FlüchtlingeFlüchtlinge wollen nicht in libysche «Hölle»
SDA
28.3.2019 - 11:55
Der bizarre Fall zeigt das Chaos, das bei der Seenotrettung herrscht. Gerettete Flüchtlinge bringen ein Handelsschiff in ihre Gewalt und steuern es Richtung Malta. Ihr Ziel: Bloss nicht in die libysche «Hölle» zurück. Maltas Armee geht mit Maschinenpistolen an Bord.
Die maltesische Armee hat die Kontrolle über ein Handelsschiff übernommen, das gerettete Bootsflüchtlinge in ihre Gewalt gebracht und eigenmächtig Richtung Malta gesteuert hatten. Der Frachter mit 108 Flüchtlingen wurde von Helikoptern und Militärschiffen zur Hauptstadt Valletta eskortiert, wo er am Donnerstagmorgen anlegte. Fünf Menschen wurden festgenommen, wie die Nachrichtenagentur DPA erfuhr.
Der Kapitän habe mehrmals versichert, dass einige Flüchtlinge ihn und die Crew bedroht hätten, teilte die Armee mit. Eine Spezialeinheit sei an Bord gegangen und habe die «El Hiblu 1» dann dem Kapitän zurückgegeben.
108 Menschen gerettet
Der Frachter soll 108 Menschen vor der libyschen Küste gerettet haben. Darunter waren auch 19 Frauen und 12 Kinder. Eine Gruppe soll dann das Schiff am Mittwoch nach maltesischen Angaben «entführt» haben, weil die Geflüchteten nicht in das Bürgerkriegsland Libyen zurück wollten.
Die deutsche Hilfsorganisation Sea-Eye, die eine Beobachtermission vor Libyen unterhält, erklärte, ein europäisches Marineflugzeug habe dem Frachter die Position von zwei Schlauchbooten in Not mitgeteilt und den Kapitän zur Hilfe aufgefordert. Die libysche Küstenwache sei demnach «ausser Betrieb» gewesen.
Der Kapitän habe dann «unmissverständlich» mitgeteilt, dass die Menschen sehr aufgebracht seien und nicht zurück nach Libyen wollen. «Diese Geretteten haben die Hölle hinter sich und stehen nun wenigen überforderten und unvorbereiteten Besatzungsmitgliedern eines Frachtschiffes gegenüber, die ihnen zu erklären haben, dass sie genau an jenen Ort zurückgebracht werden, den sie unter Einsatz ihres Lebens zu entkommen versuchten», sagte Gorden Isler, Sprecher von Sea-Eye.
Laut Medienberichten stammt der Kapitän aus der Türkei, das Schiff habe seine Reise demnach auch dort begonnen, fahre aber unter der Flagge des Inselstaats Palau.
Internationale Verpflichtungen einhalten
Nach dem Anlegen in der Hauptstadt Valletta durften erst Frauen und Kinder aussteigen. Auf Bildern war zu sehen, wie kleine Kinder von Bord getragen wurden.
Maltas Premierminister Joseph Muscat erklärte auf Twitter, nun «allen internationalen Regeln entsprechend» vorzugehen. «Wir entziehen uns trotz unserer Grösse nicht unserer Verantwortung.» Die Insel Malta ist der kleinste EU-Staat.
Sowohl Italien als auch Malta wollen Bootsflüchtlinge nicht aufnehmen, solange es keinen EU-weiten Verteilmechanismus gibt. Vor der libyschen Küste sind kaum mehr Rettungsschiffe im Einsatz, die Boote von Hilfsorganisationen wurden immer wieder lange auf dem Meer blockiert oder aus dem Verkehr gezogen.
Auch die EU hat ihren Marineeinsatz vor der libyschen Küste gestoppt. Die Entscheidung sieht vor, bei der Anti-Schlepper-Operation Sophia vorerst nur noch Luftaufklärung zu betreiben und libysche Küstenwache auszubilden.
Unmenschliche Bedingungen
Die Küstenwache soll die Flüchtlinge wieder in das Bürgerkriegsland bringen, wo den Menschen schwere Misshandlungen drohen. Die Uno-Antifolterkonvention verbietet es, Menschen in Länder abzuschieben, in denen ihnen Misshandlung droht.
Hilfsorganisationen sprechen von unmenschlichen Bedingungen in Libyen und gar von «Konzentrationslagern», in denen die Flüchtlinge auch Folter ausgesetzt seien. Im November hatten sich etwa 90 Menschen geweigert, ein Containerschiff zu verlassen, das sie nach Libyen zurückgebracht hatte.
Gemäss internationalem Seerecht sind alle Küstenstaaten verpflichtet, in ihrem Seegebiet die Rettung Schiffbrüchiger durch geeignete Mittel sicherzustellen. Die Rettung hilfsbedürftiger Menschen auf See ist zudem eine Verpflichtung aller Schiffe. Viele Handelsschiffe sind wegen der unklaren Lage im Konflikt, Menschen zu retten, dann aber tagelang auf dem Meer blockiert zu werden.
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