Die Schweiz steht vor einer beispiellosen Herausforderung: Die Zahl der Crack- und Kokainabhängigen hat einen neuen Höchststand erreicht. Aktuelle Abwassermessungen in zehn Schweizer Städten zeigen einen Anstieg der Kokain-Rückstände um ein Drittel zwischen 2021 und 2023.
Besonders überraschend: Nicht Genf, sondern Lausanne und Chur führen die Rangliste der Städte mit dem höchsten Crack-Konsum an, gefolgt von Schwyz, Zürich und Bern.
Crack ist eine stark suchterzeugende, rauchbare Form von Kokain, die durch die Verarbeitung von Kokainhydrochlorid mit Wasser und Natron (Backsoda) hergestellt wird. Das Ergebnis sind kleine, harte Klumpen oder «Steinchen», die schnell und intensiv wirkend sind, wenn sie geraucht werden.
«Dringender Aufruf» der Suchtkommission
Wie hoch der Gesamtkonsum an Kokain ist, bleibt eine Schätzung. Eine Westschweizer Studie veranschlagte ihn 2018 auf 5000 Kilogramm pro Jahr. Heute dürfte es klar mehr sein. Dabei gehen Expert*innen davon aus, dass mittlerweile ein Viertel dieses Kokains in Form von Crack konsumiert wird.
Kokain ist derzeit so allgegenwärtig, so billig und rein wie nie, sagen die Expert*innen. Ganz Europa werde vom weissen Pulver überschwemmt. Dies wiederum spiegelt sich laut NZZ in der nationalen Suchthilfestatistik: Im letzten Berichtsjahr 2022 liessen sich über viermal mehr Menschen wegen Crack-Abhängigkeit behandeln als noch sieben Jahre zuvor.
Besorgt von dieser Entwicklung, ruft die eidgenössische Suchtkommission (EKSN) nun in einem «dringenden Aufruf» zu einem umstrittenen Schritt auf, wie die NZZ schreibt.
Und empfiehlt neben bekannten Massnahmen wie Konsumräumen, Notunterkünften oder medizinischer Betreuung auch, was bisher tabu war: Der Staat selber soll den Schwerstsüchtigen Kokain abgeben, und dies «je rascher, desto besser», wie Christian Schneider, Vizepräsident der Kommission, der NZZ sagte. «Denn wir steuern auf eine Krise zu.»
Kontrollierte Abgabe von Kokain wäre einzigartig
Die kontrollierte Abgabe von Kokain an Abhängige wäre laut Nau ein weltweit einzigartiger Schritt. Obwohl die Suchtkommission noch kein fertiges Konzept vorliegen hat, hält sie es aufgrund der aktuellen Entwicklungen für notwendig und möglich, Abhängigen aus ihrer Abhängigkeitsspirale zu helfen.
So könnte mit der Abgabe die Qualität des Kokains sichergestellt und gleichzeitig die Unruhe und Beschaffungskriminalität an den Brennpunkten reduziert werden.
Bei den Städten stösst die Forderung der Suchtkommission auf offene Ohren. Sie prüfen hinter den Kulissen, wie man eine solche Abgabe aufgleisen und umsetzen könnte.
Es geht «nur» um die Minderung der Schäden
Der EKSN-Vizepräsident Christian Schneider betont in der NZZ, dass es bei der kontrollierten Abgabe von Kokain an Schwerstsüchtige nicht um die vollständige Vermeidung von Schäden, sondern «nur» um deren Minderung geht.
Wenn Abhängige so mehr Ruhe, Halt und Sicherheit erlangen, sei dies bereits ein Fortschritt. «Wir müssen über die bekannten Rezepte der Schadensminderung hinausdenken», erklärt Schneider, «und letztlich ganz pragmatisch testen, was funktioniert und was nicht.»
Schneider und seine Kolleg*innen von der Suchtkommission denken bereits einen Schritt weiter: Sie haben Fachleuten den Auftrag gegeben, sich Gedanken über Pilotversuche für eine breitere Regulierung von Kokain zu machen, sodass allenfalls auch sogenannte Freizeitkonsument*innen ihren Stoff auf legalem Weg beschaffen könnten.
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