Experte zu Cassis in Deutschland «Die Frage ist, ob Berlin ein gutes Wort für uns einlegen will»

Von Anna Kappeler

20.1.2022

Das Verhältnis der Schweiz zur EU ist komplex. Und angespannt. Auf dem Bild zu sehen ist Aussenminister und Bundespräsident Ignazio Cassis.
Das Verhältnis der Schweiz zur EU ist komplex. Und angespannt. Auf dem Bild zu sehen ist Aussenminister und Bundespräsident Ignazio Cassis.
Bild: KEYSTONE

Bundespräsident Cassis trifft die neue deutsche Regierung. Dabei geht es auch um den Knorz mit der EU. Ein Europa-Professor sagt, was von diesen Gesprächen zu halten ist.

Von Anna Kappeler

Nach Monaten des Stillstands gibt es Bewegung im Europa-Dossier. Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis trifft heute in Berlin die neue deutsche Regierung. Es geht auch um das angespannte Verhältnis zur EU. Was ist dabei zu erwarten?

«Durch die Konstellation, dass Cassis als Aussenminister nun auch Bundespräsident ist, neigen wir dazu, in einen solchen Besuch Dinge hineinzuinterpretieren», sagt Fabio Wasserfallen, Professor für Europäische Politik der Uni Bern. Im Interview ordnet er ein.

Herr Wasserfallen, wie gewichtig sind die Gespräche von Bundespräsident Cassis mit der deutschen Regierung?

Dass Bundespräsident und Aussenminister Cassis diesen Besuch bei unserem Nachbarn macht, ist courant normal. Entsprechend seiner diplomatischen Hierarchiestufe trifft er Steinmeier, Scholz und Baerbock. Das ist Beziehungspflege. Die Vorstellung, dass Cassis nach Berlin geht, gute Gespräche führt und es dann Bewegung gibt im Europa-Dossier, ist etwas naiv.  

Deutschland ist das wichtigste Mitglied in der EU. Könnte unser Nachbar nicht ein gutes Wort einlegen für die Schweiz in Brüssel?

Zur Person
zVg

Fabio Wasserfallen ist Professor für Europäische Politik und Direktor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern.

Die EU besteht aus 27 Mitgliedsstaaten. Ja, Deutschland ist neben Frankreich der wichtigste. Den Vorsitz im Rat der EU hat zurzeit aber Frankreich inne. Und man hört, Frankreich ist gerade eher verstimmt.

Sie spielen auf die Kampfjets an...

Genau. Die Frage ist, ob Deutschland ein gutes Wort für uns einlegen will. Und was für einen Einfluss das auf die anderen 26 EU-Mitgliedsländer hat.

Deutschlands Aussenministerin Baerbock hat diese Woche auch erstmals ihren russischen Amtskollegen Lawrow getroffen – mitten in der Ukraine-Krise. Dagegen ist die Schweiz für Deutschland doch ein kleiner Fisch.

Die Prioritäten von Frau Baerbock kenne ich nicht.

Welches Interesse hätte Deutschland, für uns die Brückenbauerin zu sein?

Deutschland wie auch die Schweiz wollen eine gute Situation für die gegenseitigen wirtschaftlichen Interessen. Das ist klar – und doch sind wir über diesen Punkt bereits hinaus. Jetzt geht es darum zu klären, wie Grundprinzipien der Schweiz und der EU – und Deutschland ist ja Teil dieser –, neu geregelt und miteinander in Einklang gebracht werden können.  

In der besten aller möglichen Welten: Was könnte Cassis heute erreichen?

Völlig neue Ideen zur Europapolitik werden kaum auftauchen. Die Positionen sind auf beiden Seiten bekannt. Zwischenmenschliche Beziehungen mögen ein Faktor sein, um einfacher zu Lösungen zu kommen. Dass sich die Schweiz mit der neuen deutschen Regierung bekannt macht, ist wichtig. Doch 15 Jahre alte Streitpunkte beim Europa-Dossier lassen sich nicht mit einigen Treffen auf die Seite schieben.



Die EU will weiter, dass die dynamische Rechtsübernahme geregelt wird. Wie kommen wir aus der Sackgasse raus?

Das ist die grosse Frage, die niemand so genau beantworten kann. Die EU-27 lässt nicht daran rütteln, dass sich an die Binnenmarkt-Regeln zu halten hat, wer am Binnenmarkt teilnehmen will. 

Den Reset-Knopf wird Cassis heute nicht drücken.

Ich glaube, wir haben vor acht Monaten eher den Shutdown-Knopf gedrückt. Bevor man resetten kann, muss zuerst das System wieder hochgefahren werden.

Dem Vernehmen nach befasst sich der Bundesrat im Februar wieder mit der EU. Welche Lösung könnte ihm vorschweben?

Innenpolitisch tun wir gut daran, uns auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren statt auf die Unterschiede. Statt dass sich die verschiedenen Parteien und Verbände mit je eigenen Lösungen profilierten, bräuchten wir einen breiten Konsens. Eine gemeinsame Position der Schweizer Interessen. Mit diesem Mandat könnte dann der Bundesrat auf die EU zugehen.