Closeup US-Wahlen Frühwähler stehen stundenlang in der sengenden Sonne

Von Rene Sollberger, Las Vegas

25.10.2020

Stolz, schon gewählt zu haben: Noch nie gab es bei einer Präsidentschaftswahl in den USA so viele Frühwähler. Deutet dies auf eine ausserordentlich hohe Stimmbeteiligung hin?
Stolz, schon gewählt zu haben: Noch nie gab es bei einer Präsidentschaftswahl in den USA so viele Frühwähler. Deutet dies auf eine ausserordentlich hohe Stimmbeteiligung hin?
Bild: Getty

Kaum haben in Las Vegas die ersten Wahllokale geöffnet, strömen die Menschen an die Urne. Es sind so viele wie noch nie. Ich bin schockiert über die langen Warteschlangen, die mich an Bilder aus Krisenregionen erinnern.

Es ist nicht mehr hochsommerlich heiss in Las Vegas, aber das Thermometer steht immer noch über 30 Grad Celsius. Stahlblauer Himmel. Die Sonne brennt. Seit dem Morgen sind in Nevada die ersten Wahllokale offen – gut zwei Wochen vor dem offiziellen Wahltermin, dem 3. November.

Ich suche vor dem Supermarkt am Blue Diamond Crossing einen Parkplatz. Das riesige Partyzelt, das als Wahllokal dient, ist schon von weitem zu sehen. Dann erkenne ich auch die schier endlose Menschenschlange, die sich gut organisiert kreuz und quer über den Parkplatz windet. Unglaublich, denn wir sind ja nicht in einem Entwicklungsland. Das hier ist doch Amerika, die mächtigste Wirtschaftsnation der Welt.



So sieht der Teil der Wahlzettel aus, in dem es um die Wahl eines Präsidenten und Vizepräsidenten geht. Neben den beiden Kandidaten der beiden grossen Parteien versuchen es immer auch chancenlose Aussenseiter.
So sieht der Teil der Wahlzettel aus, in dem es um die Wahl eines Präsidenten und Vizepräsidenten geht. Neben den beiden Kandidaten der beiden grossen Parteien versuchen es immer auch chancenlose Aussenseiter.
René Sollberger
Im Fokus: US-Wahlen 2020

Amerika wählt: «blue News» begleitet die heisse Phase des Duells um das Weisse Haus nicht nur mit dem Blick aus der Schweiz, sondern auch mit Berichten von Schweizer Journalisten, die in den USA leben. Trump oder Biden? Am 3. November wird gewählt – nicht nur der Präsident, sondern auch ein Drittel des Senats, das komplette Repräsentantenhaus sowie in elf Staaten der Gouverneur.

Hunderte harren hier mehrere Stunden aus, um ihre Stimme abzugeben. Dafür stehen im Zelt Kabinen zur Verfügung, die mit blauen Vorhängen unterteilt sind. Aber vorher wird die Identität geprüft und mit der Liste der registrierten Wähler abgeglichen. Das dauert. Manche der Wartenden haben als Sonnenschutz einen Schirm aufgespannt. Helfer verteilen Wasser. Die Stimmung ist ruhig und friedlich. Auch im Innern des Zelts herrscht Ordnung. Niemand scheint es eilig zu haben.

Trump im Anflug auf Las Vegas

Wir müssen uns nicht in die Schlange stellen, denn meine Frau hat sich die Unterlagen per Post kommen lassen und kann nun einfach das Couvert einwerfen. Manche Staaten schicken die Unterlagen automatisch per Post, sobald man sich registriert, andere nur auf Verlangen und wieder andere überhaupt nicht.



Unweit des improvisierten Wahllokals, auf dem McCarran Airport, landet gerade die Air Force One mit Donald Trump. Der amtierende Präsident plant an diesem Wochenende in Nevada zwei Auftritte und liegt deswegen im Streit mit dem (demokratischen) Gouverneur Steve Sisolak. Denn in Nevada gelten Hygiene- und Abstandsregeln, von denen Trump nichts hält. Grossveranstaltungen sind verboten.

Hohe Wahlbeteiligung für Demokraten von Vorteil

Mehr als 50'000 Menschen geben in der 2-Millionen-Stadt Las Vegas und Umgebung an diesem ersten Wahlwochenende ihre Stimme ab. Das ist viel. Bundesweit haben zehn Tage vor dem offiziellen Wahltermin schon fast 60 Millionen der rund 240 Millionen Stimmberechtigten gewählt, wie auf der Website United States Elections Project von Michael McDonald, Politikwissenschaftler an der Universität Florida, zu sehen ist.



Je nach Quelle sind es zwei bis drei Mal so viele Frühwähler wie vor vier Jahren. Wer davon profitiert, ist offen. Sollte aber die Wahlbeteiligung deutlich über den üblichen 60 Prozent liegen, dürfte dies den Demokraten und deren Kandidat Joe Biden nützen, weil die meisten Neuwähler eher jung und/oder Angehörige einer Minderheit sind und daher eher gegen Trump stimmen. Traditionell republikanische Wähler sind dagegen eher verlässlich und gehen bei jeder Wahl an die Urne. Doch das alles ist Spekulation.

René Sollberger lebt seit 2013 in den USA, zuerst zwei Jahre in Boston, danach fünf Jahre in San Francisco, seit 2020 in Las Vegas. Er ist mit einer Amerikanerin verheiratet und arbeitet als Journalist mit Fokus auf Wirtschaft und Politik, früher unter anderem bei «Cash», «Berner Zeitung» und «Handelszeitung».

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