Emissionshandel Wertvolle CO2-Zertifikate bescheren Firmen hohe Profite

Von Andreas Fischer

9.2.2021

Der Handel mit CO2-Zertifikaten soll eigentlich helfen, die Erderwärmung zu stoppen. Das System aber funktioniert noch nicht so richtig. 
Der Handel mit CO2-Zertifikaten soll eigentlich helfen, die Erderwärmung zu stoppen. Das System aber funktioniert noch nicht so richtig. 
KEYSTONE/Gaetan Bally)

Der Ausstoss von Treibhausgasen kostet Firmen so viel wie nie zuvor. Trotzdem können einige Firmen damit viel Geld machen. Wie funktioniert der Emissionshandel eigentlich?

«Emissionen der Schweiz höher als angenommen» betitelte «blue News» eine knappe Meldung im Februar 2020. Damals war bekannt geworden, dass der Schweizer Industriesektor jährlich 600'000 Tonnen CO2-Äquivalente mehr Treibhausgasemissionen verursacht als bis dato angenommen.

600'000 Tonnen sind ziemlich viele Treibhausgase – so viel etwa, wie die Stadt Luzern in einem Jahr ausstösst: Haushalte, Verkehr, Landwirtschaft und Industrie zusammengenommen. Es könnte auch jeder Zürcher – vom Baby bis zum Greis – vier Mal im Jahr von Kloten nach London und zurückfliegen. Verantwortlich für den Mehrausstoss ist nur eine Fabrik von der Firma Lonza in Visp: die Niacin-Anlage D29.

Katalysator wird kompensiert

Das vom «Tages-Anzeiger» als «klimaschädlichste Fabrik der Schweiz» bezeichnete Werk ist für 1 Prozent aller Treibhausgasemissionen der Schweiz verantwortlich. Jahrzehntelang entwich in der Fabrik Lachgas (Distickstoffmonoxid) – 1800 Tonnen pro Jahr. Für den Menschen ist Lachgas nicht giftig, zumindest nicht direkt. Aber es schadet der Umwelt enorm, weil es dreihundertmal mehr zur Erderwärmung beiträgt als Kohlenstoffdioxid.



Lonza baut nun nach Bekanntwerden des Lachgas-Lecks für zwölf Millionen Franken einen Katalysator in die Visper Fabrik ein. Der Bundesrat entschädigt Lonza für die Investition mit bis zu 900'000 kostenlosen Emissionszertifikaten.

Durch den Einbau des Katalysators benötigt Lonza die Zertifikate aber gar nicht für die eigenen Emissionen, sondern kann sie verkaufen. Weil Schweizer Unternehmen seit 2020 ihre Emissionsrechte auch im grösseren EU-Markt handeln können und der Preis dort auf einem Rekordhoch ist, ist das Paket derzeit bis zu 35 Millionen Franken wert.

So funktioniert der Emissionshandel

Dass sich die überfällige Beseitigung des Umweltschadens für den Chemieriesen damit lohnt, liegt am Emissionshandelssystem (EHS). Energieintensive Unternehmen sind verpflichtet, daran teilzunehmen. In der Schweiz sind das ungefähr 50 Firmen, wie aus dem Emissionshandelsregister hervorgeht. 

Jede dieser Firmen bekommt eine gewisse Anzahl an Emissionsrechten gratis zugeteilt, abgerechnet wird in CO2-Äquivalenten. Stösst das Unternehmen pro Jahr mehr CO2-Äquivalente aus, als es Rechte besitzt, so muss es fehlende Zertifikate auf dem Markt nachkaufen oder eine Strafe zahlen. Andererseits können Firmen nicht benötigte Emissionsrechte auch verkaufen.



Das EHS sieht vor, dass eine Firma pro Jahr so viel Zertifikate erhält wie im Durchschnitt der vorangegangen beiden Jahre. Mit diesem Mechanismus sollen Investitionen refinanziert werden, weil die Firmen nach entsprechenden Modernisierungen weniger Zertifikate für sich selbst benötigen und sie deswegen verkaufen können.

Das Handelsprinzip und die Jahr für Jahr sinkende Anzahl an Gratis-Zertifikaten sollen einen Anreiz schaffen, in umweltfreundliche Technologien zu investieren. «Die hohen Preise sind ein Signal dafür, dass der Emissionshandel zu greifen beginnt», verteidigt Andrea Burkhardt, Chefin der Abteilung Klima beim Bundesamt für Umwelt (Bafu) das System im «Tages-Anzeiger». Derzeit kostet eine Tonne CO2-Äquivalent den Rekordpreis von rund 36 Euro.

Gut gemeint, schlecht gemacht 

Umweltschützer argumentieren hingegen, dass der Preis pro Tonne CO2 im Emissionshandelssystem noch nicht hoch genug ist. Laut Kai Landwehr von der Organisation myclimate müsste er bei mindestens 50 Euro liegen und kontinuierlich ansteigen. Erst dann würden die Umweltfolgekosten von einer ausgestossenen Tonne CO2 berücksichtigt sein.

Dabei sei «der Emissionshandel von der Idee her ein gut funktionierendes marktwirtschaftliches Instrument. Es gibt Vorgaben, die auf eine Emissionsreduktion zielen und man belohnt Akteure, die mehr tun, als sie müssten.»



Gut gemeint heisst aber nicht gleich gut gemacht: «Man hat am Anfang viel zu viele Rechte ausgegeben. Dadurch war es viel zu einfach, die Emissionsvorgaben einzuhalten», so Landwehr zu «blue News». Die Folge: Der Markt war von CO2-Zertifikaten überschwemmt, die Preise fielen ins Bodenlose. Noch im Jahr 2017 kostete eine Tonne CO2 weniger als vier Euro.

Konstruktionsfehler im System

Auch für Georg Klingler hat das EHS noch einige Konstruktionsfehler. Der Klimaexperte von Greenpeace Schweiz bemängelt im Gespräch mit «blue News», dass «wie im Fall Lonza leicht vermeidbare Reduktionen bei der Zuteilung von Zertifikaten berücksichtigt werden.» Damit lasse sich beim heutigen Preis der Zertifikate ein einfacher Profit erzielen.

Generell würden laut Klingler immer noch zu viele Emissionsrechte zugeteilt. Solange sich das nicht ändert, werde es schwierig, die Klimaziele zu erreichen. Dass die Preise für eine Tonne CO2 mittlerweile steigen, findet aber auch Klingler wichtig, der als Zielvorgabe sogar mehr als 100 Euro pro Tonne angibt. «Man sieht bereits erste Effekte. Bei einigen Firmen beginnt man umzudenken und gegenzusteuern.» 

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