Kundgebung für gefangene Mittäter Rechtsextreme marschieren erneut beim Kapitol auf

Von Lisa Mascaro, AP

14.9.2021 - 05:02

Die ganze Welt konnte sie sehen – die Bilder vom wütenden Mob, der am 6. Januar das Washingtoner Kapitol stürmte. Aber das hält manche in den USA nicht davon ab, zu beschönigen, was sich abspielte. Und jetzt gibt es sogar eine Demonstration für die Angreifer.

Von Lisa Mascaro, AP

Einige machten zuerst linksgerichtete autonome Gruppen aus der Antifa-Szene für den Sturm aufs US-Kapitol am 6. Januar verantwortlich – eine Behauptung, die schnell widerlegt wurde. Dann setzten manche die Aufrührer mit friedlichen Demonstranten oder sogar Touristen gleich. Jetzt gibt es eine neue Variante. Verbündete des früheren Präsidenten Donald Trump bezeichnen jene, die wegen des Angriffes festgenommen und angeklagt wurden, als «politische Gefangene».

Diese dreiste Rhetorik im Vorfeld einer für den kommenden Samstag geplanten Kundgebung am Kapitol ist ein neuer krasser Versuch, zu verzerren und zu beschönigen, was sich vor den Augen der Welt abspielte. Trump-Anhänger drangen gewaltsam in das Kongressgebäude – das stolze Symbol der amerikanischen Demokratie – ein, attackierten Polizisten und versuchten, die Volksvertreter daran zu hindern, den Wahlsieg des Demokraten Joe Biden über Trump offiziell zu bestätigen. Dutzende Polizeibeamte wurden verletzt, Kongressmitglieder mussten sich verstecken. Am Ende starben fünf Menschen, darunter eine Trump-Anhängerin, die von der Polizei erschossen wurde, als sie versuchte, in eine Lobby des Abgeordnetenhauses einzubrechen.

«Sie schreiben das Narrativ neu, um es so aussehen zu lassen, als wäre der 6. Januar keine grosse Sache, und dabei war es eine verdammt grosse Sache und ein Angriff auf unsere Demokratie», sagt Heidi Beirich, Mitbegründerin der Organisation Project Against Hate and Extremism, die sich dem Kampf gegen Hass, Rassismus und Extremismus verschrieben hat.



Polarisierung weiter verschärft

Tatsächlich gibt es keine Hinweise darauf, dass die schockierenden Ereignisse vom 6. Januar die gespaltene Nation zu einer gemeinsamen Front zum Schutz von Wahrheit und ziviler Ordnung zusammengeführt hat. Im Gegenteil scheint sich die Polarisierung noch verschärft zu haben. 

Anhänger des damaligen US-Präsidenten Donald Trump erstürmen am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington, um den Kongress daran zu hindern, Joe Bidens Wahlsieg zu bestätigen. 
Anhänger des damaligen US-Präsidenten Donald Trump erstürmen am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington, um den Kongress daran zu hindern, Joe Bidens Wahlsieg zu bestätigen. 
Bild: Keystone/AP Photo/Jose Luis Magana

Wie gross die Kundgebung am 18. September ausfallen wird, ist unklar. Auch steht nicht fest, ob Mitglieder rechter Extremistengruppen wie Proud Boys und Oath Keepers und andere trumptreue Akteure, die am Sturm aufs Kapitol teilgenommen hatten, erneut auftauchen werden. Aber wie es aussieht, wollen die Behörden auf jeden Fall kein Risiko eingehen. So sollen Sicherheitszäune das Gebäude schützen, und es wurden Verstärkungen für die Kapitol-Polizei angefordert, die offenbar unzureichend auf die Eskalation am 6. Januar vorbereitet und deren Führung deshalb komplett ausgewechselt worden war.

Organisator der Demonstration ist Matt Braynard, ein früherer Trump-Wahlkampfstratege. Er sieht die kommende Kundgebung wie auch vorausgegangene kleinere Veranstaltungen in anderen Städten als ein Instrument, die Aufmerksamkeit auf die seiner Ansicht nach unfaire Strafverfolgung der «Gefangenen» – sprich, der gewalttätigen Kapitolstürmer – zu lenken.



Hunderte Teilnehmer mit Strafverfahren konfrontiert

«Ich bin so stolz auf all diese mutigen Patrioten, die an diesen Kundgebungen teilgenommen haben – unter derselben Bedrohung ihrer Rechte wie sie so viele andere erfahren haben, die jetzt wegen einer gewaltlosen Ausübung ihrer Rechte unter dem ersten Verfassungszusatz (das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Meinungsäusserung) im Gefängnis festgehalten werden», hiess es in einer Presseerklärung Braynards im Juli. Er lehnte es ab, per E-Mail auf Fragen der Nachrichtenagentur AP zu antworten, die ihrerseits von ihm gestellte Bedingungen für ein Interview zurückwies.

Insgesamt sind mehr als 600 Menschen im Zusammenhang mit dem Angriff vom 6. Januar mit Strafverfahren konfrontiert. Hunderte wurden wegen illegalen Betretens des Kapitols angeklagt, was als Ordnungswidrigkeit geahndet wird, aber Hunderte andere wegen  Verbrechen wie tätlichem Angriff, Verschwörung und Behinderung offizieller Amtshandlungen. Mitglieder der Proud Boys und Oath Keepers werden einige der ernstesten Straftaten bei dem Angriff angelastet.

Insgesamt haben sich mittlerweile mehr als 60 Personen vor Gericht schuldig bekannt, zumeist ging es dabei um geringere Vorwürfe. Nur wenige Angeklagte werden bis zum Prozess in Untersuchungshaft festgehalten. Anwälte haben sich über die ihrer Ansicht nach zu harschen Bedingungen für sie in einem Gefängnis in Washington beschwert.



Republikanische Führung gegen Untersuchung

Insgesamt sagen Verteidiger, dass die mutmasslichen Kapitol-Angreifer wegen ihrer politischen Überzeugungen härter behandelt würden als andere, etwa Demonstranten der Bewegung Black Lives Matter. Aber AP hat bei einer Einsicht in die Rechtsfälle keinerlei Beweise für die Stichhaltigkeit dieser Behauptung gefunden.

Der Demokrat Adam Schiff, der dem Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses vorsteht und einem Sonderausschuss zur Untersuchung der Ereignisse am 6. Januar angehört, weist den Vorwurf unfairer Behandlung der angeklagten Kapitol-Stürmer ebenfalls zurück. Jene, die das Gesetz gebrochen hätten, müssten strafverfolgt werden, «andernfalls rationalisieren, entschuldigen und ermutigen wir nur zu mehr von Demselben».

Schiff beklagt, dass die Nation die Chance vertan habe, sich vereint von den Vorgängen im Vorfeld des 6. Januar zu distanzieren. Er bezieht sich dabei hauptsächlich auf die völlig grundlose Behauptung von Trump, dass ihm der Sieg bei der Präsidentenwahl gestohlen worden sei – ein Vorwurf, der von seiner Gefolgschaft eifrigst übernommen wurde, letztendlich den Sturm aufs Kapitol auslöste und der immer noch verbreitet wird. Auch die republikanische Führung ziehe weiterhin mit, sagt Schiff. Das sei entmutigend.