser Bube. Er ist wild. Das Video war übrigens nicht manipuliert.»

Aber dann zeigt Kimmel, was heute alles möglich ist: Ab Minute 7:17 präsentiert er erst einen Tiktok-Clip eines kleinen Mädchens, das herzig leugnet, ins Hundefutter gefasst zu haben – und montiert dann Trumps Gesicht darauf, der dann weinerlich unangenehme Reporter-Fragen verneint. Wer nicht lacht, kann staunen, wie weit die Deep-Fake-Technik heutzutage ist.

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