Nach dem Klimabericht Was jetzt in der Schweiz zu tun ist

Andreas Fischer

10.8.2021

Die ausgetrocknete Emme in Aefligen im Sommer 2018. Bei den Aussichten, die der Klimawandel mit sich bringt, könnte der Anblick zur Gewohnheit werden. 
Die ausgetrocknete Emme in Aefligen im Sommer 2018. Bei den Aussichten, die der Klimawandel mit sich bringt, könnte der Anblick zur Gewohnheit werden. 
Keystone/PATRICK HUERLIMANN

Die Schweiz muss den Klimawandel entschlossener bekämpfen. Darin sind sich Parteien, Wirtschaft und Verbände einig – trotz unterschiedlicher Interessen. Eine Möglichkeit wäre ein neu aufgelegtes CO2-Gesetz.

Andreas Fischer

10.8.2021

Das Klima retten, das wollen sie – fast – alle: Öffentlichen Widerspruch gegen den am Montag veröffentlichten Bericht des Weltklimarates (IPCC) gibt es in der politischen Schweiz nicht. Fast alle Parteien sprechen sich dafür aus, den Klimawandel entschlossen zu bekämpfen. Lediglich die SVP warnte in einer Medienmitteilung am Dienstag vor Hysterie und fordert vom Bundesrat «umgehend eine klare Strategie (...) für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung in der Schweiz».

Der Wirtschaftsverband Swisscleantech setzt sich für eine Schweiz ein, «die bis spätestens 2050 CO2-neutral ist». Für Geschäftsführer Christian Zeyer zeigen die Klimaberichte «immer genauer, was wir eigentlich schon lange wissen aber leider viel zu wenig ernst nehmen.»



Die Schweiz muss handeln, lautet der Tenor. Dass das CO2-Gesetz bei der Abstimmung am 13. Juni knapp abgelehnt wurde, wirkt in diesem Zusammenhang besonders tragisch. «Wir bedauern das nicht erst seit dem neuen Klimabericht», unterstreicht Zeyer im Gespräch mit «blue News».  Für ihn ist «klar, dass dieser Entscheid das falsche Signal ist.»

Bei Swisscleantech ist man davon überzeugt, «dass sehr viele, die Nein gestimmt haben, dies heute bedauern». Der Dachverband vereint mehr als 500 Unternehmen, Partner und Verbände aus über 30 Branchen, die sich für einen Wandel hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft einsetzen.

«Wir stehen ein bisschen vor einem Scherbenhaufen, weil im Moment eigentlich nichts mehr klar ist», sagt auch Erich Fischer, Klimatologe an der ETH Zürich und Mitautor des IPCC-Berichts, im Interview mit «blue News».

«Technologie kann nur Teil der Lösung sein»

Dabei sind politische, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure überzeugt, dass die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung hinter dem Ziel Klimaneutralität per 2050 und damit zu mehr Umweltschutz stehe. Allein, das Gesetz sei «überladen» gewesen, wie Umweltministerin Simonetta Sommaruga (SP) am Abstimmungsabend konsterniert feststellte.

Die SP drückt nun besonders aufs Tempo und fordert einen «Ruck durch die Schweiz». Nach dem «bedauerlichen Nein vom 13. Juni» müsse man nun konkrete Massnahmen ergreifen. Dazu gehören die Förderung von Gebäudesanierungen, strengere Regeln bei der Neuzulassung von Fahrzeugen, die Förderung von Elektrofahrzeugen, mehr erneuerbare Energien.



Mitte-Nationalrat Philipp Bregy, denkt bei zukünftigen Lösungen «insbesondere an die Innovation und Förderung erneuerbarer Energien», wie er im «Tages-Anzeiger» sagte. Die Wissenschaft hält die allerdings nicht für ausreichend. Klimatologe Fischer hatte im Gespräch mit «blue News» deutlich gemacht: «Technologie kann nur ein Teil der Lösung sein. Um die Emissionen so rasch zu senken, wie es nötig ist, reicht sie alleine nicht aus.»

Alle Lebensbereiche betroffen

Nötig sei eine ganze «Palette an Massnahmen», wie Klimaforscher Fischer betont: «Wie sie allerdings umgesetzt werden, ob durch Verbote oder durch Anreize, ist eine politische, eine gesellschaftliche Frage». Und daran scheiden sich nun die Geister, sowohl die politischen als auch die wirtschaftlichen.

«Der grosse Teil der Wirtschaft» versichert Zeyer, sei bereit, «sich im Kampf gegen den Klimawandel zu engagieren. Das hat schon die breite Unterstützung im Wirtschaftskomitee bei der Abstimmung zum CO2-Gesetz gezeigt.» 

«Alles in allem kann man nicht schnell und deutlich Treibhausgase reduzieren. Man muss es kontinuierlich machen und heute damit beginnen», sagt Zeyer. In der Schweiz gehe es heute primär darum, die Gebäude CO2-frei zu beheizen, etwa indem man Ölheizungen durch Modelle mit erneuerbaren Energiequellen ersetze.

Videokonferenzen statt Reisen, den öffentlichen Verkehr und die Elektromobilität stärken, nennt Zeyer als weitere Beispiele, wo sich Emissionen reduzieren liessen: «Und Zurückhaltung beim Fliegen. Doch Letzteres ist mit Verzicht verbunden und daher nicht so beliebt.»

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Betroffen von den Folgen des Klimawandels sind alle Lebensbereiche. Die Agrarwirtschaft etwa, der viertgrösste Verursacher von Treibhausgasemissionen der Schweizer Wirtschaftssektoren. Sie wird in Zukunft, prognostiziert Erich Fischer, unter der zunehmenden Trockenheit leiden, oder unter nassen Sommern und Hochwassern, wie sie die Schweiz in diesem Jahr erlebt hat.

«Die zunehmenden extremen Klimaereignisse wie lange Trockenzeiten oder wie dieses Jahr viel zu viel Regen machen uns Sorgen», bestätigt Sandra Helfenstein, Mediensprecherin des Schweizer Bauernverbandes (SBV) auf Anfrage. «Die Landwirtschaft merkt alle Arten von extremen Witterungsbedingungen und ist von allen gefordert. Je nach Wetterereignis sind es unterschiedliche Betriebe oder Betriebstypen, die in Schwierigkeiten geraten.»

Landwirte befürchten langfristige Folgen

Den Landwirten ist das Problem bereits seit Längerem bewusst, sagt Helfenstein und verweist auf ein Dossier des SBV, das sich mit den konkreten Folgen des Klimawandels beschäftigt. Die Landwirtschaft könne zwar in gewissen Bereichen kurzfristig vom Klimawandel profitieren, langfristig würden aber die negativen Folgen überwiegen.

So müssten bislang «problemlose Kulturen» wie die Kartoffel künftig vermehrt bewässert werden, Wintergetreide würde schlechter gedeihen, Schädlinge dafür könnten sich besser entwickeln. Hinzu kommen ein generell erhöhtes Produktionsrisiko und zeitweilige Engpässe in der Futtermittelversorgung.



«Die Landwirtschaft trägt 13 Prozent zu den gesamten Emissionen der Schweiz bei», sagt Helfenstein. Die Agrarwirtschaft könne zwar durch eine ganze Reihe von Massnahmen die Emissionen von Treibhausgasen verringern: «Allerdings ist das Potenzial für die Emissionsminderung nicht unbeschränkt, weil es sich um natürliche biologische Prozesse handelt, die sich nicht unbeschränkt verändern lassen. Hier gibt es einen wesentlichen Unterschied zu rein technischen Prozessen, die man präzise steuern kann.»

Auch durch fehlende Wirtschaftlichkeit sind Grenzen gesetzt, heisst im SBV-Dosier. So ergebe etwa eine Verringerung des Rindviehbestandes nur Sinn, wenn auch die Konsument*innen weniger tierische Produkte nachfragen.

Dass es beim Klimaschutz auf den Einzelnen und die Einzelne ankommt, hatte FDP-Nationalrat Philippe Nantermod nach der verlorenen Abstimmung zum CO2-Gesetz gegenüber «blue News» festgestellt. Zwar habe sich die Parteibasis bei einer Mitgliederbefragung noch klar für den Umweltschutz ausgesprochen: «Doch wenn es um die konkreten Kosten geht, dann schrumpft die Zustimmung.»

Für SBV-Sprecherin Helfenstein ist klar, dass «alle Sektoren und auch wir als Privatpersonen einen Beitrag leisten müssen, um die Emissionen zu vermindern und den Wandel zu bremsen. Vor allem dürfen wir nicht nur ins Ausland schauen, sondern selbst mit gutem Beispiel voran gehen.»

Forderungen nach einem revidierten CO2-Gesetz

Die FDP bekennt sich klar zum Pariser Klimaübereinkommen, schrieb die Partei am Montag. Die dafür notwendige Reduktion der Treibhausgasemissionen auf Netto-Null bis 2050 sei von der FDP bereits 2019 beschlossen worden. Diese Zielsetzung sei auch mit der Ablehnung des CO2-Gesetzes nicht infrage gestellt worden. Man werde sich nun für eine entsprechende Neuauflage der Revision des CO2-Gesetzes einsetzen.

Der Wirtschaftsverband Economiesuisse fordert ebenfalls einen neuen Anlauf für ein revidiertes CO2-Gesetz. Dabei sollten «die Effizienz klimapolitischer Massnahmen als auch das politisch Machbare ins Zentrum gestellt werden». Als wirksames Instrument hätten sich Zielvereinbarungen erwiesen, die mit dem Bund abgeschlossen werden können. Darin verpflichten sich Unternehmen zu einer Reduktion ihres CO2-Ausstosses: Wird das festgelegte Ziel erreicht, müssen sie im Gegenzug keine CO2-Abgabe bezahlen.

«Was die Wirtschaft jetzt braucht, ist Planbarkeit. Gerade diese fehlt im Moment leider», bedauert Christian Zeyer von Swisscleantech. Dabei seien die Kosten, die der Wirtschaft für Massnahmen gegen den Klimawandel entstünden, «überschaubar, wenn man genau hinschaut. Viel beängstigender sind die Kosten, die entstehen werden, wenn wir weiter vorwärts machen wie bisher», ist Zeyer überzeugt und mahnt: «Wir sollten nicht vergessen: Der Klimawandel wird vor allem die ärmeren Leute treffen. Die Reichen werden sich in jedem Fall eine Absicherung kaufen können.»

Sozialverträgliche Umweltpolitik

Mehrheitsfähige Wege für den Klimaschutz seien das Gebot der Stunde, meint Greenpeace. Für Georg Klingler, Klimaexperte der Umweltschutzorganisation, ist klar: «Nach dem Nein zum CO2-Gesetz darf die Klimapolitik in der Schweiz nicht ruhen.» Bundesrat und Parlament müssten «schnellstmöglich wirksame und sozial verträgliche Klimaschutzmassnahmen erarbeiten, die von der Bevölkerung mitgetragen werden.»

Die erste Weiche dafür könnte Umweltministerin Simonetta Sommaruga  am Mittwoch im Bundesrat stellen. Wie die «NZZ am Sonntag» unter Berufung auf nicht namentliche genannte Quellen berichtet, will sie ein Projekt für die langfristige Klimapolitik des Bundes vorlegen – als Antwort auf die Gletscher-Initiative.

Festhalten wolle sie demnach an dem im abgelehnten CO2-Gesetz enthaltenen Ziel, wonach die Schweiz ihre schädlichen Emissionen bis 2050 auf Netto-Null senken soll. Sommaruga wolle die Klimapolitik des Bundes sozialverträglich gestalten und auf die Bedürfnisse von Randregionen und Berggebieten Rücksicht nehmen.

Mit Material von Keystone-SDA.