Düstere Bilanz Zehn Jahre nach Kim Jong-ils Tod liegt Nordkorea am Boden

Von Sven Hauberg

16.12.2021

Am 28. Dezember 2011 fuhr ein pompöser Konvoi den Sarg von Kim Jong-il durch Pjöngjang.
Am 28. Dezember 2011 fuhr ein pompöser Konvoi den Sarg von Kim Jong-il durch Pjöngjang.
Bild: Keystone

Vor zehn Jahren starb der nordkoreanische Diktator Kim Jong-il. Unter seinem Nachfolger und Sohn Kim Jong-un steuert das Land auf den Abgrund zu.

Von Sven Hauberg

16.12.2021

Sogar die Natur weinte, als Kim Jong-il starb. Das Eis des zugefrorenen Himmelssees am Gipfel des Vulkans Paektusan brach auf, «so laut, dass es Himmel und Erde erschütterte»; und in der Stadt Hamhung sah man gar einen Mandschurenkranich, der den Verlust des «lieben Führers» betrauerte. Das zumindest wusste die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA wenige Tage nach Kims Tod zu berichten.

Kim Jong-il war am Morgen des 17. Dezember 2011 verstorben, angeblich an Bord eines Zuges. Tagelang trug das ganze Land Trauer. Die Bilder von verzweifelten, in Tränen aufgelösten Menschen, die auf den verschneiten Strassen von Pjöngjang vor Kims Sarg theatralisch zusammenbrachen, gingen damals um die Welt. Stundenlang fuhr der Trauerzug durch die nordkoreanische Hauptstadt, angeführt von zwei Männern, von denen einer die Geschicke des Landes bestimmen und der andere zwei Jahre später hingerichtet werden sollte.

In jenen Tagen vor zehn Jahren lernte die Welt erstmals Kim Jong-un näher kennen, den dritten und jüngsten Sohn des Verstorbenen und Enkel von Staatsgründer Kim Il-sung. Kim Jong-un, der als Kind wohl einige Jahre in der Schweiz zur Schule gegangen war, wurde bereits Ende 2010 als Nachfolger seines Vaters aufgebaut. Als Kim Jong-il schliesslich starb, war er – die Angaben über sein Alter widersprechen sich – etwa 30 Jahre alt. Und für viele Beobachter, auch im Westen, war der junge Mann so etwas wie ein Hoffnungsträger.

Nach Kims Tod zeigte das nordkoreanische Fernsehen Bilder von trauernden Bürgerinnen und Bürgern.
Nach Kims Tod zeigte das nordkoreanische Fernsehen Bilder von trauernden Bürgerinnen und Bürgern.
Bild: Keystone

Erfolgloser Gipfel mit Trump

«Es gab durchaus einige Zeichen der Veränderung, die sich nicht nur, aber insbesondere in der Hauptstadt Pjöngjang feststellen lassen», erklärt der Nordkorea-Experte Eric J. Ballbach von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik auf Anfrage von blue News. «Etwa die Verbreitung von Mobiltelefonen, welche die Kommunikation innerhalb des Landes drastisch verändert haben.» Auch das Stadtbild von Pjöngjang wandelte sich, neue Hochhäuser wurden gebaut und Freizeitparks aus dem Boden gestampft.



Kim übernahm ein bettelarmes Land, das er zunächst behutsam auf Wachstumskurs brachte. Vor allem, indem er Unternehmen ein wenig Autonomie zugestand und den Märkten ein Stück weit freien Lauf liess. «Gleichwohl bleibt Kim Jong-un – wie bereits sein Vater Kim Jong-il vor ihm – mit der grundlegenden Frage konfrontiert, welche politische Priorität unter den gegebenen Bedingungen gesetzt wird: wirtschaftliche Entwicklung oder militärische Sicherheit beziehungsweise Selbstverteidigung», sagt Ballbach.

Kim Jong-un entschied sich dafür, beides gleichzeitig zu versuchen, und grenzte sich damit von der Militär-zuerst-Strategie seines Vaters ab. Doch die Rechnung ging nicht auf: 2016 geriet das Wirtschaftswachstum empfindlich ins Stocken, und anfängliche aussenpolitische Erfolge liefen ins Leere. Zwar traf sich Kim im Juni 2018 unter viel medialem Getöse mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump; doch der Gipfel brachte keinerlei Ergebnisse.

Kims Ziel: Das Überleben des Regimes

Der selbsternannte «Deal-Maker» Trump jedenfalls war nicht bereit, die Sanktionen gegen Nordkorea aufzuheben, und er schaffte es folglich auch nicht, Kims Atomprogramm Einhalt zu gebieten. Kein Wunder: «Die Hauptmotivation für das nordkoreanische Atomwaffenprogramm, und eigentlich für jede nordkoreanische Politik, ist die Sicherheit, also das Überleben des Regimes», so Ballbach.

Nach aussen hin dienen die regelmässigen Atomwaffentests der Abschreckung. Ein Regimewechsel, wie ihn Nordkorea etwa durch die USA oder Südkorea befürchtet, soll so verhindert werden. Und nach innen konstruiert die Regierung das Zerrbild eines Feindes, vor dem das Volk beschützt werden müsse. «Die ständige Botschaft an die nordkoreanische Bevölkerung lautet: Unterstützt dieses Regime, denn nur dessen Führer sind in der Lage, eine ausländische Invasion und Unterdrückung zu verhindern», sagt Experte Ballbach.



Einen echten Krieg wolle Kim allerdings nicht, so Ballbach weiter, weil Nordkorea wisse, dass es ihn verlieren werde. «Dies stünde in völligem Widerspruch zu dem eigentlichen Ziel, für das diese Atomwaffen entwickelt wurden: das Überleben des Regimes.»

«Er scheint seine Macht konsolidiert zu haben»

Seine Herrschaft stützt Kim Jong-un nicht nur auf die Konstruktion eines äusseren Feindes. Auch gegen vermeintliche Gegner aus den eigenen Reihen geht er seit seinem Amtsantritt mit harter Hand vor. So liess er in den vergangenen zehn Jahren Schätzungen zufolge Hunderte Menschen hinrichten.

Zu den Opfern zählen auch Mitglieder seiner eigenen Familie. So wie Jang Song-thaek, ein angeheirateter Onkel und jener Mann, der im Dezember 2011 hinter Kim durch die Strassen von Pjöngjang lief. Nur zwei Jahre später, am 12. Dezember 2013, wurde Jang auf Befehl von Kim exekutiert.

Kim Jong-un (vorne rechts) wurde bei der Beerdigungszeremonie seines Vaters von seinem angeheirateten Onkel Jang Song-thaek (links neben ihm) begleitet.
Kim Jong-un (vorne rechts) wurde bei der Beerdigungszeremonie seines Vaters von seinem angeheirateten Onkel Jang Song-thaek (links neben ihm) begleitet.
Bild: Keystone

«Kim Jong-un scheint nach allen vorliegenden Informationen seine Macht nach innen konsolidiert zu haben», glaubt Experte Ballbach. «Es existiert keine – sichtbare – Opposition im Land, welche seine Machtposition gefährden würde.» Zwar gab es im Sommer Berichte, dass Kim ab sofort ein sogenannter «Erster Sekretär» als eine Art Stellvertreter an die Seite gestellt worden sei; auch berichten Geheimdienste zuletzt immer wieder über angebliche gesundheitliche Probleme von Kim. Verifizieren lässt sich das allerdings kaum.

Die USA konzentrieren sich auf China

Eine überaus reale Bedrohung hingegen ist das Coronavirus. Offiziell hat Nordkorea bislang zwar keinen einzigen Fall gemeldet, unter der Pandemie leidet das Land dennoch. Seit Januar 2020 schottet es sich gegen die Aussenwelt ab. Der Handel, etwa mit dem wichtigsten Partner China, ist zusammengebrochen, ein Zustand, den Pjöngjang nicht dauerhaft durchhalten wird. Die internationalen Sanktionen gegen das Regime verschärfen die Lage zusätzlich, hinzukommen Misswirtschaft, Naturkatastrophen und zerstörte Ernten. Das Volk leidet Hunger.



Gleichzeitig hat die Pandemie dazu geführt, dass Nordkorea etwas aus dem Fokus der internationalen Politik geraten ist. Ausserdem scheint US-Präsident Joe Biden kaum Interesse an dem Regime in Pjöngjang zu haben. Seine Aufmerksamkeit gilt vielmehr der Rivalität mit China. Was für Kim bedeuten könnte, am Ende als lachender Dritter dazustehen. Gut möglich nämlich, dass China seinen kleinen Nachbarn wieder zunehmend als Pufferzone gegen Südkorea versteht, wo US-Truppen stationiert sind, und das Regime in Pjöngjang mit Nahrungs- und Treibstofflieferungen unterstützen wird.

Noch aber überqueren nur wenige Güter die Grenze zwischen den beiden Staaten. Und es ist kaum absehbar, wann Pjöngjang sich wieder zur Aussenwelt öffnet. Vielleicht im kommenden Jahr, vielleicht aber auch erst 2023. Grund zum Feiern hat Kim Jong-un in diesen Tagen, da sich seine Machtübernahme zum zehnten Mal jährt, jedenfalls nicht.