Kreml-Reaktion auf Kursk-OffensivePutins Beschützer-Image kriegt Risse
AP/phi
23.8.2024 - 17:17
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Bislang hat Präsident Putin den ukrainischen Vorstoss auf russisches Gebiet heruntergespielt, ja nahezu ignoriert. Es ist nicht das erste Mal, dass er langsam auf eine Krise reagiert. Hat es dieses Mal Folgen?
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23.08.2024, 17:17
dpa
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Wladimir Putin und die russischen Medien spielen die ukrainische Invasion in Kursk herunter.
Die Invasion ist nur der jüngste einer Reihe von Vorfällen, die an Putins Image es einzigen Beschützers von Russland kratzen.
Ein wichtiger Faktor für seinen Machterhalt ist die stillschweigende Zustimmung der Eliten, die selbst aber zunehmend unter dem Krieg leiden.
Putin hat auch auf andere Krisen so langsam reagiert wie jetzt.
Vor einem Jahr schritt Präsident Wladimir Putin auf eine Bühne in der Region Kursk, um den 80. Jahrestag einer der stolzesten Momente der Sowjetarmee im Zweiten Weltkrieg zu begehen.
Vor einem jubelnden Publikum – einschliesslich Soldaten, die von Kämpfen in der Ukraine zurückgekehrt waren – nannte der Kremlchef den Sieg in der entscheidenden Schlacht von Kursk «eine der grossen Heldentaten unseres Volkes».
Jetzt, da Russland am heutigen Freitag den 81. Jahrestag jener Schlacht feiert, ist Kursk erneut in den Schlagzeilen – aber aus einem ganz anderen Grund. Am 6. August haben die ukrainischen Streitkräfte einen blitzartigen Vorstoss in die Region gestartet.
Sie haben Dörfer eingenommen, Hunderte von Gefangenen genommen und die Evakuierung von Ortschaften mit insgesamt Zehntausenden Zivilisten erzwungen. Russland wurde von der Offensive kalt erwischt und zieht Berichten zufolge Wehrpflichtige ein, um einige der kampferprobtesten ukrainischen Einheiten zurückzudrängen.
Kreml spielt Invasion herunter
Insgesamt hat Putin den ukrainischen Vorstoss bislang heruntergespielt. Bei einem vom Fernsehen übertragenen Treffen seines Sicherheitsstabes in Sachen Kursk am 12. August schien er sich unbehaglich zu fühlen, schnitt dem amtierenden regionalen Gouverneur das Wort ab, als dieser begann, die von den Ukrainern eingenommenen Ortschaften aufzulisten.
Sowohl der Präsident als auch seine Mitarbeiter waren klar bemüht, die Dinge nicht beim Namen zu nennen, sprachen im Zusammenhang mit der Offensive von «den Ereignissen in der Region Kursk», von einer «Situation» oder «Provokation».
Russland evakuiert Teile von weiterer Grenzregion zur Ukraine
Nach dem Vorstoss ukrainischer Soldaten auf russisches Gebiet haben die Behörden einer zweiten Region Evakuierungen angeordnet. 11.000 Menschen seien allein aus einem Grenzbezirk der Oblast Belgorod in Sicherheit gebracht worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Tass am Montag. Belgorod liegt neben der Region Kursk, in die vor knapp einer Woche ukrainische Streitkräfte vorgedrungen waren. Der Gouverneur der Region Belgorod begründete die Evakuierungsmassnahme mit «Aktivitäten des Feindes an der Grenze», die eine Bedrohung darstellten. In der Nachbarregion Kursk war es Russland zwar am Sonntag gelungen, die Front zu stabilisieren. Jedoch wurde russischen Kriegsbloggern zufolge in einem Teil des Gebiets auch am Montag weiterhin gekämpft. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben ist nicht möglich. Nach Angaben des Gouverneurs von Kursk sind ukrainische Kämpfer bislang zwölf Kilometer auf russisches Gebiet vorgerückt und haben 28 Siedlungen unter ihre Kontrolle gebracht. Präsident Wladimir Putin warf der Ukraine vor, Russland destabilisieren zu wollen. Dies werde jedoch nicht gelingen. Sein Land werde auf den Vorstoss reagieren.
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Die staatlichen Medien schlossen sich der Linie an, zeigten Einwohner der evakuierten Dörfer beim Anstehen für Hilfsgüter und die Abgabe von Blutspenden – als wären die Vorgänge in Kursk eine humanitäre Katastrophe und nicht die bislang grösste Attacke gegen Russland seit dem Zweiten Weltkrieg.
Putins Beschützer-Image bekommt Risse
In seinen 24 Jahren an der Macht hat sich Putin selbst als die einzige Person porträtiert, die Russlands Sicherheit und Stabilität gewährleisten kann. Aber dieses Image hat gelitten, seit der Krieg vor zweieinhalb Jahren begann, auch wenn die Unterstützung für ihn weiterhin stark ist. Russische Städte sind von ukrainischen Kräften mit Drohnen angegriffen und beschossen worden.
Der später unter ungeklärten Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommene Chef der Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, startete im vergangenen Jahr einen Aufstand, um seine militärischen Vorgesetzten zu entmachten. Im März stürmten bewaffnete Männer eine Moskauer Konzerthalle und töteten 145 Menschen.
Während das Staatsfernsehen die Unterstützung für Putin antreibt, ist es schwieriger, die Meinung seiner Schlüsselanhängerschaft einzuschätzen – die der russischen Eliten. Putin sei von ihrer stillschweigenden Zustimmung abhängig, sagt Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulmann, eine externe Expertin der Denkfabrik Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin.
«Ist der alte Mann weiter ein Vorteil?»
Was sich in ihren Köpfen ständig abspiele, sei die Kalkulation, «ob der Status Quo zu ihrem Vorteil ist oder nicht». Seit der Krieg begann, ist das Leben für diese Eliten – Putins innerer Kreis, Topbürokraten, Sicherheits- und militärische Offizielle sowie führende Geschäftsleute – schlechter geworden, nicht besser.
Hat der Krieg auch viele von ihnen bereichert, haben sie aufgrund westlicher Sanktionen weniger Möglichkeiten, ihr Geld auszugeben. Die Frage, die sie sich selbst über Putin stellten, so Schulmann, «ist, ob der alte Mann weiter ein Vorteil ist oder bereits eine Belastung».
Man könne sagen, dass Russlands Eliten sich in einem Zustand «nicht glücklicher Konformität» befänden, meint Nigel Gould-Davies vom Internationalen Institut für Strategische Studien in London. Sie seien unzufrieden mit dem Status Quo, aber machten sich Sorgen darüber, wer im Fall eines Führungskampfes gewinnen würde.
Putins Krisen-Management beim U-Boot «Kursk»
Und sie könnten die Hoffnung hegen, so der Experte, dass Putins Reaktion auf die Vorgänge in Kursk einem Muster folge, nach dem er zunächst langsam mit der Antwort auf eine Krise ist, bevor er dann am Ende handelt.
Es ist etwas, was man seit seinen frühesten Tagen an der Macht von ihm kennt – angefangen mit den Ereignissen um das Atom-U-Boot «Kursk», das vor 24 Jahren nach der Explosion eines seiner Torpedos in der Barentssee sank. Alle 118 Besatzungsmitglieder an Bord kamen um.
Putin blieb anfänglich im Urlaub, was ihm verbreitet Kritik eintrug, und wartete fünf Tage, bevor er westliche Angebote der Hilfe annahm. Ein früheres Handeln hätte vielleicht einige der Matrosen retten können, die die Explosion ursprünglich überlebt hatten.
Auch beim Wagner-Aufstand reagiert Putin langsam
Putin erschien auch zurückhaltend in seiner Reaktion auf Prigoschins Aufstand im Juni 2023, der – wenn auch nur kurz – die bislang ernsteste Herausforderung für seine Machtposition wurde.
Nach dem Versanden der Meuterei war es dem Wagner-Chef zunächst erlaubt, auf freiem Fuss zu bleiben, aber Schulmann zufolge war es dann am Ende Putin, der «zuletzt lachte», als der Söldnerführer einen Monat später bei einem weiterhin mysteriösen Absturz seines Privatflugzeuges getötet wurde.
Als die Kursk-Offensive kürzlich in ihre dritte Woche ging, war Putin weiter bemüht, sich an sein Programm zu halten. Er begab sich sogar auf eine zweitägige Reise nach Aserbaidschan. Am 20. August erwähnte er die Krise kurz, versprach, «jene zu bekämpfen, die Verbrechen in der Kursk-Region begehen».
Da abweichende Meinungen im eigenen Land unterdrückt werden und linientreue Medien das Sagen haben, könne Putin es sich leisten, die «völlig zynische» Entscheidung zu treffen, die Vorgänge in Kursk zu ignorieren, meint Schulmann. Aber je länger der ukrainische Vorstoss andauert, desto mehr militärische und politische Herausforderungen stellt er dar.
So scheint Russland Mühe zu haben, geeignete Kräfte zur Abwehr des Angriffes aufzubieten. Und mit dem Andauern der Offensive, so Gould-Davies, werde es eine Kernfrage, was passiert, «wenn Russlands Eliten zum Schluss kommen, dass der Konflikt ungewinnbar ist oder er nicht enden wird, solange Putin an der Macht ist».
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