Januar ist entscheidend «Sind die Feiertage vorbei, haben die Menschen das Gefühl, es ‹geschafft› zu haben»

Von Alex Rudolf

3.1.2022

Wie aussagekräftig sind die Zahlen des BAG?
Wie aussagekräftig sind die Zahlen des BAG?
Bild: Keystone/Gaetan Bally

In den kommenden Tagen und Wochen wird klar, wie sich die Festtage auf den Pandemie-Verlauf ausgewirkt haben: Die konstant bleibenden Hospitalisationen stimmen optimistisch, der Blick nach Grossbritannien verunsichert.

Von Alex Rudolf

Seit Donnerstag wurden in der Schweiz rund 57'000 Personen positiv auf das Coronavirus getestet. Dies veröffentlichte das Bundesamt für Gesundheit, nachdem erst Verwirrung zur Richtigkeit der Angaben aufkamen. Was kann man aus diesen Zahlen überhaupt herauslesen? Wie lassen sie sich interpretieren?

«Lange Warteschlangen können die Menschen etwa davon abhalten, sich testen zu lassen.»

Emma Hodcroft

Molekularepidemiologin

Die Zahlen können trügerisch sein, wie Emma Hodcroft auf Anfrage sagt. Die Molekularepidemiologin vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern erklärt, dass besonders bei Zahlen nach Feiertagen Vorsicht geboten sei. «Lange Warteschlangen können die Menschen etwa davon abhalten, sich testen zu lassen.» Einige Testzentren hätten über die Feiertage auch geschlossen gehabt oder nur mit verkürzten Öffnungszeiten Tests angeboten.

Die Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen

«Hinzu kommt: Sind die Feiertage vorbei, haben die Menschen das Gefühl, es ‹geschafft› zu haben. Nun, da sie nicht mehr mit Freunden oder der Familie feiern werden, haben viele einen geringeren Bedarf nach Tests», so Hodcroft. Sie mahnt jedoch: «Mit der Wiederaufnahme der normalen Tagesabläufe und Berufstätigkeit ist weiterhin grosse Vorsicht geboten: Besonders für jene, die nicht von zu Hause arbeiten können.»

«Wir in den Spitälern gehen nach wie vor davon aus, dass die Belastung zunehmen wird.»

Andreas Cerny

Virologe

Auch Virologe Andreas Cerny rät dazu, die Zahlen mit Vorsicht zu geniessen. «Erfahrungsgemäss sinken die Kurven der Ansteckungen übers Wochenende jeweils um die Hälfte. Das ist bei Feiertags-Wochenenden nicht anders», sagt er. Wie Hodcroft verweist er darauf, dass mehrere Testzentren nicht geöffnet hatten.

Skeptisch ist Cerny auch hinsichtlich der 2G-Regel. «Die Schnelltests sind bei asymptomatischen Personen nicht sehr verlässlich. Da am Wochenende viel gefeiert wurde, dauert es mehrere Tage, bis man einen Anstieg der Fallzahlen sieht.»

Blick nach Grossbritannien verunsichert

Wie sind die Aussichten? «Aktuell sind wir überrascht, dass die Todeszahlen und Belegung der Intensiv-Plätze nicht rasant steigen», sagt Cerny. Eine mögliche These dazu lautet, dass die Omikron-Variante die Lunge weniger stark angreift als ihre Vorgänger. «Und die Impfung verhindert zwar oftmals keine Infektion, jedoch einen schweren Krankheitsverlauf.»

«Bei uns ist die Lage angespannt, aber stabil.»

Ronald Alder

Stellvertretender Geschäftsleiter des Verbands Zürcher Krankenhäuser

Dass es aber noch zu früh für eine Entwarnung ist, zeigt der Blick nach Grossbritannien. «Dort ist man uns hinsichtlich des epidemiologischen Geschehens stets rund zwei Wochen voraus», so Cerny. Am 2. Januar vermeldete man dort rund 137'000 positiv Getestete. Im Vergleich zur Vorwoche handelt es sich um eine Steigerung von 43 Prozent. In den letzten sieben Tagen wurden zudem knapp 1000 Tote verzeichnet, was verglichen mit der Woche davor einer Steigerung von rund 50 Prozent entspricht.



«Aus demografischer Sicht ist Grossbritannien viel besser mit der Schweiz vergleichbar als die Staaten im südlichen Afrika, wo die Menschen jung und die Durchseuchung hoch ist», sagt Cerny. Daher: «Wir in den Spitälern gehen nach wie vor davon aus, dass die Belastung zunehmen wird.»

«Bei uns ist die Lage angespannt, aber stabil», sagt Ronald Alder. Der stellvertretende Geschäftsleiter des Verbands Zürcher Krankenhäuser verweist darauf, dass es auf Zürcher Intensiv-Stationen in den vergangenen Wochen stets zwischen 50 und 60 Covid-Patient*innen habe. Die rund 190 Plätze sind derzeit zu 90 Prozent ausgelastet.

Auch Spitäler vermuten, dass Impfung nützt

«Obwohl die Fallzahlen seit Längerem kontinuierlich steigen, hat sich dies nicht auf die Spitaleinweisungen ausgewirkt», so Alder. Vor einem Jahr stiegen diese um zwei Wochen verzögert zu den Infektionszahlen. «Wir erklären uns dies damit, dass die Impfung wohl schwere Verläufe verhindert. Denn bei uns auf den Intensivstationen sind 83 Prozent Ungeimpfte.»



Petra Ming, Sprecherin der Insel-Gruppe, betont ebenfalls, dass die Einweisungen zeitverzögert zu den Fallzahlen steigen. «Entscheidend ist, wie sich mit Omikron das Verhältnis zwischen den Fallzahlen, den Hospitalisationen und letztendlich den schweren Verläufen entwickelt. Das ist aktuell noch schwierig abzuschätzen», sagt sie. Aufgrund der raschen Ausbreitung rechnet aber auch sie im Januar noch mit einer Steigerung der Hospitalisationen.