Lagebild Ukraine Putin macht Druck: «Dunkle Monate liegen vor der Ukraine»

Philipp Dahm

27.2.2024

Scholz erteilt Taurus-Marschflugkörper für Ukraine Absage

Scholz erteilt Taurus-Marschflugkörper für Ukraine Absage

Soll Deutschland der Ukraine Marschflugkörper vom Typ Taurus liefern? Diese Debatte führt selbst innerhalb der Ampel-Koalition immer wieder zu Diskussionen. Kanzler Olaf Scholz bezieht nun klar Stellung.

27.02.2024

Die russische Armee macht auf breiter Front Druck: 42'000 Soldaten sollen im Norden Kupjansk nehmen. 50'000 Mann stehen im Süden parat. Und auch dazwischen rücken Wladimir Putins Kräfte vor.

Philipp Dahm

27.2.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Laut Wolodymyr Selenskyj ist das Verhältnis der russischen zu den ukrainischen Truppen 7 zu 1. Um erfolgreich zu sein, müsste es 1 zu 1,5 sein.
  • «Dunkle Monate liegen vor der Ukraine»: Ein Militärexperte warnt, dass die ukrainische Armee zu wenig Personal und Ausrüstung hat.
  • Im Süden der Front hat der Kreml 50'000 Mann zusammengezogen, doch noch können sich die Verteidiger in Robotyne halten.
  • Von Marjinka aus rücken russische Truppen in zwei Stossrichtungen vor. 
  • Westlich von Awdijiwka sind drei Dörfer gefallen, doch die neue ukrainische Verteidigungslinie haben die Russen nicht erreicht.
  • Westlich von Bachmut gibt es schwere Kämpfe.
  • Im Norden der Front hat Moskau 42'000 Soldaten konzentriert. Hier ist das strategisch wichtigste Ziel für Putin.

Dieses Jahr ist ein Wendepunkt: Es wird festlegen, wie der Krieg für die Ukraine ausgehen wird. Das ist das Fazit, das Wolodymyr Selenskyj beim Forum «Ukraine. Year 2024» am 25. Februar in Kiew gezogen hat. Zudem hat der Präsident einige Zahlen verraten, die es in sich haben.

So sagt Selenskyj etwa, das Verhältnis von russischen zu ukrainischen Soldaten betrage aktuell bei 7 zu 1. Um die Invasoren zu vertreiben, müsste es jedoch bei 1 zu 1,5 liegen. Allerdings zahlt Moskau einen hohen Preis für den Krieg: «Die Ukraine hat 31'000 Soldaten verloren, während Russland 180'000 Soldaten verloren hat.»

Ein Problem ist nicht nur das Ausbleiben der westlichen Unterstützung, sondern auch das Timing: Laut Selenskyj trifft die Hälfte der Hilfe nicht rechtzeitig ein. Von der versprochenen Munition hat die EU nur 30 Prozent geliefert. Und auf dem freien Markt haben die Preise abgezogen, fährt er fort: Für eine Artilleriegranate, die einst 1'500 Dollar gekostet hat, muss Kiew heute das Vier- bis Fünffache hinblättern.

Aus Deutschland, den Niederlanden und den USA hat die Ukraine drei Patriot-Batterien und vier zusätzliche Stargeräte erhalten. Um die Situation radikal zu ändern, bräuchte sein Land jedoch zehn Batterien, die mit 1,5 Milliarden Dollar zu Buche schlagen. Selenskyj endet mit der Ansage: «Die Ukraine hat einen klaren Plan für einen Gegenangriff.» Details nennt er aber natürlich nicht.

50'000 russische Soldaten stehen im Süden bereit

«Dunkle Monate liegen vor der Ukraine», ahnt der finnische Militärexperte Emil Kastehelmi. Kiews Streitkräfte werden «monatelang mit zu wenig Personal kämpfen müssen und sie können wegen der limitierten Ressourcen weniger erreichen. Russland weiss um seine Überlegenheit bei Mannstärke, Ausrüstung und Feuerkraft, und man hat keine Angst vor Verlusten, wenn Boden gewonnen werden kann.»

Unter diesen Prämissen fahren wir die Front von Südwesten nach Nordosten ab. Während es vom ukrainischen Brückenkopf am linken, östlichen Dnipro-Ufer in Krynky nichts Neues zu berichten gibt, hat es bei Roboytne ein kleines Wunder gegeben.

Das Wunder ist, dass die russische Armee das Dorf noch nicht erobert hat. Angeblich hat sie 50'000 Soldaten dort zusammengezogen und greift sowohl von Süden als auch von Westen her an, doch noch hält die Verteidigung.

Erste westliche Luftabwehr zerstört

Ohne Drohnen wäre es nicht möglich gewesen, Robotyne so lange zu halten. Sie richten offenbar auch nachts grosse Schäden unter den russischen Angreifern an.

Die Gegenseite wiederum kann 50 Kilometer hinter der Front einen Erfolg verbuchen: Einer Kamikaze-Drohne ist es dort gelungen, eine Startrampe für NASAMS-Flugabwehrraketen zu zerstören, die die USA an Kiew geliefert hatten.

Der nächste Schwerpunkt der russischen Armee folgt in Marjinka: Von dort stossen die Truppen zum einen entlang des Flusses Osykova Richtung Westen vor. Bis zur Stadt Kurachowe am Wasserreservoir Wowtscha sind es von der Front noch gut elf Kilometer – siehe unten stehende Karte. 

Zwei Stossrichtungen von Marjinka 

Zum anderen nehmen russische Soldaten die Strasse 00532 nach Süden und haben bereits die Siedlung Pobjeda erreicht. Am Ende dieser Strasse liegt Wuhledar, das Moskau unbedingt einnehmen will, um die Eisenbahnlinie östlich der Bergbaustadt zu schützen. Sie ist eine extrem wichtige Nachschublinie in den Oblast Saporischschja und zur Krim.

Von Marjinka aus (Bildmitte oben) rücken russische Truppen Richtung Kurachowe vor (oben links). Eine zweite Stossrichtung von dort geht entlang der Strasse 00532 Richtung Süden und Wuhledar (links unten). Nowomychajliwka liegt in der Bildmitte: Links gestrichelt ist die Eisenbahnlinie zu sehen.
Von Marjinka aus (Bildmitte oben) rücken russische Truppen Richtung Kurachowe vor (oben links). Eine zweite Stossrichtung von dort geht entlang der Strasse 00532 Richtung Süden und Wuhledar (links unten). Nowomychajliwka liegt in der Bildmitte: Links gestrichelt ist die Eisenbahnlinie zu sehen.
DeepStateMap

Einen Stachel in der russischen Frontlinie bildet Nowomychajliwka, das nach wie vor von ukrainischen Truppen gehalten wird. Seit Wochen schon laufen die Angreifer immer wieder gegen das Dorf an, ohne sich dabei jedoch entscheidend durchsetzen zu können.

27 Kilometer nördlich von Marjinka liegt Awdijiwka, wo mindestens 16'000 Russen ums Leben gekommen sind. Zum Vergleich: In zehn Jahren Krieg in Afghanistan zwischen 1979 und 1989 hat die Sowjetunion 18'000 Mann verloren.

Russen nehmen drei Dörfer westlich von Awdijiwka ein

Die Lage um Awdijiwka wirkt zunächst katastrophal für Kiew: Die Dörfer Stepove, Lastochkyne und Sjeverne im Westen der Stadt sind allesamt gefallen. Doch damit war zu rechnen.

Westlich von Awdijiwka rücken russische Truppen vor, doch die neue ukrainische Verteidigungslinie haben sie noch nicht erreicht.
Westlich von Awdijiwka rücken russische Truppen vor, doch die neue ukrainische Verteidigungslinie haben sie noch nicht erreicht.

Der Grund: Die neue ukrainische Verteidigungslinie beginnt noch weiter westlich hinter Orlivka am Fluss Duma. Am westlichen Ufer steigt das Gelände relativ steil an, was für die Defensive ideal ist. Die Ortschaften östlich davon liegen allesamt tiefer und sind deshalb kaum zu halten.

Im Westen von Awdijiwka konnten Moskaus Kräfte einen weiteren Schlag gegen westliche Waffen feiern: Beim Dorf Berdychi ist der erste amerikanische Abrams-Panzer zerstört worden. Warum der M1 ohne Antidrohnenkäfig oder Drohnenabwehr unterwegs war, ist unklar.

42'000 Soldaten machen im Norden der Front Druck

Der nächste Hotspot der Front liegt 50 Kilometer nördlich von Awdijiwka: Südwestlich der eroberten Stadt liefern sich die Kriegsparteien heftige Strassenkämpfe in Ivanivske. Im Nordwesten machen russische Truppen weiter Druck auf die Siedlung Bohdanivka.

MilitaryLand

Das eigentliche Ziel Moskaus ist Tschassiw Jar, das jedoch erhöht liegt und deshalb schwer einzunehmen ist. Schwer hinzunehmen sind für Kiew weitere Verluste westlicher Waffe: Der unten stehende Post zeigt die Zerstörung eines Caesar-Artilleriesystems, das Dänemark geliefert hatte. Auch eine schwedische Radhaubitze vom Typ Archer wurde ausgeschaltet.

Zuletzt erreichen wir den nördlichsten Frontabschnitt, in dem der Kreml rund 42'000 Soldaten konzentriert hat. Um die 500 Panzer, mehr als 650 gepanzerte Fahrzeuge, 430 Artilleriesysteme und 150 Raketenwerfer stehen hier angeblich für russische Attacken zur Verfügung.

Der einzige Lichtblick für Kiew ist derzeit die Luftabwehr: Heute wurde erneut eine russische Su-34 abgeschossen. Innert zwölf Tagen hat Wladimir Putin zehn Flugzeuge verloren – darunter eine A-50, die für Moskau nicht zu ersetzen ist.