Keine Verwahrung in Mordprozess «Warum stellt sich das Gericht auf die Täterseite?»

Von Jennifer Furer

11.3.2020

Der Prozess fand vor dem Bezirksgericht Zürich statt.
Der Prozess fand vor dem Bezirksgericht Zürich statt.
Keystone

Das Bezirksgericht Zürich hat einen 36-Jährigen am Mittwoch wegen der Tötung eines Türstehers verurteilt. Der Mann ist bereits mehrfach vorbestraft. Das Gericht sah dennoch von einer Verwahrung ab.

Jugendlicher Intensivtäter, Schläger, Hanfdealer, Dieb – und am Mittwoch wegen vorsätzlicher Tötung in der ersten Instanz vom Bezirksgericht Zürich verurteilt. Tagelang stand ein 36-Jähriger in den Schlagzeilen. Er soll am 1. März 2015 in Zürich-Affoltern einen Hooligan und Kampfsportler auf offener Strasse erschossen haben. Den Schüssen ging ein langer Streit zwischen den beiden voraus.

Der heute 36-jährige Schweizer mit kosovarischen Wurzeln musste sich über drei Tage vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten. Am Mittwoch fiel das Urteil: 16,5 Jahre Freiheitsstrafe.  Dazu kommen dreieinhalb Jahre, wegen Delikten, die der Mann vor der Tötung begangen hat.

Das Gericht verurteilte den Beschuldigen nicht wie von der Staatsanwaltschaft gefordert wegen Mordes sondern wegen vorsätzlicher Tötung. Ebenfalls nicht gefolgt ist das Gericht dem Antrag, den Mann zu verwahren. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür seien nicht gegeben.



Der 36-Jährige weise keine anhaltende oder langdauernde psychische Störung von erheblicher Schwere auf. Gestützt auf ein Gutachten urteilten die Richter zudem, dass eine Verwahrung aufgrund von Persönlichkeitsmerkmalen nicht in Betracht käme.

Kritik an Gerichten

Der Beschuldigte habe im Laufe seiner kriminellen Karriere zum Zeitpunkt der Tötung noch nie eine einschneidende Sanktion erfahren. Er werde etwa 50 Jahre alt sein, wenn über eine mögliche Entlassung befunden werde. Ein Lerneffekt sei nicht ausgeschlossen.

Noch ist das Urteil des Bezirksgericht Zürich gegen den 36-Jährigen nicht rechtskräftig. Es kann ans Zürcher Obergericht weitergezogen werden.

Für Doris Vetsch ist das Urteil des Bezirksgerichts ein Hohn. Sie initiierte zusammen mit ihrer Schwester Anita Chaaban die Verwahrungsinitiative. Ursache dafür war ein persönliches Schicksal.

Für weitere Opfer geradestehen

Im Februar 1996 wurde Vetschs 13-jährige Tochter, das Patenkind Chaabans, von einem Wiederholungstäter aus Österreich verschleppt, vergewaltigt und gewürgt. Sie überlebte, weil sie sich tot stellte.

«Ich weiss nicht, warum sich Richter so schwer tun, Verwahrungen auszusprechen», sagt Vetsch. Es gebe klare Fälle, bei denen das Risiko zu hoch sei, sie wieder in die Freiheit zu entlassen.

Vetsch sehe das Problem bei den Gutachtern. «Sie wollen sich nicht aus dem Fenster lehnen und eine langfristige Prognose über die Gefährlichkeit eines Täters stellen.» Vetsch fügt an: «Warum stellt sich die Justiz nicht auf die Opfer- sondern auf Täterseite.» Sie ist der Meinung, dass das Gericht geradestehen müsse, wenn es dadurch weitere Opfer gäbe.



Anders sieht das Staranwalt Valentin Landmann, der für die SVP im Zürcher Kantonsrat sitzt. Er hat den Beschuldigten zwei Jahre verteidigt, bis Landmann das Mandat abgegeben hat. «Die Begründung des Gerichts, keine Verwahrung anzuordnen, ist überzeugend.»

Besserung durch Strafe nicht auszuschliessen

Eine Verwahrung sei das letzte Mittel, das die Justiz anwende. «Es ist durchaus verständlich und auch richtig, wenn Verwahrungen zurückhaltend ausgesprochen werden», so Landmann.

Er verstehe den Einwand, dass Leute denken, es müsse zuerst etwas passieren, bis gehandelt wird. «Aber es geht eben auch darum, dass eine Besserung durch eine lange Freiheitsstrafe möglich und nicht auszuschliessen ist», so Landmann.

Frank Urbaniok, forensischer Psychiater und von 1997 bis 2018 Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Kantons Zürich, sagt ebenfalls, dass es richtig sei, vorsichtig mit der Verwahrung umzugehen. Es sei zudem angebracht, dass nur bei wenigen Fällen überhaupt über diese Massnahme diskutiert werde. Dennoch übt Urbaniok auch Kritik: «Mir scheint aber die Zurückhaltung bei der Anordnung von Verwahrungen bei diesen wenigen Fällen heute manchmal zu gross.»

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