Restaurants denken umDarum wird Solo-Essen weltweit zum Trend
Von Dee-Ann Durbin und Anne D'Innocenzio, AP
6.9.2024 - 00:00
Ein geselliger Abend mit anderen im Restaurant – das klingt nett und verlockend. Aber immer mehr Leute gehen auch allein essen – nicht aus Einsamkeit, sondern weil sie es wollen. Restaurants beginnen zu reagieren.
DPA, Von Dee-Ann Durbin und Anne D'Innocenzio, AP
06.09.2024, 00:00
06.09.2024, 08:59
dpa
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Weltweit gehen immer mehr Menschen alleine im Restaurant essen.
Dies geht aus Zahlen der Reservierungs-Plattform OpenTable hervor.
OpenTable-Topmanagerin Debby Soo führt den Trend teilweise darauf zurück, dass mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten.
Der Trend hat auch zu einer Zeit eingesetzt, in der immer mehr Menschen allein leben.
Als Konsequenz daraus stellen sich viele Restaurants darauf ein, etwa durch Anpassung der Sitzgelegenheiten.
Parisa Imanirad, eine Wissenschaftlerin aus San Francisco, ist verheiratet und hat einen grossen Freundeskreis. Aber ein bis zwei Mal in der Woche geht sie solo ins Restaurant. Allein zu essen gebe ihr Zeit zum Nachdenken oder Lesen, sagt sie beim Solo Lunch im gehobenen Restaurant «Spruce» in San Francisco. So versucht sie denn auch, ihr Handy nicht zu berühren, wenn sie am Tisch sitzt, und geniesst schlicht die Ruhe. «Es ist wie ein Spa, aber eine andere Art», sagt sie.
Imanirads Alleingänge ins Restaurant sind kein Einzelfall. In den USA ist die Zahl der Tischbestellungen für Einzelpersonen in den vergangenen zwei Jahren um 29 Prozent gewachsen, wie OpenTable berichtet, eine Webseite für Restaurant-Reservierungen. In Deutschland hat sie dieses Jahr um 18 Prozent zugelegt und in Grossbritannien um 14 Prozent. In Japan ergab eine jüngste Umfrage des Hot Pepper Gourmet Eating Out Research Institute, dass 23 Prozent der Menschen allein zum Essen ausgehen, 2018 waren es noch 18 Prozent.
Als Konsequenz daraus stellen sich viele Restaurants in Japan und anderswo bei ihren Sitzgelegenheiten um, ändern ihr Speiseangebot und fügen hier und da einen besonderen Touch hinzu, um Solo-Gäste anzusprechen. «Sogar sogenannte Familienrestaurants erhöhen die Zahl von Sitzen am Tresen für Alleinkunden, und Restaurants bieten Gänge mit kleineren Portionen an, damit eine Person, die alleine isst, eine Vielfalt von Gerichten bekommt», sagt Masahiro Inagaki, ein Forscher am Eating Out Research Institute in Japan.
Allein Essen wegen Homeoffice?
OpenTable-Topmanagerin Debby Soo führt den Trend teilweise darauf zurück, dass mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten. Sie suchten eine Ruhepause abseits des Homeoffice, sagt sie, glaubt aber, dass es noch tiefer gehende Gründe gibt. «Ich glaube, es gibt eine breitere Bewegung der Selbstliebe und der Selbstfürsorge und wirklich (...) des Geniessens seiner eigenen Gesellschaft.»
Hinzu kommt, dass sozialer Umgang während der Corona-Pandemie weniger möglich war und im Laufe der Zeit beim Auswärts-Essen weniger wichtig wurde, wie Anna Mattila sagt, Professorin für Hotelmanagement an der Penn State University, die Solo-Essen untersucht hat. Und: Handys helfen manchen Gästen, sich mit anderen verbunden zu fühlen, auch wenn sie allein sind. «Die sozialen Normen haben sich geändert. Leute schauen allein Speisende nicht mehr an und denken: «Du musst ein Einzelgänger sein"», sagt Mattila.
Der Trend hat zu einer Zeit eingesetzt, in der mehr Menschen allein leben. Nach Erkenntnissen des Forschungszentrums Pew betraf das beispielsweise 2019 in den USA 38 Prozent der Erwachsenen im Alter zwischen 25 und 54 Jahren – nach 29 Prozent im Jahr 1990. In Japan machen Single-Haushalte jetzt ein Drittel der Gesamtheit aus, wie Regierungsstatistiken besagen, und es wird erwartet, dass der Anteil bis 2040 auf 40 Prozent anwächst.
Positiv überrascht von Luzern
Zunehmendes Interesse an Solo-Reisen – insbesondere unter Leuten im Alter von 55 Jahren und darüber – führt auch dazu, dass mehr Menschen allein speisen. Die Amerikanerin Carolyn Ray war kürzlich allein auf einem Trip nach Luzern in der Schweiz und völlig überrascht, als man sie in einem Restaurant an einen Tisch mit einem einzigen Gedeck samt einer kleinen Blumenvase und mit einem wunderschönen Ausblick auf den See führte. In anderen Restaurants habe man versucht, sie mehr im hinteren Teil des Raumes zu platzieren oder sie betont gefragt, ob sie jemanden erwarte, schildert Ray, Chefin von JourneyWomen, einer Webseite für weibliche Solo-Reisende über 50.
Sie rät Frauen, die allein essen gehen, ein anderes Speiselokal aufzusuchen, wenn sie rüde behandelt werden oder man ihnen einen schlechten Tisch zuweist.
Shawn Singh, ein Content Creator und Restaurantkritiker, isst nach eigenen Angaben etwa 70 Prozent der Zeit allein. Wenn die Vorstellung einer Solo-Mahlzeit im Restaurant einschüchternd ist, empfiehlt er ein Mittagessen anstatt einer Abendmahlzeit, bei der Tische gewöhnlich mehr mit Gruppen belegt sind.
Alleine essen, doppelt zahlen?
Restaurants sind nicht immer beglückt, eine Einzelperson an einen Tisch zu setzen, der Platz für mehrere bietet. Das Londoner Speiselokal «Alex Dilling at Hotel Café Royal» erregte im vergangenen Jahr Aufsehen, als es damit begann, Solo-Gästen den gleichen Preis abzuverlangen wie zwei Leuten. Sein abendliches Acht-Gänge-Degustationsmenü, das Kaviar einschliesst, kostet 215 Pfund (255 Euro) pro Person. Das Restaurant hat einen Michelin-Stern und lediglich 34 Plätze. Seine Webseite erlaubt keine Reservierung für weniger als zwei Personen.
Andere Restaurants sagen, dass es die Sache wert sei, einen Einzelgast an einen für zwei gedeckten Tisch zu setzen, denn Solo-Speisende seien tendenziell loyal und kämen wieder. Es möge zwar einen kurzzeitigen Verlust geben, aber auf längere Sicht könne man sich als eine wirklich spezielle Einrichtung etablieren, sagt Drew Brady, leitender Geschäftsführer von Overthrow Hospitality, einer veganen Restaurantgruppe in New York. Er hat einen Zuwachs an Solo-Gästen seit der Pandemie registriert, und nach seiner Beobachtung verteilen sie sich gleichmässig auf Frauen und Männer. Im Vorzeige-Restaurant der Gruppe, dem «Avant Garden», machen sie acht Prozent der Gäste aus. Als Antwort darauf gibt es dort jetzt neben anderen Änderungen einen geräumigen Tisch, der für Einzelgäste gedacht ist.
Aber vielleicht empfiehlt es sich für Restaurants, über zusätzliche Massnahmen nachzudenken, wie Mattila, die Professorin von der Penn State University, sagt. Ihre Forschung hat ergeben, dass Einzel-Speisende eckige Formen – etwa bei Tischen, Tellern und Lampen – den Vorzug vor runden geben, die mehr mit der Verbundenheit von Gruppen assoziiert werden. Und: Sie mögen langsamere Musik lieber als schnellere Rhythmen.