Der Abzug der US-Truppen aus Nordsyrien sorgt für massive Kritik – auch bei den Republikanern. Trump lobt dagegen seine «unvergleichliche Weisheit» und droht der Türkei mit der «Auslöschung» ihrer Wirtschaft.
Überraschend verkündet Donald Trump den Abzug amerikanischer Soldaten aus dem syrischen Grenzgebiet zur Türkei. Der Aufschrei ist gross. Selbst Parteikollegen gehen den Präsidenten scharf an. Sie fürchten um das Leben der Kurdenmilizen – und um den Ruf Amerikas.
Mit dem überraschenden Abzug amerikanischer Soldaten aus Nordsyrien hat US-Präsident Donald Trump eine Welle der Empörung ausgelöst. Auch und gerade aus den Reihen von Trumps Republikanern kam ungewöhnlich heftige Kritik. Führende Republikaner warfen Trump vor, die Kurdenmilizen in Nordsyrien im Stich zu lassen und damit ihr Leben angesichts einer erwarteten Militäroffensive der Türken aufs Spiel zu setzen. Die Entscheidung sei ein grosser Fehler. Trump verteidigte seinen Vorstoss und drohte zugleich der türkischen Regierung mit schweren Konsequenzen, sollte sie inhuman handeln. Ankara bekräftigte, für eine Operation in Nordsyrien bereit zu sein.
Kurdenmilizen sind enge Verbündete der USA
Seit langem wird eine Militäroffensive Ankaras in Nordsyrien erwartet. Das Weisse Haus hatte am Sonntag mitgeteilt, amerikanische Streitkräfte würden sich daran nicht beteiligen und künftig nicht mehr «in der unmittelbaren Region sein». Am Montagmorgen begannen US-Soldaten dann nach Angaben der von Kurdenmilizen dominierten Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF) mit dem Abzug aus dem Gebiet.
Die YPG-Kurdenmilizen waren im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein enger Verbündeter der USA. Sie sind Ziel der türkischen Offensive: Die Türkei sieht in der YPG, die an der Grenze Gebiete beherrscht, eine Terrororganisation.
Die frühere US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, die Republikanerin Nikki Haley, schrieb am Montag (Ortszeit) auf Twitter: «Die Kurden waren massgeblich an unserem erfolgreichen Kampf gegen den IS in Syrien beteiligt. Sie sterben zu lassen ist ein grosser Fehler.»
Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, warnte vor der Gefahr eines «signifikanten Konflikts» zwischen der Türkei und den Kurdenmilizen und rief Trump dringend dazu auf, amerikanische Führung zu zeigen und die internationale Koalition gegen den IS zusammenzuhalten. Mit dieser raren Kritik am Präsidenten zeigte sich McConnell selten einmütig mit der demokratischen Vorsitzenden der anderen Kongresskammer, Nancy Pelosi, die Trumps Entscheidung ebenfalls kritisierte. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses warf Trump vor, die kurdischen Verbündeten der USA zu «verraten».
Kurden im Stich gelassen
Der republikanische Senator Marco Rubio schrieb auf Twitter, die USA hätten die Kurden im Stich gelassen, ihnen drohe nun die Vernichtung durch das türkische Militär. Der einflussreiche republikanische Senator und Trump-Vertraute Lindsey Graham sprach in einer Serie aufgebrachter Tweets von einer impulsiven, traurigen und höchst gefährlichen Entscheidung Trumps. Die USA stünden als unverlässlicher Verbündeter da, und es drohe das Wiedererstarken des IS.
Graham kündigte eine parteiübergreifende Resolution im Senat an, um Sanktionen gegen die Türkei durchzusetzen im Fall einer türkischen «Invasion» Nordsyriens. Sollten türkische Truppen kurdische Kräfte dort angreifen, werde man auch die Aussetzung der Nato-Mitgliedschaft der Türkei fordern. Er erwarte, dass eine Zweidrittelmehrheit im Kongress für eine solche Resolution zustande komme. Damit könnte auch ein etwaiges Veto von Trump überstimmt werden.
Die Nato wollte sich am Montagabend nicht zu Grahams Vorstoss äussern. Diplomaten verwiesen allerdings darauf, dass im Bündnisvertrag keine Klausel zum Ausschluss von unerwünschten Mitgliedern existiert. Die türkische Nato-Mitgliedschaft gegen den Willen der Regierung in Ankara auszusetzen oder zu beenden, wäre demnach ein ungeheuer komplexes Projekt, das zudem der Zustimmung aller anderen Nato-Partner der USA bedürfte. Dennoch ist Grahams Ausbruch politisch von Bedeutung, ebenso wie die vehemente Kritik anderer Republikaner.
Trump droht der Türkei
Trump verteidigte seinen Vorstoss und warnte die Türkei zugleich vor einem Fehlverhalten bei einem Einmarsch in Syrien. Sollte die Türkei sich nicht «human» verhalten, werde das schwere wirtschaftliche Konsequenzen für das Land haben, sagte Trump am Montagabend (Ortszeit). Auf Twitter schrieb er: «Wenn die Türkei irgendetwas unternimmt, was ich in meiner grossartigen und unvergleichlichen Weisheit für tabu halte, werde ich die türkische Wirtschaft vollständig zerstören und auslöschen.» Was genau er als Verstoss erachten würde, liess er offen.
Trump sagte, es seien lediglich 50 US-Soldaten aus Nordsyrien abgezogen worden - zu ihrem Schutz. Ein ranghoher Regierungsbeamter betonte, die betroffenen Soldaten seien an andere Militärstandorte im Land verlegt worden. «Das bedeutet keinen Abzug aus Syrien.» Der Rückzug dieser Kräfte aus dem Norden sei auch keineswegs «grünes Licht» für die Türken, ein Massaker an den Kurden zu begehen. Trump selbst lieferte derweil kein klares Bekenntnis zum Schutz der Kurden.
Start der türkischen Offensive offen
Die Türkei will entlang der Grenze eine «Sicherheitszone» unter ihrer alleinigen Kontrolle. Dort will Präsident Recep Tayyip Erdogan auch Millionen syrische Flüchtlinge unterbringen, die derzeit in der Türkei und Europa leben. Erdogan hatte am Samstag gesagt, die Türkei stehe kurz vor einem Militäreinsatz in Nordsyrien. Aus dem türkischen Aussenministerium hiess es am frühen Dienstagmorgen, man sei für die angekündigte Militäroffensive in Nordsyrien bereit.
Wann diese beginnen soll, blieb offen. Bis Dienstag ist Erdogan in Serbien und es gilt als unwahrscheinlich, dass eine Offensive beginnt, solange der Präsident ausser Landes ist. Er will zudem die Entwicklungen in der Region mit US-Präsident Trump in der ersten Novemberhälfte in Washington besprechen. Ob er bis dahin auf den Militäreinsatz verzichtet, blieb unklar.
Unklar ist auch, was mit den IS-Kämpfern in der Hand der Kurdenmilizen geschieht. Trump kritisierte erneut Staaten wie Deutschland und Frankreich, die sich geweigert hätten, ihre Staatsbürger unter den gefangen genommenen IS-Kämpfern zurückzunehmen. Es sei jetzt Aufgabe der Türkei und auch europäischer Länder, sich um diese gefangen genommenen IS-Kämpfer und deren Familien zu kümmern. Nach Schätzungen des US-Militärs befinden sich rund 10'000 IS-Kämpfer in teils improvisierten SDF-Gefängnissen.
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