Im Skandal um Lockdown-Partys bescheinigt eine interne Untersuchung der britischen Regierung ein «Führungsversagen». Die Partys mit Premier Boris Johnson fanden teilweise während eines harten Lockdowns in Grossbritannien statt.
31.01.2022
In der Vorwärtsverteidigung leistet sich Boris Johnson eine Attacke auf den Oppositionsführer, die sogar in Reihen der Konservativen für Unbehagen sorgt. Nach einer Drangsalierung von Labour-Chef Starmer durch Demonstranten vor dem Parlament steht der Premier zusätzlich unter Druck.
08.02.2022, 23:55
dpa/twei
Der britische Premierminister Boris Johnson muss sich nach einer Falschbehauptung über Oppositionsführer Keir Starmer jetzt auch den Vorwurf gefallen lassen, das politische Klima auf der Insel zu vergiften. Anlass der Kritik ist ein Vorfall vor dem Parlament, bei dem Labour-Chef Starmer von Demonstranten bedrängt wurde. Zu hören waren dabei unter anderem Schmährufe, er habe Pädophile beschützt.
Schliesslich musste die Polizei den Oppositionsführer vor dem wütenden Mob in Sicherheit bringen. Starmer wurde in einen Streifenwagen bugsiert, der mit Blaulicht davonfuhr. Bei dem Vorfall vom Montag wurden zwei Demonstranten festgenommen.
Einstige Vertraute distanzieren sich von Johnson
Beobachter sahen prompt eine Verbindung zu einer Verbalattacke von Johnson im Unterhaus vergangene Woche: Er hatte behauptet, Starmer habe es als leitender Staatsanwalt einer Strafverfolgungsbehörde zwischen 2008 und 2013 versäumt, gegen Jimmy Savile vorzugehen. Savile war ein populärer Moderator von Kindershows, der nach seinem Tod 2011 als Pädophiler entlarvt wurde. Hunderte Kinder hatte er laut einem späteren Gutachten sexuell missbraucht.
Ein Bericht aus dem Jahr 2013 hatte aber ergeben, dass Starmer damals nicht in Entscheidungen um eine mögliche Strafverfolgung von Savile eingebunden war.
Mit dem Tiefschlag gegen seinen politischen Gegner handelte sich der Premier breite Kritik ein, selbst seine engste Vertraute Munira Mirza hatte dies vergangene Woche zum Anlass für ihren Rücktritt genommen. Die Labour-Abgeordnete Rosena Allin-Khan warf Johnson vor, «jede Person oder Gruppe, die ihm im Weg steht», aus reinem Eigennutz zu verunglimpfen. Er bediene sich damit einer Taktik, die direkt aus der Trickkiste des früheren US-Präsidenten Donald Trump stamme.
Premier nimmt Falschbehauptung nicht zurück
Johnson bezeichnete die Drangsalierung Starmers zwar als «absolut schändlich», wollte aber keine Verantwortung übernehmen. Am Dienstag lehnte er es ab, seine falsche Behauptung über den Labour-Chef zurückzuziehen. Sein Gefolgsmann Chris Philp, Staatssekretär für Technologie und Digitalwirtschaft, argumentierte, dass Johnson nicht für das Verhalten der Demonstranten verantwortlich sei.
Die hätten zwar «Jimmy Savile erwähnt», aber auch wiederholt Julian Assange, die Corona-Pandemie und die Opposition im Allgemeinen, sagte Philp. Die Äusserungen des Premiers könnten dafür nicht als Ursache herangezogen werden.
Die Labour-Abgeordnete Kim Leadbeater erklärte, zwar seien die Demonstranten für ihre Aktionen verantwortlich, doch geschehe so etwas «nicht in einem Vakuum». Man müsse sich im Klaren sein, dass «eine Kultur des Gifts, der Aggression und der Lügen in der Politik» Konsequenzen habe, sagte Leadbeater der BBC. Ihre Schwester, die Labour-Abgeordnete Jo Cox, war 2016 im Vorfeld des Brexit-Referendums von einem Rechtsextremen angeschossen, niedergestochen und tödlich verletzt worden.
Droht Boris Johnson das Misstrauensvotum?
Der Vorfall um Starmer hat auch die Unzufriedenheit mit Johnson in den Reihen seiner Konservativen befeuert. Seine Macht ist durch die öffentliche Empörung über Enthüllungen von Büropartys und anderen Feten an seinem Amtssitz während den Lockdowns der Jahre 2020 und 2021 stark ins Wanken geraten. Ein vorläufiger Untersuchungsbericht zur «Partygate»-Affäre attestierte der Regierung Führungsversagen und schlechtes Urteilsvermögen. Johnson entschuldigte sich im Parlament und gelobte Besserung, schloss einen Rücktritt aber aus.
Bei den Tories gibt es aber erste Absetzbewegungen vom Premier, der seiner Partei vor mehr als zwei Jahren eine satte Parlamentsmehrheit beschert hatte. Einige konservative Abgeordnete erwägen nun, sich Forderungen nach einem Misstrauensvotum gegen Johnson anzuschliessen. Nach den Parteiregeln käme es zu einer solchen Abstimmung, wenn 54 Abgeordnete entsprechende Bittbriefe einreichen. Sollte Johnson das Misstrauensvotum verlieren, würde er als Parteivorsitzender und als Premierminister abgelöst.