Indien Tödliche Gerüchte kursieren in sozialen Medien in Indien

Wasbir Hussain und Omer Farooq, AP

18.6.2018

Gedenken an Nilotpal Das und Abhijeet Nath in Gauhati. 
Gedenken an Nilotpal Das und Abhijeet Nath in Gauhati. 
Anupam Nath/AP/dpa

Es sind grausame Bilder, die Nutzer sozialer Medien in Indien weiterleiten, um vor angeblichen Entführerbanden zu warnen. Die Panik deswegen hat schon einige Menschen das Leben gekostet.

Die Gerüchte verbreiteten sich über Facebook und Whatsapp im Nordosten von Indien. Manche der Nachrichten enthielten Fotos von zerstückelten Leichen oder eines verletzten, auf der Strasse liegenden Kindes. Im Text dazu wurde vor Hunderten Einbrechern gewarnt, die nachts in Häuser im Unionsstaat Assam eindrängen, um Kinder zu entführen.

In einer Nachricht wurden die Angreifer, die teils als Bettler verkleidet seien, als Verbrecher bezeichnet. In einer anderen hiess es, sie kämen aus dem nahegelegenen, armen Staat Bihar. «Seid wachsam, Einwohner von Assam!», lautete eine Botschaft.

Nichts an den Gerüchten entsprach nach Angaben der Polizei der Wahrheit. Doch die durch die Nachrichten geschürten Ängste führten zum brutalen Tod zweier indischer Touristen. Es war der jüngste Fall in einer Welle von Mob-Angriffen, die durch Gerüchte in sozialen Medien angeheizt wurden und landesweit mehr als ein Dutzend Menschen das Leben kosteten.

Wenige Tage, nachdem die ersten Botschaften in Assam in Umlauf kamen, wurden die beiden Urlauber auf der Rückfahrt von einem Wasserfall in einem Dorf gestoppt. Ein wütender Mob zog die zwei Männer aus dem Auto und verprügelte sie.

In einem Video, das ein Angreifer aufnahm, bettelt eines der bereits schwer verletzten Opfer um sein Leben. Der Mann ruft seinen Namen und den seines Vaters, um zu beweisen, dass er gebürtig aus Assam stammt. Der zweite Mann versucht zunächst mit den Tätern zu reden, gibt dann aber auf und rollt sich auf dem Boden zusammen.

Mindestens ein Dutzend Männer schlagen mit Händen und Stöcken auf die Opfer ein und traktieren sie mit Fusstritten. Die Attacke endet erst, als beide Männer – der 29-jährige Musiker Nilotpal Das und der 30 Jahre alte Geschäftsmann Abhijeet Nath – tot sind.

Der Polizist Mukesh Agarwal aus Assam sagt: «Falsche Nachrichten und Gerüchte, die auf Social-Media-Plattformen gestreut wurden, sind weitgehend verantwortlich für das Geschehene.» Die Polizei nahm 15 Verdächtige wegen des Übergriffs fest und 35 weitere wegen der Verbreitung von Gerüchten, Falschnachrichten und wegen Hassverbrechen.

Die Gewalt nahm offenbar ihren Lauf, nachdem Das und Nath an dem Wasserfall mit einem Anwohner in Streit geraten waren. Als beide aufbrachen, benachrichtigte der Mann laut Polizeiangaben per Handy die Dorfbewohner und schrieb, Das und Nath seien Kidnapper. Kurz darauf stoppten die Dorfbewohner das Auto der beiden.

Indien hat in den vergangenen Monate schon eine Serie ähnlicher Attacken erlebt. Bei den Opfern handelt es sich oft um Aussenseiter in irgendeiner Form, die zur Zielscheibe werden, weil sie anders aussehen oder nicht die örtliche Sprache sprechen.

Allein an einem Tag rettete die Polizei in Assam sechs Menschen bei drei getrennten Mob-Angriffen. Alle Opfer waren von Menschenmengen beschuldigt worden, Kinder entführen zu wollen.

Die Polizei führt zwar keine landesweite Statistik über Todesopfer bei solchen Übergriffen. Doch seit Anfang Mai wurden bei einem halben Dutzend Attacken mindestens 16 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt.

Hinter den Angriffen stehen nach Ansicht von Experten diverse Gründe. Genannt werden etwa die Macht der sozialen Medien, das schwache Schulsystem Indiens und ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber Polizei und Justiz. Sowohl Polizisten als auch Juristen gelten als schlecht ausgebildet, so dass viele Inder das Gesetz selbst in die Hand nehmen.

Die Behörden im südlichen Staat Telangana, wo es mehrere Angriffe gab, betonten mehrfach, dass es keine Hinweise auf die Existenz solcher Entführerbanden gebe. «Trotzdem sind Gerüchte weitergegangen und haben grosse Probleme angerichtet», sagt der ranghohe Beamte V. Satynarayana. Einige derjenigen, die die Warnungen verschicken, sorgten sich ernsthaft um die Sicherheit ihrer Kinder, erklärt er. Andere wollten nur Zwietracht säen.

Syed Ghouse Mohiuddin gehört zu den prominenten Stimmen in den sozialen Medien von Assam. Doch auch der Betreiber des Nachrichtenportals Indtoday.com sorgt sich inzwischen, dass die Netzwerke gefährlich werden könnten.

«Manche Leute leiten diese Nachrichten und Videos in der Annahme weiter, dass sie den Menschen einen Dienst erweisen und sie vor einer möglichen Gefahr für ihre Familien warnen», erklärt er. «Aber in den sozialen Medien sind auch Leute aktiv, die das tun, um Unheil anzurichten.»

Der Journalist spekuliert, ob womöglich auch die indischen Medien ihren Teil zu dem Problem beitragen, indem sie manchmal schlecht recherchierte Berichte veröffentlichen. «Sie stehen unter Druck, die Konkurrenz zu schlagen und berichten ohne Sinn und Verstand», sagt Mohiuddin.

Der getötete Musiker Das hatte seine Eltern noch beruhigt, als er zu dem Wasserfall aufbrach. «Mach dir keine Sorgen», sagte er zu seinem Vater, wie dieser später Journalisten erzählte. «Alles wird gut gehen.»

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