Viren-Jägerin Schweiz sollte «jetzt versuchen, die Infektionszahlen zu senken»

dor

3.1.2022

Emma Hodcroft, PhD, ist Postdoctoral Research Fellow am Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern.
Emma Hodcroft, PhD, ist Postdoctoral Research Fellow am Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern.
Bild: ISPM/Oliver Hochstrasser

Die Schweiz sollte angesichts neuer Höchststände bei den Corona-Infektionszahlen nicht warten, bis die Spitäler voll sind – sondern jetzt schärfere Massnahmen ergreifen, empfiehlt die international bekannte Epidemiologin Emma Hodcroft.

dor

3.1.2022

Angesichts rasch steigender Corona-Infektionszahlen in der Schweiz rät die Epidemiologin Emma Hodcroft zu entschiedenem Handeln. «Wir sollten nicht warten, bis die Spitäler voll sind, bis wir wieder Massnahmen ergreifen – wir sollten jetzt versuchen, die Infektionszahlen runterzubekommen», sagte die Molekularepidemiologin vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern in einem Interview mit dem «Blick». Die Fälle würden derzeit stark steigen und bekanntermassen nehme die Zahl der Hospitalisierungen und Toten oft um Wochen verzögert zu, so Hodcroft: «Deswegen sehen wir jetzt noch keine richtigen Auswirkungen, aber wir wissen, dass zumindest einige dieser jetzt infizierten Menschen eine Behandlung brauchen werden.»

Aber wenn die Gesundheitssysteme wirklich überfordert seien und es ohne Triage nicht mehr gehe, sei «ein ein- bis zweiwöchiger Lockdown leider das wirksamste Mittel, um den Druck auf das Gesundheitssystem zu verringern», sagte Hodcroft, die sich auf Twitter als «Virenjägerin» bezeichnet, auf eine entsprechende Frage. Die Schweiz müsse sich einen Lockdown als Option offenhalten, «weil es verheerend wäre, wenn die Spitäler in eine Situation kämen, in der sie kranke Menschen nicht mehr behandeln könnten», sagte die viel beachtete Molekularepidemiologin weiter.

Sie sei zuversichtlich, dass eine Vollschliessung nicht notwendig würde –  wenn die Schweiz die Fallzahlen nicht weiter in die Höhe schnellen lasse. Ob das möglich ist, bleibt abzuwarten. Bei einer Notfallsitzung am vergangenen Freitag hatte der Bundesrat trotz immer neuer Höchststände bei den Infektionszahlen keine schärferen Massnahmen beschlossen – und das, obwohl er die Situation in den Spitälern als «besorgniserregend» und die Entwicklung in den nächsten Tagen als «unsicher» bezeichnete. Auch gehe er davon aus, dass die Zahl der Ansteckungen und Hospitalisierungen weiter zunehmen werde, sagte der Bundesrat in einer Mitteilung. 



Rekord-Infektionszahlen mit hohe Dunkelziffer denkbar

Laut dem Virenforscher Richard Neher, der der wissenschaftlichen Task-Force des Bundesrats angehört, ist es «denkbar», dass die Infektionszahlen in den nächsten Wochen auf bis zu täglich 30’000 Infektionen ansteigen werden. Dazu komme eine «beachtliche Dunkelziffer», sagte Neher im Interview mit der «SonntagsZeitung».

Mehr als 19’000 neue Corona-Fälle innerhalb von 24 Stunden meldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) am 30. Dezember, noch nie zuvor haben sich landesweit so viele Menschen auf einmal mit dem Coronavirus angesteckt.