PolitikIsrael in der Isolation: Zwischen Trotz und Durchhaltewillen
SDA
23.5.2024 - 13:21
Nach dem schlimmsten Massaker in Israels Geschichte am 7. Oktober vergangenen Jahres erlebte das Land zunächst eine starke Welle internationaler Anteilnahme und Solidarität.
23.05.2024, 13:21
SDA
Doch seit fast acht Monaten tobt der Krieg im Gazastreifen. Und je länger die Angriffe und Kämpfe mit ihren hohen zivilen Opferzahlen und schweren Verwüstungen in dem Küstenstreifen am Mittelmeer andauern, desto isolierter steht Israel weltweit da. Der Hamas-Terror und der Krieg haben gleichzeitig eine enorme Welle des Antisemitismus ausgelöst, die bei Juden auf aller Welt schwere Ängste verursacht.
Der Antrag auf Haftbefehle gegen den Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant, den der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gestellt hat, ist der bisherige Tiefpunkt des ständigen Abwärtstrends für Israel. Im Land wird mittlerweile täglich darüber diskutiert, wie man diesen überwinden kann. Viele Israelis drücken aus, dass sie sich ungerecht behandelt fühlen.
Sollte der Internationale Strafgerichtshof dem Antrag für die Haftbefehle folgen, wäre Netanjahus Bewegungsfreiheit vor allem in westlichen Ländern erheblich eingeschränkt. Professor Jonathan Rynhold, Leiter der Politikabteilung der Universität Bar Ilan bei Tel Aviv, verweist allerdings darauf, dass auch die Opposition in Israel der Ansicht sei, das Verhalten des Strafgerichtshofs sei «empörend». Dies sei auch die Position der USA. «Selbst europäische Länder, die das Gericht normalerweise unterstützen, haben die Gleichsetzung der Terrororganisation Hamas mit dem demokratischen Staat Israel als Fehler bezeichnet», sagte Rynhold.
Anerkennung Palästinas zeigt Verschlechterung von Israels Ansehen
Die angekündigte Anerkennung Palästinas als eigenen Staat durch Norwegen sowie die beiden EU-Länder Irland und Spanien gilt als weiterer diplomatischer Rückschlag für Israel. Netanjahu verurteilte den Schritt als «Belohnung für Terrorismus». Die israelische Zeitung «Jediot Achronot» stufte die Entscheidung der europäischen Länder als «Beweis für die ernsthafte Verschlechterung des internationalen Ansehens» des jüdischen Staates ein.
Wohin man blickt, sieht es trübe aus für Israel: Die Beziehungen zum wichtigsten Bündnispartner USA sind belastet, Israels Einsatz in der Grenzstadt Rafah gilt als Gefahr für den Friedensvertrag mit Ägypten, vor dem Internationalen Gerichtshof muss Israel sich zudem wegen des Vorwurfs des Völkermords verantworten. Dazu kommen propalästinensische – teilweise auch israelfeindliche – Studentenproteste an Universitäten in den USA und Europa. Beim Eurovision Song Contest (ESC) in Malmö schlug der israelischen Kandidatin Eden Golan blanker Hass entgegen. Die Türkei setzte derweil den Handel mit Israel aus und behandelt mehr als 1000 Hamas-Mitglieder in ihren Krankenhäusern. Auch israelische Akademiker, Künstler und Sportler beklagen wachsende Anzeichen eines internationalen Boykotts.
Netanjahu: Wir können auch für uns alleine stehen
Die Reaktionen Netanjahus auf den internationalen Druck wirken dabei mitunter fast trotzig. «Wenn wir für uns alleine stehen müssen, dann werden wir für uns alleine stehen», sagte er, nachdem US-Präsident Joe Biden wegen des israelischen Vorstosses in Rafah mit einer Einschränkung gewisser Waffenlieferungen gedroht hatte. Notfalls werde man sich eben «mit den Fingernägeln» verteidigen, so Netanjahu.
Auch innerhalb Israels sind die Proteste gegen Netanjahus Regierung wieder aufgeflammt. Die Demonstranten werfen dem Ministerpräsidenten und seinen rechtsextremen Koalitionspartnern vor, Israel in den Abgrund zu treiben. Sie fordern eine rasche Rückholung der mehr als hundert Geiseln der Hamas aus dem Gazastreifen und Neuwahlen.
Machtbasis wichtiger für Netanjahu als globales Ansehen
Netanjahu erscheint dabei zerrissen zwischen seinen persönlichen politischen Interessen – die Ultrarechten gelten als Garant für sein politisches Überleben – und den breiteren Interessen des Landes. Radikale Äusserungen seiner politischen Partner haben ihn immer wieder in die Bredouille gebracht und sind gefundenes Futter für Israel-Kritiker. Dennoch hat Netanjahu sich nur selten von ihnen distanziert.
Rynhold sieht das Verhalten der israelischen Regierung, die über Monate nicht genug getan habe, um humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu lassen, als einen der Gründe für die Isolation des Landes. «Dies hat unsere Freunde – die USA, Grossbritannien und Deutschland – vor den Kopf gestossen», erklärt er. «Aber die Ansicht der Welt ist für Netanjahu auf jeden Fall weniger wichtig, als an der Macht zu bleiben und seine Basis und ultrarechten Koalitionspartner zu bedienen.»
Mögliche Auswege aus der Sackgasse
Gibt es für Israel einen Ausweg aus diesem Schlamassel? Yonatan Freeman, Experte für internationale Beziehungen an der Hebräischen Universität in Jerusalem, hält eine Verbesserung durchaus für möglich. «Wenn es einen Deal (mit der Hamas) über die Freilassung der Geiseln gibt, wird der Krieg wahrscheinlich enden, obwohl die Hamas weiter eine grosse Bedrohung darstellt», sagt er.
Als Möglichkeit für eine Nachkriegsregelung in Gaza sieht Freeman eine Einbindung gemässigter arabischer Staaten. Dass Netanjahu sich bislang hartnäckig weigert, über den «Tag danach» im Gazastreifen zu sprechen, sorgt bei Israels Verbündeten und auch bei gemässigten Regierungsmitgliedern für grosse Frustration.
«Wir brauchen eine neue Regierung», glaubt Rynhold. Gleichzeitig sieht er einen Sieg über die Hamas als absolute Notwendigkeit. «Wir müssen den Einsatz in Rafah abschliessen. Wir müssen die ganze Wut, die gegen uns gerichtet ist, aushalten.» Danach müsse Israel eine echte Anstrengung unternehmen, mit einer neuen Regierung eine palästinensische Verwaltung im Gazastreifen einzurichten, «die besser für die Palästinenser und besser für die Israelis ist». Diese müsse mit der Palästinensischen Autonomiebehörde verbunden sein «und eine Agenda verfolgen, die letztendlich zu einer Zweistaatenlösung führt». Genau dies verweigert Netanjahu jedoch beharrlich.
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