Kurz-Rückkehr nach Brienz «Wir holten so viele Sachen wie möglich»

Von Gil Bieler

7.6.2023

Seit über drei Wochen ein Geisterdorf: Blick auf das evakuierte Brienz. 
Seit über drei Wochen ein Geisterdorf: Blick auf das evakuierte Brienz. 
Bild: Keystone

Erstmals seit der Evakuierung durften die Bewohner*innen von Brienz am Mittwoch in ihre Häuser zurückkehren. Nur kurz, und nur unter Auflagen. «Traurig» habe ihn das gemacht, erklärt ein Einheimischer zu blue News. 

Von Gil Bieler

7.6.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Seit dem 12. Mai ist Brienz Sperrgebiet. Am Mittwoch hatte die Bevölkerung nun zum ersten Mal Gelegenheit, in das evakuierte Dorf zurückzukehren.
  • Auch die Familie von Pietro Lazzara nutzte das kurze Zeitfenster, um so viele Sachen wie möglich aus ihrem Haus in Brienz zu holen.
  • Provisorisch kam die achtköpfige Familie in Valbella unter. Doch diese Situation ist sehr belastend.
  • Für solche Kurzbesuche in der Sperrzone hat der Gemeindeführungsstab genaue Regeln aufgestellt.
  • Ab 19 Uhr informieren die Behörden die Bevölkerung über den Stand der Dinge. blue News tickert dann live – und zwar hier.

Es war eine Heimkehr auf Zeit. Erstmals seit dem 12. Mai, als die «Phase Rot» in Kraft trat und die Evakuierung angeordnet wurde, durften die Bewohner*innen von Brienz am Mittwoch in ihre Häuser zurückkehren. Nur für eineinhalb Stunden – und unter Einhaltung genauer Vorgaben.

Auch Pietro Lazzara nutzte diese Chance. «Das war traurig», beschreibt er den Besuch in seinem Haus in Brienz. Der sechsfache Familienvater und Gastronom nutzte das 90-minütige Zeitfenster maximal aus. «Wir holten so viele Sachen wie möglich: Ersatzreifen, Dokumente, ein Motorrad meines Sohnes, Velos für die Kinder, und und und», sagt er zu blue News.

Lazzara und seine Familie sind provisorisch in Valbella untergekommen. Dass sie bald wieder nach Brienz zurückkehren kann, glaubt er nicht. Sogar, ob das jemals möglich sein wird, stellt er infrage. «Kanton und Gemeinde haben schon lange entschieden, dass Brienz kein sicherer Ort mehr zum Leben ist», glaubt er. «Aber wieso sie nicht endlich Klartext reden, das verstehe ich nicht. Dann könnten die Menschen endlich ihr Leben planen.»

Die provisorische Situation sei für ihn und seine Familie sehr belastend: Die Kinder gehen in Lantsch und in Tiefencastel zur Schule, Lazzara betreibt das Restaurant «Da Pietro» in Filisur. Wegen der unpraktischen ÖV-Verbindungen muss er die Kinder auch in die Schule fahren und abholen – nebst der normalen Alltagsarbeit.

Eigentlich wollte Lazzara auf Juli hin ein neues Restaurant in Brienz eröffnen, ganz nah vom Heim der Familie entfernt. Doch an diesen Traum glaubt er nicht mehr: «Wir dürfen nie mehr zurück», meint Lazzara hörbar resigniert. Womöglich erhält der Familienvater am Informationsanlass für die Bevölkerung, der am Mittwochabend in Tiefencastel durchgeführt wird, ein paar Antworten auf seine Fragen. 

Insgesamt nutzten wie Lazzara rund 50 der 84 Einwohner*innen am Mittwoch die Möglichkeit, in das Sperrgebiet zurückzukehren. Diese Zahl nannte der Medienverantwortliche der Gemeinde Albula/Alvra, Christian Gartmann, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Die generelle Stimmung sei aufgeräumt gewesen.

Für Besuche in der Sperrzone hat der Gemeindeführungsstab genaue Vorgaben und Abläufe definiert. Das sind die wichtigsten Eckpunkte. 

Sicherheit geht vor

Die Gemeinde entscheidet aufgrund der aktuellen Gefahrenlage, ob ein Besuch im Dorf möglich ist oder nicht. Zur Erinnerung: Zwei Millionen Kubikmeter Gestein sind im Berghang oberhalb Brienz in Bewegung und drohen jederzeit niederzugehen. Das entspricht dem Volumen von rund 2000 Einfamilienhäusern. Der Hang wird daher mit mehreren Messsystemen genauestens überwacht.

Die Bevölkerung soll in der Regel am Vorabend erfahren, wann ein Besuch möglich werden könnte. Am frühen Vormittag des Besuchstags erfolgt dann der definitive Entscheid.

Nicht alle auf einmal

Lässt die Sicherheitslage es zu, definiert der Gemeindeführungsstab ein Zeitfenster und eine maximale Anzahl von Personen, die sich gleichzeitig im Dorf aufhalten dürfen. Am Mittwoch gab es zwei Zeitfenster von 10 Uhr bis 13.30 Uhr, wobei sich maximal 30 Menschen gleichzeitig im Dorf aufhalten durften. 

Nur mit Anmeldung und Handy

Wer für einen Besuch berechtigt ist, muss sich über eine Hotline anmelden. Auch am Strassen-Checkpoint am Dorfeingang werden alle Personen notiert – samt Handynummer. Denn während des Aufenthalts im Dorf müssen alle Bewohner*innen stets über Handy erreichbar sein. Wer Brienz wieder verlässt, wird von der Liste gestrichen. So haben die Verantwortlichen stets den Überblick, ob sich noch jemand im Sperrgebiet aufhält.

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Jederzeit bereit, zu fliehen

«Sollte die Gefährdungslage sich während eines Zeitfensters rapide verschlechtern, würde der Zutritt vorzeitig abgebrochen und das Dorf evakuiert», hält der Gemeindeführungsstab fest. Im Ernstfall ertönt eine Alarmsirene. Für die Bewohner*innen heisst das: Zurück zum Checkpoint.

Nicht im Freien arbeiten

Die Bewohner*innen sind dazu angehalten, sich so wenig wie möglich im Freien aufzuhalten. Der Grund: Innerhalb von Gebäuden ist man besser vor sogenannten Splittersteinen geschützt. Das sind faust- bis fussballgrosse Steine, die sich beim Zusammenstoss von Felsblöcken lösen und mehrere Hundert Meter weit geschleudert werden können.

Eine Ausnahme gilt für Landwirte. Diese durften bereits am Dienstagmorgen erstmals seit der Evakuierung wieder auf ihren Wiesen unterhalb des Dorfes arbeiten. Dies sei möglich, weil die Gefährdung auf den unterhalb des Dorfes gelegenen Wiesen kleiner sei als im Siedlungsgebiet, begründete die Gemeinde den Entscheid.

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