Coumba Sow ist eine feste Grösse im Schweizer Nationalteam. Die Mittelfeldspielerin war schon mehrmals die Frau für die wichtigen Tore.
Im Match gegen die Niederlande am Sonntag wäre der perfekte Zeitpunkt, dies erneut zu zeigen. Als Coumba Sow den Ball Richtung Tor köpfelt, ist sie sich sicher: Der geht rein. Im EM-Spiel gegen Schweden läuft am Mittwoch die 75. Minute. In Sheffield steht es zwischen der Schweiz und den Skandinavierinnen 1:1. Der sensationelle Punktgewinn des Teams von Nils Nielsen ist zum Greifen nah. Doch Sows Kopfball wird geklärt, wenig später gelingt dem Turnierfavoriten das Siegtor zum 2:1. Statt ausschweifend und emotionsgeladen von einem Coup gegen eines der besten Teams der Welt berichten zu können, bleibt Sow nur die nüchterne Feststellung: «Es ist, wie es ist».
Wäre der Ball reingegangen, hätte sich die Mittelfeldspielerin bereits zum zweiten Mal als Torschützin feiern lassen können an diesem Turnier. Für ihr erstes Tor brauchte sie gerade einmal 82 Sekunden, als sie in der ersten Partie gegen Portugal von der Strafraumgrenze aus abzog und in die weite Torecke traf. Nach dem für die Schweizerinnen enttäuschenden 2:2 habe sie sich über diesen Treffer gar nicht richtig freuen können, sagt Sow. «Aber als ich es dann auf Video angeschaut und gehört habe, wie der Ball ins Netz fliegt, hat mich das schon berührt.»
Es war ihr zehntes Tor für das Nationalteam, aus dem sie im Mittelfeld nicht mehr wegzudenken ist. Mit ihrem Treffer im Rückspiel der EM-Barrage gegen Tschechien hatte die 27-Jährige entscheidenden Anteil daran, dass die Schweiz nun überhaupt ihre zweite Europameisterschaft bestreiten darf. Auch ihr Führungstor in der WM-Barrage gegen Italien war ein wichtiges. Doch der Weg zur Nationalspielerin verlief für Sow nicht gradlinig.
«Ich hätte gern eine Frau als Vorbild gehabt, aber es gab halt niemanden.»
Schweizer Nationalspielerin
Ihr Vater habe zuerst nicht gewollt, dass sie in einem Verein Fussball spiele, erzählt sie. So sei sie dann erst etwa mit 13 Jahren zum SV Höngg gekommen. Zuvor war die Strasse ihr Fussballplatz. Mit ihren Freunden im Zürcher Kreis 11 in Oerlikon spielte sie nach der Schule jeweils stundenlang – und verfeinerte damit ihre Technik. Mit dabei waren manchmal auch die späteren Profifussballer Steven Zuber, Nzuzi Toko und die Gebrüder Rodriguez.
Noch heute kicke sie mit ihren Jungs, wenn sie da sei. «Alles, was ich technisch drauf habe, habe ich auf der Strasse gelernt», sagt Sow. Mit ihrem Hintergrund als Strassenfussballerin und ihrem Faible für Technik überrascht nur bedingt, dass sie Ronaldinho als den Spieler bezeichnet, dem sie als Kind am meisten nachgeeifert habe. «Ich hätte gern eine Frau als Vorbild gehabt, aber es gab halt niemanden.»
«Es ist schon schade, zu merken, dass wir in der Schweiz noch nicht viel weiter sind als damals, als ich vor zehn Jahren in Zürich gespielt habe.»
Sow ist eine angenehme Gesprächspartnerin. Weil sie ausspricht, was sie denkt, frisch von der Leber weg und sich nicht in Worthülsen und Floskeln verliert, wie sie im Fussballbusiness verbreitet sind. Seit 2019 spielt sie in Paris, sieht, welchen Stellenwert der Fussball der Frauen in Frankreich hat und ist dementsprechend immer etwas enttäuscht, wenn sie in die Schweiz zurückkommt. «Es ist schon schade, zu merken, dass wir in der Schweiz noch nicht viel weiter sind als damals, als ich vor zehn Jahren in Zürich gespielt habe.»
Sow spricht dabei von der Infrastruktur, der Nachwuchsförderung aber auch davon, dass Fussballspielerinnen in der Schweiz unverändert einer Arbeit nachgehen müssen und der Sport höchstens einen kleinen Nebenverdienst bringt, der aber in keinem Verhältnis zum zeitlichen Aufwand steht. «Das ist doch kein Zustand», sagt Sow und meint, dadurch habe die Schweiz im internationalen Vergleich in den letzten Jahren an Terrain eingebüsst. «Ich muss nicht Millionen verdienen, das will ich gar nicht. Es geht darum, dass man die Ressourcen in den Nachwuchs und die Infrastruktur investiert und man als Spielerin etwas aufbauen kann für nach der Karriere.»
«Es ist schön, diesen Wandel zu sehen, und wenn man schon nur den Weg von einem dieser Kinder prägen kann, macht das Freude.»
Es sind bekannte Baustellen, welche Sow benennt. Sie merkt aber, dass sich zumindest bezüglich Publikumsinteresse etwas tut. Sow erzählt vom letzten Vorbereitungsspiel gegen England im Letzigrund. Nach Spielschluss sei sie nur noch in Unterwäsche im Stadion gestanden, weil sie fast ihre ganze Ausrüstung an Fans verschenkt hatte. Nicht nur Mädchen, sondern auch viele Buben hätten etwas von ihr wollen, sagt sie, was früher unvorstellbar gewesen wäre. «Es ist schön, diesen Wandel zu sehen, und wenn man schon nur den Weg von einem dieser Kinder prägen kann, macht das Freude.»
Am Sonntag steht in Sheffield das dritte Gruppenspiel gegen die Niederlande an, gegen die Sow im November 2018 einst ihr Debüt im Nationalteam gefeiert hat. Die Schweiz muss gegen die Titelverteidigerinnen gewinnen, und zumindest jemand aus dem «gegnerischen Lager» wird ihre Daumen für Sow drücken. Ihre Mutter ist Niederländerin.
ssch, sda