Reto von Arx ist eine der prägendsten Figuren im Schweizer Eishockey. Mit dem HC Davos stemmt er sechsmal den Meisterpokal in die Höhe. Im Interview blickt er zurück.
Reto von Arx, Sie gelten als Playoff-Spieler schlechthin im Schweizer Eishockey. Welche Qualitäten sind in der entscheidenden Meisterschaftsphase besonders wichtig?
Es braucht sicher ein gutes Team. Ohne einen guten Goalie, ohne gute Mitspieler wird keiner irgendetwas erreichen. Das ist das Allerwichtigste. Weil in den Playoffs nicht mehr so schön gespielt wird, es nur noch darum geht, die Partien zu gewinnen, machen Faktoren wie der Wille, die Einsatzbereitschaft sehr viel aus.
Sie waren beim HC Davos einer der Leitwölfe. Waren Sie von Natur aus ein Leader, oder sind Sie im Verlaufe der Karriere in diese Rolle hineingewachsen?
Ich wurde das extrem oft gefragt, habe mir auch immer wieder Gedanken darüber gemacht, kann jedoch niemandem eine genaue Antwort darauf geben. Ich versuchte einfach immer, mein Bestes zu geben, und wollte, dass das bei allen anderen auch der Fall ist. Das war mein Anspruch, den ich jeden Tag umzusetzen versuchte.
Wurden Sie auch mal laut in der Garderobe, wenn es nicht wie gewünscht lief?
Selten. Ich war kein Fan von jenen Spielern, die das Gefühl hatten, immer aufstehen zu müssen und stundenlange Reden zu halten.
Man hat das Gefühl, dass es heute im Eishockey weniger Persönlichkeiten gibt, wie Sie das waren oder ein Mathias Seger. Haben Sie eine Begründung dafür?
Ich glaube, man gibt den Spielern nicht mehr jenen Platz, den wir früher noch hatten. Man will überall die gleichen Typen, alles muss strikt nach Schema verlaufen. Ich bin jedoch lange bei Juniorenauswahlen tätig und kann versprechen, dass einige mit Ecken und Kanten nachrücken werden. Ich bin froh, das zu sehen, und freue mich auf all diese Spieler. Solche braucht es unbedingt, gerade in den Playoffs.
Gibt es einen Meistertitel, der für Sie am speziellsten war?
Nein. Es sind total verschiedene Jahre, mit anderen Mannschaften und verschiedenen Wegen, was jeden einzelnen Titel einzigartig macht. Jeder Titel steht für sich selber, ein Vergleich ist unmöglich.
2009 gewannen Sie mit dem HCD sämtliche drei Playoff-Serien im siebenten Spiel. War das mental der herausforderndste Meistertitel?
Natürlich ist es anders, wenn du 21 statt 16 oder 17 Partien hast. Du bist allerdings dermassen in den Playoffs drin, dass du nicht denkst: Uff, schon wieder ein Spiel. Vielmehr freust du dich bereits auf das nächste. Speziell war es insofern, als wir im Halbfinal gegen Fribourg mit 1:3 Siegen im Rückstand lagen. Wir hatten viele Spiele, nach denen die Saison hätte fertig sein können. Dadurch lernten wir extrem viel. Wir gewannen über Jahre an Selbstsicherheit für solche entscheidenden Begegnungen, wussten, dass wir in diesen sehr schwierig zu bezwingen sind (der HCD gewann achtmal in Folge den Showdown, die Red.).
Was geht vor solchen Alles-oder-Nichts-Spielen in einem vor? War man da noch fokussierter?
Ich versuchte immer, so fokussiert wie möglich zu sein, aber natürlich bringt ein Spiel 7 noch eine extra Motivation, eine extra Freude mit sich. Das kann dich noch ein, zwei Prozent mehr pushen. Im Endeffekt war unser Vorteil, dass wir in solchen Partien als ganze Mannschaft mit einem extremen Selbstvertrauen aufs Eis gingen, wir nie Angst hatten, einen Fehler zu machen. Wir wussten, dass wir einfach so wie immer spielen müssen und es dann wahrscheinlich gut für uns aussieht. Ein wichtiger Punkt ist, ob du in ein Spiel gehst und sagst, wir gewinnen heute, oder ob du denkst, heute dürfen wir nicht verlieren. Da ist ein grosser Hund begraben. Wir waren jeweils überzeugt zu siegen, das ist schon ein grosser Vorteil.
Sie haben in Ihrer Karriere einiges erlebt. Gibt es eine spezielle Anekdote?
Es gibt so viele spezielle Momente, die ich nicht vermissen will. Am meisten in Erinnerung bleiben gewisse Playoff-Serien. Eine Schlüsselserie war für uns der Viertelfinal gegen Bern vor dem ersten Meistertitel (2002). Dieser war spielerisch und körperlich extrem herausfordernd. Wir setzten uns mit Mühe und Not durch, worauf bei uns allen der Knopf aufging. Wir wussten danach, dass wenn wir dieses Bern schlagen, wir gegen alle Mannschaften gewinnen können. Das half uns enorm.
Kitschiger hätte Ihr Karriereende nicht sein können. Sie traten 2015 mit einem Meistertitel ab und schossen im letzten Spiel das entscheidende 1:0. Wie sehen Sie das?
Das ist natürlich alles schön. Allerdings war das für alle Leute rundherum interessanter und kitschiger als für mich. Für mich war es nie wichtig, Tore zu schiessen, um zufrieden zu sein. Ich wollte am Ende der Saison den Meisterpokal in den Händen haben, alles andere war für mich nebensächlich. Nichtsdestotrotz war es ein unvergesslicher Abend.
Trotz ihres unbestrittenen Potenzials gelang es Ihnen nicht, sich in der NHL durchzusetzen. Sie bestritten lediglich 19 Partien für die Chicago Blackhawks. Warum?
Ich kann Ihnen nicht genau sagen, warum, wenn ich ehrlich bin. Es war dannzumal noch eine andere Zeit mit den alten Regeln. Ausserdem gab es dort noch nicht so viele europäische Trainer wie heute. Diese haben einen riesigen Einfluss auf die NHL und machten es den Europäern ein Stück weit einfacher. Ich bin jedoch keiner, der gross darüber nachdenkt. Ich bin froh, so wie es gelaufen ist. Es gibt nichts, dass ich bereue. Von daher befasst ich mich mit dieser Frage nicht so stark wie wahrscheinlich andere Leute.
Macht Ihnen die Corona-Krise bezüglich der Zukunft des Schweizer Eishockeys Sorgen?
Natürlich macht mich das Ganze etwas nachdenklich. Ich glaube aber, dass wir noch nicht in einer Phase sind, in der wir uns extrem Sorgen machen müssen. Wenn wir im September wieder loslegen können, was ich schwer hoffe, wird der Verlust bei den meisten Vereinen so sein, dass er ausgeglichen werden kann. Das ist das, was ich von überall her höre.
Wie wären Sie mit dieser Situation als Spieler umgegangen? Richtige Trainings sind ja nicht möglich.
Ich hätte wahrscheinlich die Zeit ohne Training auch etwas genossen. Die Spieler heutzutage und schon länger sind Profis. Die wissen genau, was sie machen, wie sie sich fit halten, wie sie sich ernähren müssen. Die können auch mal vier, fünf, sechs Wochen zu Hause trainieren. Ich habe keine Angst, dass die Spieler nicht bereit sind, wenn das Ganze gelockert wird. Das ist überhaupt kein Problem. Ich sage vielen in solchen Phasen, dass es am einfachsten ist, wenn sie nicht darüber nachdenken, was sein könnte, was hätte sein sollen. Dann geht am wenigsten unsinnige Energie verloren. Ich selber habe mich nie gross mit hypothetischen Fragen auseinandergesetzt, ich hasste solche. Klar ist es keine einfache Situation, niemand weiss genau, wie es weitergeht, nichtsdestotrotz muss man sich auf das konzentrieren, das man kontrollieren kann. Wenn der Fokus auf dem Aufbau der nächsten Saison liegt, dann geht es am einfachsten. Alles andere ergibt sich irgendwie, da muss man Woche für Woche nehmen.
Wie stehen Sie zur aktuellen Diskussion, dass mehr ausländische Spieler zugelassen werden sollen?
Ich bin kein Fan von dieser Regelung. Ich bin allerdings nicht in den Vereinen involviert und weiss deshalb nicht genau, wie es dort aussieht, was sie sich davon versprechen. Ich habe das Gefühl, dass wir in der Schweiz immer gut gefahren sind mit vier Ausländern. Das funktioniert gut, die meisten Klubs schaffen es, vier gute Ausländer zu verpflichten, die die Teams stärker machen. Mehr macht für mich keinen Sinn. Wir verfügen über genügend junge Spieler, die fähig sind, in unserer Liga zu bestehen.
Sehen Sie allgemein auch positive Aspekte in dieser Krise?
Wie es bei anderen aussieht, kann ich schwer beurteilen. Persönlich habe ich es genossen, einmal Zeit mit der ganzen Familie zu verbringen. Ich bin mir aber durchaus bewusst, welche Auswirkungen das Ganze auf unsere Wirtschaft haben wird. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.