Ursprung des Coronavirus Forscher verwerfen die Labor-These

Von Laura Ungar, AP

13.12.2021 - 06:41

Experten der WHO besuchen am 2. Februar 2021  das Hubei Animal Disease Control and Prevention Center in Wuhan.
Experten der WHO besuchen am 2. Februar 2021  das Hubei Animal Disease Control and Prevention Center in Wuhan.
Bild: Keystone/AP Photo/Ng Han Guan

In den vergangenen Monaten war immer wieder darüber diskutiert worden, ob das jüngste Coronavirus nicht doch aus einem chinesischen Labor entwichen sein könnte. Doch laut Forschern wie Michael Worobey spricht viel mehr dafür, dass es von Fledermäusen über Marderhunde die Menschheit erreichte.

DPA, Von Laura Ungar, AP

Als das Coronavirus Ende 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan auftauchte, deutete schon vieles darauf hin, dass die Infektionen von einem Tiermarkt ihren Ursprung nahmen. Sehr schnell hiess es, der Erreger sei wahrscheinlich von Fledermäusen über ein anderes Tier auf den Menschen übergesprungen. Nach zwei Jahren ist die Herkunft von Sars-CoV-2 aber weiter nicht zweifelsfrei geklärt.

Zwar geht ein Grossteil der Wissenschaftler noch immer davon aus, dass Corona aus der Tierwelt stammt und über Fledermäuse zu den Menschen kam – direkt oder über andere Tiere. Genannt wurden etwa Schuppentiere oder Schleichkatzen. Andere Forscher aber halten inzwischen die sogenannte Laborthese für glaubhaft: Sie vermuten, dass das Virus aus einem chinesischen Labor entwichen ist.

«Das Labor-Leck-Szenario bekommt grosse Aufmerksamkeit an Orten wie Twitter», räumt Stephen Goldstein von der Universität von Utah ein. Allerdings gebe es keinen Beleg dafür, dass das Virus in einem Labor gewesen sei. Zusammen mit 20 weiteren Expertinnen und Experten hat Goldstein deshalb in einem Artikel im Fachjournal «Cell» dargelegt, warum er an der Annahme einer Zoonose, also eine aus der Tierwelt auf den Menschen übersprungene Krankheit, festhält.



Zoonotische Übertragung wahrscheinlicher

Er habe die zoonotische Übertragung immer für wahrscheinlicher gehalten als das Entweichen des Virus aus einem Labor, sagt auch Michael Worobey, Evolutionsbiologe an der Universität von Arizona und Mitverfasser des Artikels. Zwar habe er im Frühjahr seine Unterschrift unter einen Brief gesetzt, in dem mehrere Wissenschaftler beide Theorien für möglich erklärt hatten. Doch seitdem hätten ihn seine eigene Forschung und die anderer jedoch noch stärker von der Tier-Hypothese überzeugt. Diese werde durch die Daten viel stärker gestützt.

Die Laborthese lenke wahrscheinlich nur ab von dem, was tatsächlich passiert sei, erklärt Worobey. Verfechter dieser Annahme, dass Corona aus dem Labor zu den ersten Patienten gelangte, vermuten entweder ein Überspringen beim Umgang mit Proben aus der Umwelt oder sogar mit im Labor geschaffenen Erregern. Dem stellte Worobey vor einigen Wochen eine Chronologie gegenüber, bei der er den ersten bekannten Covid-19-Fall beim Menschen in Verbindung zum Huanan-Fischmarkt von Wuhan bringt, auf dem auch zahlreiche andere lebende Tiere verkauft wurden.

In ihrem Beitrag für die Zeitschrift «Cell» verweisen Goldstein und sein Kollegenkreis auch darauf, dass Sars-CoV-2 das inzwischen neunte dokumentiere Coronavirus beim Menschen sei. Alle bislang bekannten hätten ihren Ursprung in der Tierwelt gehabt.

Wildtieren als Zwischenglied

Viele Experten gehen von Wildtieren als Zwischenglied in einer Übertragungskette zwischen Fledermäusen und Menschen aus. Er vermute Marderhunde als Zwischenwirt, erklärt Worobey. Diese Tiere seien anfällig für Coronaviren und seien auf dem Huanan-Markt verkauft worden. Der «Goldstandard-Beleg» dafür wäre ein infiziertes Tier von dort, betont der Forscher. Aber dafür ist es wohl zu spät: Der Markt sei allen Informationen nach gründlich aufgeräumt worden.

In einem gemeinsamen Bericht hatten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und China in diesem Jahr auch die Übertragung des Virus von Fledermäusen über ein anderes Tier auf den Menschen als wahrscheinlichstes Szenario genannt. Als ersten bekannten Covid-19-Fall führten sie aber einen Mann auf, der keinerlei Verbindung zum Huanan-Markt hatte und dessen erste Symptome auf den 8. Dezember 2019 datiert wurden.

Verfechter der Laborthese stützten sich auf diesen Fall, sagt Worobey. Denn der Mann habe in der Nähe einer Einrichtung des Instituts für Virologie von Wuhan gelebt. Nach seiner eigenen Recherche habe der Mann aber erklärt, dass die Krankheit Anfang Dezember ein Zahnproblem gewesen sei – und die Covid-19-Symptome erst Mitte Dezember aufgetreten seien. Seinen ersten Fall verortet Worobey klar auf den Huanan-Markt – mit Symptomen bereits am 11. Dezember.

Sars-CoV-2 erreicht mehrere Tierarten

Seit dem Auftauchen von Covid-19 hat das Virus eine ganze Reihe von Tierarten erreicht: von Hauskatzen über Zuchtnerze und Hirsche bis hin zu Zootieren. Meist wurde der Erreger nach Erkenntnissen der US-Gesundheitsbehörden von Menschen übertragen. Das Risiko, sich bei den infizierten Tieren anzustecken, sei jedoch gering, heisst es.

Dennoch wächst die Angst, dass aus der Tierwelt wieder neue Varianten des Virus zurückkommen könnten. «Rund um die Welt könnten Tiere möglicherweise solche Varianten ausbrüten, auch wenn wir Covid-19 beim Menschen unter Kontrolle bekommen», meint der Virologe David O'Connor an der Universität von Wisconsin-Madison. «Wir werden auf absehbare Zeit vermutlich kein grosses Giraffen-Impfprogramm stemmen.»

Eindämmen des illegalen Wildtierhandels ein Muss

Erste Vermutungen werden laut, dass auch die neue Omikron-Variante so entstanden sein könnte. Er suche nach genetischen Spuren, die darauf hindeuten könnten, erklärt auch Michael Worobey.

Dass auch künftig gefährliche Viren aus dem Tierreich auf die Menschheit überspringen, darin ist sich die Fachwelt einig. Und um dem gegenzusteuern, bedürfe es mehr als ein Eindämmen des illegalen Wildtierhandels. Und das heisst ein entschiedenes Anpacken globaler Probleme, die riskante Kontakte zwischen Mensch und Tier zunehmen lassen: allen voran der Klimawandel, die Zerstörung von Lebensräumen und die Ausbeutung der Tierwelt.