Nach Flugzeug-AbschussWütende Proteste gegen das Regime – im Iran kippt die Stimmung
dpa/AP/SDA/tafi
12.1.2020
In Teheran wird gegen die Regierung und das Establishment protestiert. Die Stimmung im Land könnte gegen die Machthaber kippen – wären die Reformer nicht so ratlos.
Nach ersten Protestkundgebungen gegen die iranische Regierung am Samstagabend sind für Sonntag weitere Demonstrationen angekündigt. Als Reaktion auf entsprechende Aufrufe gingen auf dem Teheraner Platz Vali-e Asr Bereitschaftspolizei und Polizisten in zivil in Stellung, ebenso an der Universität und anderen zentralen Plätzen. Die öffentliche Stimmung im Iran scheint sich gegen die Staatsführung zu wenden.
Doch die politische Mehrheit in dem Staat mit seinen gut 80 Millionen Einwohnern repräsentieren die Demonstranten derzeit (noch) nicht. Schon im Februar finden Parlamentswahlen statt, renommierte Reformer sind gar nicht erst angetreten. Beobachter gehen daher von einem klaren Sieg der Reformgegner aus. Eine erwartete Koalition von Hardlinern und Erzkonservativen im Parlament könnte dann auch den Ausgang der Präsidentenwahl im kommenden Jahr stark beeinflussen.
Ratlosigkeit bei Reformern
Deren Spitzenkandidat, wer immer es wird, gilt schon jetzt als Favorit für den Präsidentenposten. Ein Politologe in Teheran resümiert deshalb: «Das Ziel von (US-Präsident Donald) Trump und seinen Leuten, einen Regimewechsel im Iran zu erzwingen, ist aufgegangen – nur eben in die falsche Richtung.»
Nach der gezielten Tötung des Top-Generals Ghassem Soleimani schien sich ein militärischer Konflikt zwischen dem Iran und den USA anzubahnen – das ist nach wechselseitigen Entspannungssignalen nun vorerst vom Tisch. In der Islamischen Republik selbst aber wirkt der US-Drohnenangriff noch stark nach.
Viele reden weiter von Vergeltung und Blut, Diplomatie ist für manche zum Schimpfwort geworden. Die Hardliner und die erzkonservativen Kräfte, die von Anfang an gegen den Reformkurs von Präsident Hassan Ruhani waren, haben nach sieben Jahren politischer Abwesenheit nun wieder die Oberhand. Bei den Reformern dagegen herrscht Ratlosigkeit.
Glaubwürdigkeit verloren
Für Enttäuschung sorgte am Wochenende nun auch das für viele überraschende Eingeständnis, dass der Iran für den Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine verantwortlich ist. Die Iraner fühlen sich von Ruhanis Regierung betrogen, weil die tagelang über einen technischen Defekt sprach und einen Abschuss vehement abstritt. «Glaubwürdigkeit hat mit dieser Regierung keine Bedeutung mehr», schrieb ein wütender Iraner auf Twitter.
Ein reformorientiertes Mitglied des Stadtrats von Teheran, Bahareh Arwin, teilte in sozialen Medien mit, dass er aus Protest gegen die Lügen und Korruption zurücktrete. «Mit dem gegenwärtigen Mechanismus gibt es keine Hoffnung auf Reform», erklärte er. Mehrere iranische Künstler, darunter der bekannte Regisseur Masud Kimiai, sagten einem bevorstehenden Filmfestival ab. Zwei Moderatoren des Staatsfernsehens traten aus Protest gegen die falschen Angaben zur Absturzursache zurück.
خطاب به رهبران ايران: معترضان خود را نكشيد. هزاران تن تاكنون به دست شما كشته يا زنداني شده اند، و جهان نظاره گر است. مهمتر از ان، ايالات متحده نظاره گر است. اينترنت را دوباره وصل كنيد و به خبرنگاران اجازه دهيد ازادانه حركت كنند! كشتار مردم بزرگ ايران را متوقف كنيد! https://t.co/rzpx3Nfn03
Sicherheitskräfte hatten am Samstagabend Versammlungen an Teheraner Universitäten unter Einsatz von Tränengas aufgelöst, die als Mahnwachen für die Opfer des Absturzes begannen, dann aber in Protest gegen die Führung umschlugen, die tagelang die Verantwortung für den Absturz bestritten hatte. Erst am Samstag wurde eingeräumt, dass aus Versehen eine Luftabwehrrakete auf das Passagierflugzeug abgefeuert worden sei.
Britischer Botschafter festgenommen
Der britische Botschafter Robert Macaire wurde bei einer der Kundgebungen am Samstagabend festgenommen. Er habe nicht gewusst, dass es eine politische Demonstration werden würde, erklärte er. Nach fünf Minuten sei er gegangen, als einige begonnen hätten, Parolen zu skandieren. Diese richteten sich auch gegen den Obersten Führer, Ajatollah Ali Chamenei. Der Botschafter wurde nach eigenen Angaben eine halbe Stunde, nachdem er die Versammlung verlassen hatte, festgenommen. Aussenminister Dominic Raab sagte, die Verhaftung sei eine «flagrante Verletzung des internationalen Rechts» gewesen.
Der stellvertretende iranische Aussenminister Abbas Araghchi twitterte später, Macaire sei «als ein unbekannter Ausländer bei einer illegalen Versammlung» festgenommen worden. Nachdem er bei einem Telefonat mit Macaire gewahr geworden sei, dass es sich um den Botschafter handelte, sei dieser freigelassen worden. Das iranische Aussenministerium teilte mit, dass es Macaire später wegen dessen «illegaler und unpassender Anwesenheit» bei dem Protest einbestellt habe.
US-Präsident Donald Trump twitterte: «An die Führer des Irans – töten Sie nicht Ihre Protestierenden.» Er warnte: «Die Welt schaut zu. Wichtiger noch, die USA schauen zu.»
Einer der Flugzeugmotoren der abgestürzten Boeing 737 der Fluggesellschaft UIA liegt zwischen den Trümmern in der Nähe der iranischen Hauptstadt Teheran. Im Hintergrund arbeiten Ermittler an der Aufklärung der Unglücksursache.
Bild: KEYSTONE/EPA/AT LB
Ein Forensiker sammelt Hinweise, die bei der Identifizierung der Leichen helfen können. Beim Absturz eines ukrainischen Passagierflugzeugs im Iran kamen 176 Menschen ums Leben.
Bild: KEYSTONE/AP/EN
Die Trümmerteile weit verstreut an der Absturzstelle.
Bild: KEYSTONE/EPA/AT JMA
Die Boeing 737 der Fluggesellschaft Ukraine International stürzte kurz nach dem Start in Teheran ab.
Bild: KEYSTONE/CS k_tk
Retter durchsuchen an der Absturzstelle die Trümmer.
Bild: Mohammadreza Abbasi/dpa
Porträts der Besatzungsmitglieder des abgestürzten ukrainischen Flugzeugs stehen hinter Kerzen und niedergelegten Blumen an einer Gedenkstätte im internationalen Flughafen Borispil.
Bild: -/Ukrinform/dpa
Eine Frau weint während einer Mahnwache für die Opfer des Flugzeugabsturzes. Bei dem Absturz der Passagiermaschine im Iran mit mehr als 170 Toten, kamen mindestens 63 Menschen aus Kanada.
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