Japan hat einen neuen Kaiser. Nach der Abdankung seines Vaters Akihito am Dienstag ging die Herrschaft um Mitternacht (Ortszeit von Tokio) auf dessen Sohn Naruhito über. Gleichzeitig begann im ostasiatischen Inselstaat mit «Reiwa» die Ära der «schönen Harmonie».
Diese Ära gilt, solange der 59-jährige Naruhito, der 126. japanische Kaiser, auf dem Chrysanthemen-Thron sitzt. Der 85 Jahre alte Akihito dankte nach drei Jahrzehnten ab – als erster Tenno seit mehr als zwei Jahrhunderten. Japan ist das einzige Land der Welt, in dem noch ein kaiserlicher Kalender verwendet wird. Während anderswo das Jahr 2019 geschrieben wird, ging in Japan jetzt «Heisei 30» zu Ende – das 30. Jahr der Ära von Kaiser Akihito.
Naruhito wird am Mittwoch in einer zehnminütigen Zeremonie den Thron offiziell besteigen. Bei der kleinen Feier dürfen keine weiblichen Hofangehörigen anwesend sein, auch nicht seine Ehefrau Masako. Erst am 22. Oktober folgt dann eine grosse öffentliche Zeremonie mit zahlreichen internationalen Staatsgästen und einem Autokorso durch Tokio.
Formal dankte der Kaiser um Mitternacht (Ortszeit) ab. Tausende Menschen zog es trotz regnerischen Wetters in der Nacht auf die Strassen der Hauptstadt Tokio und anderer Städte, um den historischen Epochenwechsel zu feiern. Das Fernsehen zeigte Hochzeitspaare, die sich um Punkt Mitternacht das Jawort gaben, Feuerwerke wurden gezündet und T-Shirts mit der Aufschrift «Reiwa» getragen.
Akihitos Ära namens «Heisei» (Frieden schaffen) war für Japan eine Zeit des Friedens, aber auch verheerender Katastrophen – wie das Erdbeben in Kobe 1995 und die Dreifachkatastrophe aus Erdbeben, Tsunami und Atomunfall 2011 in Fukushima. Wirtschaftlich ging es zudem mit Japan in dieser Zeit bergab. Voller Erwartung blicken die Japaner denn auch auf die Ära des neuen Kaisers Naruhito.
Als erster ausländischer Staatsgast wird US-Präsident Donald Trump Ende Mai den neuen Kaiser treffen. Laut der Verfassung hat der Kaiser keinerlei politische Macht, sondern ist ein Symbol der Einheit der Nation.
Tradition und frischer Wind
Naruhito will sich seinen Vater, der mit vielen alten Traditionen am Hofe brach und dem Volk so nah war wie kein anderer Kaiser vor ihm, zum Vorbild nehmen. Zugleich dürfte er für frischen Wind sorgen. Seine Regentschaft dürfte nach Meinung von Palastbeobachtern anders als die seines Vaters nicht mehr so stark unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges stehen, von dem Akihito geprägt war.
Während seiner 30-jährigen Ära war Akihito ein überzeugter Verfechter der pazifischen Nachkriegsverfassung und galt als Gewissen der Nation.
Palastbeobachter gehen davon aus, dass sich sein Sohn Naruhito als erster Kaiser, der im Ausland studierte, vielmehr verstärkt auf globale Fragen konzentrieren wird.
Seine Frau Masako ist eine in Harvard ausgebildete Diplomatin. Seit 15 Jahren erholt sie sich offiziell von einer «Anpassungsstörung», die vom Stress ihres Amtes herrühre. Beobachter sehen dahinter vor allem den lange auf ihr lastenden Druck, einen männlichen Thronfolger zu gebären. Masako brachte Tochter Aiko zur Welt, doch Frauen ist der Thron verwehrt.
Das Volk hat für Masako jedoch längst nicht mehr nur Mitleid: Kritiker vermissen bei ihr einen «Geist der Selbstlosigkeit», den ihre Schwiegermutter, Kaiserin Michiko, für das Volk aufbrachte. Mit ihrem Mann Akihito hatte sich Michiko unermüdlich für die Opfer von Katastrophen eingesetzt, Trost gespendet und Mut gemacht.
Als erster eine Bürgerliche geheiratet
Als damaliger Kronprinz hatte Akihito im April 1959 mit der fast 2000 Jahre alten Hoftradition gebrochen, indem er mit der Unternehmertochter Michiko Shoda eine Bürgerliche heiratete. Ihre Kinder kamen im Krankenhaus und nicht im Palast zur Welt. Michiko schaffte die Amme ab und stillte ihre Kinder selbst, bis dahin unvorstellbar. Zudem bekam sie eine Küche, was ebenfalls neu war.
Während Akihito wie üblich ab drittem Lebensjahr von einer fremden Familie aufgezogen wurde, erzogen er und Michiko ihre Kinder selbst. «Ab dem jetzigen Kaiser kann man erstmals von einer kaiserlichen Familie sprechen», sagt der Tenno-Experte Ernst Lokowandt in Tokio.
Als erster nicht mehr Gott
Akihito war der erste Tenno, der sein Amt nicht mehr als Gott antrat. Sein 1989 gestorbener Vater Kaiser Hirohito, posthum Showa-Tenno genannt, hatte am 1. Januar 1946 in seiner so genannten Menschlichkeitserklärung der Göttlichkeit des Kaisers entsagt. In seinem Namen war Japan in den Zweiten Weltkrieg gezogen. Sein Sohn Akihito war es, der die Institution des Kaisertums neu definierte.
Gesundheitlich angeschlagen hatte Akihito 2016 in einer seltenen Botschaft ans Volk deutlich zu erkennen gegeben, angesichts seiner nachlassenden Kräfte zurücktreten zu wollen. Das Parlament erlaubte ihm dies per Sondergesetz. Für Naruhito gilt wieder die alte Regel. Vor seiner letzten Rede als Monarch hatte Kaiser Akihito am Dienstag den Göttern des asiatischen Inselreiches seine Abdankung angekündigt.
Zu den tief religiösen Riten in den drei Schreinen seines Palastes in Tokio erschien der Monarch in der modernen Version einer jahrhundertealten höfischen Tracht aus goldbrauner Robe und hoch aufragender schwarzer Kopfbedeckung.
In den Heiligtümern der japanischen Ur-Religion Shinto wird unter anderem die Sonnengöttin Amaterasu Omikami verehrt. Den Mythen nach sind die japanischen Kaiser unmittelbare Nachfahren von Amaterasu Omikami. Japans Nachkriegsverfassung schreibt – nach US-amerikanischem Vorbild – eine strikte Trennung von Staat und Religion vor.
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