Terrassen-Streit beendet «Ich würde uns nicht als Rebellenkantone bezeichnen»

Von Andreas Fischer/aka

26.2.2021

Schön ist es in der Tessiner Sonne: In Carì war die Terrasse an den Skipisten gestern gut besucht.
Schön ist es in der Tessiner Sonne: In Carì war die Terrasse an den Skipisten gestern gut besucht.
Bild: zVg

Der sogenannte Terrassen-Streit ist beendet: Die letzten sechs Kantone schliessen die Aussenbereiche der Restaurants auch in Skigebieten und beugen sich dem Bundesrat. Von einer Rebellion wollen sie im Nachhinein nichts wissen.

Tag eins, nachdem Gesundheitsminister Alain Berset die Kantone nochmals deutlich dazu aufgerufen hat, ihre Beizen-Terrassen zu schliessen. Davon allerdings ist im Tessiner Skiort Carì oberhalb von Faido nichts zu spüren. Hier ist es beinahe, als gäbe es Corona nicht.

Sechs Kantone, neben dem Tessin und Glarus das Innerschweizer Quartett Nidwalden, Obwalden, Schwyz und Uri, proben in den vergangenen Tagen den Aufstand. Sie ignorieren die Anweisung des Bundes, ausnahmslos alle Restaurant-Terrassen zu schliessen. Auch jene in den Skigebieten. 



Von «Rebellenkantonen» ist die Rede, von aufmüpfigen Galliern. Die sechs Kantone meinen, dass die landesweiten Regeln für sie nicht gelten. Wer dort bei Prachtwetter die letzten Tage der Sportferien geniesst, soll sich auch bequem verpflegen können.

Also knallt in Carì die Mittagssonne auf die dicht besetzte Restaurantterrasse, die Leute sitzen nur im Pulli auf den Holzbänken, die durch Plexiglas-Scheiben voneinander getrennt sind. Sie essen und trinken, neben den Tellern liegen die Masken so selbstverständlich, als wäre es nie anders gewesen. Aus den grossen Boxen dröhnt Musik.

Am Sonntag ist Schluss

Die Einschränkungen des Bundesrates? Dort oben auf 2000 Metern gelten sie nicht.

Natürlich, es gibt auch in Carì ein Schutzkonzept. Ausser im Sitzen gilt Maskenpflicht, das Restaurant hat innen die Stühle auf die Tische gestellt, es ist lediglich für Take-away auf der Terrasse geöffnet. Und doch kommt es zu einer langen Schlange vor der Kasse.

Auf dem Boden vor der Kasse sind zwar Aufkleber angebracht, mit der Bitte, Abstand zu halten. Nur hält sich kaum jemand daran. Eine Angestellte sorgt ziemlich resolut dafür, dass dieser Abstand von den Skifahrer*innen auch eingehalten wird. Also zurück in Reih und Glied.

Beladen mit Tessiner Polenta im Plastikteller und einer Apfelschorle steht dann dem Essen an der Sonne nichts mehr im Weg. – Das war gestern und gilt nicht mehr lange. Obwalden, Nidwalden, Schwyz, Glarus und das Tessin schliessen die Aussenbereiche ab Sonntag, in Uri ist schon heute Abend Schluss. Graubünden hat in diesem Streit bereits vorher eingelenkt.

«Staatspolitische Gründe»

Die renitenten Kantone geben im «Terrassen-Streit» klein bei, aus «staatspolitischen Gründen», wie sie in ähnlich lautenden Medienmitteilungen schreiben. Was nach Vernunft tönt, ist aber sorgsam verpackter Trotz.



Der Schwyzer Regierungsrat Andreas Barraud (SVP) jedenfalls antwortet auf Nachfrage von «blue News», was er denn mit «staatspolitischen Gründen» meint, ziemlich dünnhäutig. «Staatspolitische Gründe sind staatspolitische Gründe», so Barraud. «In der Demokratie gibt es Rahmenbedingungen, an die haben wir uns grundsätzlich gehalten.»

Auf der Grundlage des Epidemiengesetzes

Die Rahmenbedingungen sehen in dem Fall freilich vor, dass die Kantone an das Bundesrecht gebunden sind. Das schreibt das Epidemiegesetz vor, auf dessen Grundlage der Bundesrat die Schliessung aller Restaurant-Terrassen verfügt hat.

«Es ist eine Kernaufgabe von Regierungen, in einem Rechtsstaat die gesetzliche Ordnung durchzusetzen», hatte Bundesratssprecher André Simonazzi unmissverständlich klargemacht. Der Bundesrat hätte theoretisch sogar die Armee schicken können, um das Bundesrecht durchzusetzen.

Davon, dass die abtrünnigen Kantone mit ihrer Insubordination demokratische Grundprinzipien in Frage gestellt haben, will auch Michèle Blöchliger (SVP) nichts wissen. Die Nidwaldner Regierungsrätin schlägt aber anders als ihr Schwyzer Kollege versöhnliche Töne an: «Wir wollten den entstehenden Konflikt nicht eskalieren. Letztendlich sind wir uns der Verantwortung in einem Bundesstaat bewusst und wollten dem Bundesrat die Hand reichen», sagt sie auf Nachfrage.

«Natürlich haben nicht alle Kantone Skigebiete»

«Wir haben uns nicht quergestellt und ich würde uns auch nicht als Rebellenkantone bezeichnen», ist Blöchliger bemüht, die Wogen zu glätten. «Es ist einfach so, dass die Auslegung der Verordnung und Bestimmungen bei unseren juristischen Abklärungen einen anderen Schluss zugelassen haben.» Beim Take-away ausserhalb von Skigebieten hätten die Menschen die Möglichkeit, zu Hause, im Büro oder im Auto zu essen, erklärt die Regierungsrätin. «Das ist auf der Piste nicht möglich. Wir wollten dort einen geordneten Betrieb ermöglichen.»

Widerspricht es nicht der demokratischen Ordnung der Schweiz, sich mit juristischen Spitzfindigkeiten über klare Ansagen aus Bern hinwegzusetzen? Der Meinung ist Blöchliger nicht, diese Thematik hätten die sechs Kantone erst ganz zum Schluss gesehen.

«Wir sind der Meinung, dass es gar keinen Kompetenzkonflikt gab, sondern dass unsere Entscheidung grundsätzlich zulässig war.» Dass 20 Kantone diesbezüglich anderer Meinung waren, habe einen einfachen Grund: «Natürlich haben nicht alle Kantone Skigebiete», entfährt es ihr als Erstes, bevor die Regierungsrätin einräumt, dass «andere Kantone bei ihren Auslegungen zu anderen Schlüssen gekommen sind.»

«Guter Austausch» mit Alain Berset

Überlegungen, dass es vonseiten des Bundes Konsequenzen geben könnte, hätten beim Einlenken der sechs abtrünnigen Kantone keine Rolle gespielt, beteuert Blöchliger. Von allfälligen Kürzungen von Corona-Hilfsgeldern, die laut «Blick» ins Gespräch gebracht worden sind, habe sie erst heute Morgen in den sozialen Medien erfahren.



Bei einem klärenden Gespräch der sechs Kantone mit Bundesrat Alain Berset am gestrigen Abend sei davon keine Rede gewesen. «Wir haben einen guten Austausch, einen guten Dialog geführt und unsere Standpunkte erläutert», vollzieht Blöchliger am Telefon eine Kehrtwende zu ihrem «Wir bedauern sehr, dass wir keine Kompromisslösung erzielen konnten», mit dem sie direkt im Anschluss an die Sitzung mit Berset zitiert worden war.

Das Feriengeschäft spielt keine Rolle

Den Verdacht, dass der Aufstand geprobt worden sei, um das Feriengeschäft noch mitzunehmen, weist Blöchliger mit Verweis auf die Kommunikationstheorie von sich: «Der Empfänger bestimmt die Botschaft. Wir waren wie gesagt immer der Meinung und Rechtsauffassung, dass die Öffnung der Skiterrassen zulässig sei.»

Dass die Terrassen in den meisten Zentralschweizer Skigebieten erst am Sonntag schliessen, habe ganz pragmatische Gründe und nichts damit zu tun, dass die Hauptsaison noch bis zum Wochenende läuft: «Die Bewilligungen müssen geändert und durchgestellt werden. Das braucht einfach seine Zeit», sagt Blöchliger, was nach Staatsfrau tönt – zumindest anders als das «Wir können selbst entscheiden, zu welchem Zeitpunkt wir die Terrassen schliessen» vom Schwyzer Andreas Barraud.

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