Lagebild UkraineMoskau schickt Soldaten ohne Plan an die Front, Kiew punktet im Nordosten
Von Philipp Dahm
21.11.2022
Selenskyj verspricht an Protest-Jahrestag Sieg über Russland
Gemeinsam mit seiner Frau besuchte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Gedenkstätte für die Opfer des Maidan-Aufstandes 2013/2014. Anlass war der sogenannte Tag der Würde und Freiheit, an dem auch an die «Orange Revolution» von 2004 erinnert wird. Selenkyj nutzte das Gedenken, um seinen Landsleuten vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges in der Ukraine seinen Respekt auszusprechen. Und, um ihnen Mut zu machen.
21.11.2022
Während ukrainische Streitkräfte den Druck auf Swatowe erhöhen, schiebt Russland in Luhansk und Donezk schlecht vorbereitete Reservisten nach. Gibt es derweil im Süden erneut einen Überraschungsangriff?
Von Philipp Dahm
21.11.2022, 17:34
21.11.2022, 17:38
Philipp Dahm
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern? Wohl eher: Die «Daily Mail» trommelt auf dem Boulevard: «Putin ‹wird eine massive neue Mobilisierung verkünden und das Kriegsrecht ausrufen›», ist sich das britische Blatt am 19. November ganz sicher.
Nun dementiert der Kreml derlei Gerüchte: Darüber gebe es «keine Diskussionen», sagt heute Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.
Warum auch? Laut russischen Angaben sind erst 82'000 der 300'000 zuletzt Mobilisierten in der Ukraine im Einsatz. Doch viel gewichtiger ist, dass Russland neue Rekruten gar nicht ausrüsten und trainieren könnte. Während nachts in der Ostukraine die Temperaturen dieser Tage unter den Gefrierpunkt sinken, müssen sich russische Rekruten selbst um ihre Utensilien kümmern.
Das fange schon bei Kleidung und Schuhen an, berichtet Jana aus St. Petersburg der «Washington Post». Ihr Mann sei ohne grosse Vorbereitung an die Front geschickt worden, habe dort aber keine Aufgaben. «Ich habe gestern mit meinem Mann gesprochen und er sagte, sie hätten keine Ahnung, was sie tun sollen.»
Die Frauen solcher frisch mobilisierten Soldaten gehen wegen solcher Umstände auf die Barrikaden. «Es gab überhaupt kein militärisches Training», beklagt Tatjana, deren Mann eingezogen worden ist, im Interview mit Radio Free Liberty/Radio Europe. «Sie waren nicht einmal auf dem Übungsgelände in Uljanowsk.»
Ukraine erhöht den Druck im Nordosten
Frauen «spielen die Hauptrollen bei kleinen Antikriegsbewegungen», heisst es weiter: Als am 21. September bei Protesten in ganz Russland 1'383 Personen verhaftet werden, sind demnach über die Hälfte davon Frauen. Drei Tage später steigt der Anteil bei 848 Verhafteten auf 71 Prozent an. Doch zurück zu den Männern an der Front.
Wenn jene Rekruten die Front in der Ostukraine erreichen, sind sie nicht nur schlecht vorbereitet. Ihnen fehlt auch die Führung, weil Russland überdurchschnittlich viele Offiziere im Krieg verloren hat. Und im Winter bedroht die Männer nicht nur Kälte. Wenn die Tage kürzer werden, sind sie im Nachteil, weil sie weniger Nachtsichtgeräte haben.
Im Nordsoten schicken sich ukrainische Streitkräfte an, den letzten Zipfel des Oblasts Charkiw zu befreien. Zuletzt soll nach eigenen Angaben das Dorf Synkiwka erobert worden sein. Die Karte oben zeigt, dass Russland es sich nicht erlauben darf, das im angrenzenden Oblast Luhansk liegende Trojizke oder aber Swatowe zu verlieren, die als Verkehrsknotenpunkte essenziell sind.
Bachmut und Awdijiwka im russischen Visier
Dem Frontverlauf entlang nach Süden gibt es offenbar schwere Gefechte. Westlich von Swatowe hat die ukrainische Armee angeblich das Dorf Novoselivske befreit. In Swatowe selbst sollen Moskaus Männer zwar starke Verteidigungslinien errichtet haben, doch der Gegner ist inzwischen so nahe an die Strasse P-66 herangerückt, dass der Nachschub bedroht ist.
IZIUM AXIS/0300 UTC 20 NOV/ UKR forces have advanced to positions essentially cuting a 20Km stretch of the vital P-66 HWY. This is the principal and most direct Line of Communication and Supply (LOCS) linking Svatove and Kremenna, the southern anchor of of the RU defensive line. pic.twitter.com/PSWPKbRapo
An all diesen Fronten gibt es permanente Artilleriegefechte. In der Region um Bachmut ist die russische Seite in diesem Punkt im Vorteil. Hier rücken russische Truppen unter hohen Verlusten stückweise vor. Auch im Gebiet um Awdijiwka im Oblast Donezk ist der Druck hoch.
«Rein mathematisch» hat Russland hier genug Truppen aufgefahren, um die Linien zu durchbrechen, gibt der ukrainische Armeesprecher Serhii Cherevaty zu. «Doch ist die Qualität dieser Truppen hoch? Die Antwort lautet nein.» Sonst wäre dieser Durchbruch schon gelungen angesichts der vielen russischen Soldaten bei Bachmut und Awdijiwka.
Spannend ist die Situation in Cherson und Saporischschja. Die Truppen, die auf beiden Seiten nach dem Rückzug Russlands freigeworden sind, müssen umorganisiert werden. Dem Kreml käme eine Waffenruhe gelegen, um die Armee neu zu formieren und dann erneut anzugreifen. Das sagt zumindest Sachar Prilepin, ein Autor und Propagandist Putins, im russischen Staatsfernsehen.
Meanwhile in Russia: accused war criminal Zakhar Prilepin—who spends a lot of time on the frontlines and previously boasted of "killing many" in Ukraine—admits that Russia wants to negotiate merely to regroup and finish fighting later, any potential peace accords notwithstanding. pic.twitter.com/WyuvASO9Ru
Die Ukraine hingegen könnte versuchen, nach dem Erfolg in Cherson noch einmal in Saporischschja vorzustossen. Dazu müsste Wassyliwka am östlichen Ufer des Djnepr zurückerobert werden. Von dort sind es nur 70 Kilometer nach Melitopol. Weil weiter nördlich eine Bucht beginnt, könnte so ein Keil in russisch besetztes Gebiet getrieben werden.
Eine weiterer Vorstoss nach Westen würde das Gebiet auch noch von der Krim abtrennen. Doch Russland weiss um diese potenziellen Schwachstellen: Bei Wassyliwka wurde das 429. motorisierte Schützenregiment sowie das 141. Garde-Panzerbataillon zusammengezogen.
Ausserdem hat die russische Artillerie in Saporischschja angeblich Siedlungen wie Wessele, Stepowe, Orichiw oder Tschariwne unter Artilleriefeuer genommen. Russische Militärblogger berichten zudem von ukrainischen Truppenkonzentrationen. Passend dazu meldet der ukrainische Bürgermeister von Melitopol, Iwan Fedorow, auf Telegram, in der Nähe der Stadt sei ein russischer Armeestützpunkt zerstört worden.
MERCI, PARIS: The French Crotale air defense system allows UKR to detect air threats with an S-band Pulse Doppler radar at 20 km, a Ku-band TWT tracking radar at 30 km, with its thermal camera at 9 km, and a daylight CCD camera at 15 km, it uses an IR localizer to direct fire. pic.twitter.com/mIy0DH1f8W