Frauenfussball-Direktorin Tatjana Haenni «Eine EM in der Schweiz wäre eine unglaubliche Chance»

sda

19.7.2022 - 09:01

Tatjana Haenni, Direktorin Frauenfussball beim Schweizer Fussballverband
Tatjana Haenni, Direktorin Frauenfussball beim Schweizer Fussballverband
Keystone

Tatjana Haenni, die Direktorin Frauenfussball im Schweizer Fussballverband SFV, blickt nach dem Ausscheiden des Schweizer Nationalteams an der EM in England im Interview voraus und zurück.

Keystone-SDA, sda

Tatjana Haenni spricht nach dem Ausscheiden des Schweizer Teams darüber, weshalb bei ihr trotzdem das Positive überwiegt, und sie sagt deutlich, warum die nächste EM in vier Jahren unbedingt in der Schweiz stattfinden muss.

Tatjana Haenni, die EM ist vorbei. Die Schweiz muss nach der Gruppenphase nach Hause. Welche Bilanz ziehen Sie zu diesem Turnier, nachdem Sie eine Nacht darüber geschlafen haben?

Für eine Bilanz ist es noch etwas früh, aber ich kann meine Gefühle beschreiben. Einerseits bin ich enttäuscht, weil wir in die Viertelfinals wollten und nah dran waren, das zu schaffen. Andererseits bin ich aber auch zufrieden, weil wir uns in den letzten zwei Spielen gut präsentiert haben, gezeigt haben, wozu das Team fähig ist, dass es mithalten kann mit Topteams und wir sportlich doch nicht so weit weg sind, wie wir es auch hätten sein können.

Also überwiegt das Positive?

Mein Grundgefühl im Moment ist wirklich super positiv, ja. Weil es für uns ein Mega-Erlebnis war, dass wir überhaupt hier sein und sehen durften, was Frauenfussball in England, in der Schweiz und in den Medien auslöst. Gegen die Niederlande waren über 1000 Fans aus der Schweiz vor Ort. Das finde ich unglaublich. Vom Stadtzentrum in Sheffield aus gab es einen Fanmarsch. Diese Unterstützung zu sehen und zu spüren, stimmt mich sehr positiv.

Wie bereits 2017 ist das Turnier nach den Gruppenspielen zu Ende. Ist die Schweiz weiter als damals?

Jede Endrunde ist eine Standortbestimmung. Unser Ziel ist es, dass wir uns regelmässig qualifizieren. Das ist schon eine Herausforderung, wie man jetzt auch in der WM-Qualifikation sieht. Das Abschneiden an einer Endrunde ist nur das Resultat der Arbeit, die tagtäglich gemacht wird. Es geht um Fragen wie 'Welches Standing hat Frauenfussball in der Schweiz?' oder 'Wo spielen unsere besten Spielerinnen?'. Das Nationalteam kann nur basierend auf den Rahmenbedingungen arbeiten, die vorher geschaffen werden. Wenn wir der Meinung sind, dass es diesmal gut war und einfach knapp nicht fürs Weiterkommen gereicht hat, müssen wir im Nachwuchs ansetzen und bessere Rahmenbedingungen schaffen.

Trainer Nils Nielsen wurde während des Turniers für seine manchmal zurückhaltende, manchmal unkonventionelle Art zu kommunizieren kritisiert. Funktioniert sein Führungsstil überhaupt im Team?

Vielleicht hat es in den letzten zwei Spielen gerade angefangen richtig zu funktionieren. Vorab die jüngeren Spielerinnen sind sich gewohnt und wollen auch, dass viel und offen kommuniziert wird, dass sie selber mitentscheiden und ihre Meinung einbringen können. Die Zeit des militärischen Führungsstils ist vorbei. Ich finde toll, wie Nils mit den Spielerinnen und mit dem Staff umgeht. Und sollte er mal nicht mehr weitermachen, glaube ich, dass es in ähnlichem Stil weitergehen sollte.

Wie wichtig wäre es für den Frauenfussball in der Schweiz, die EM 2025 austragen zu dürfen?

Sehr wichtig. Wenn wir dieses Turnier austragen dürfen, könnten wir in zweieinhalb Jahren wahrscheinlich so viel bewegen wie sonst in zehn Jahren. Der Zeitpunkt wäre ideal, gerade weil jetzt im Nachwuchs noch eine Lücke vorhanden ist. Mit so einem Turnier würden viele Leute mobilisiert und könnte eine Bewegung in die ganze Fussballlandschaft kommen, die sonst wohl nur mit viel mehr Aufwand zu erreichen wäre.

Trauen Sie das der Schweiz zu?

Wenn ich das Turnier jetzt in England sehe, kann ich sagen: 'Das können wir auch.' Ich bin überzeugt, dass in der Schweiz jedes Spiel ausverkauft wäre und im ganzen Land eine fantastische Stimmung herrschen würde. Die ganze Schweiz würde davon profitieren. Dieses Turnier auszutragen, wäre eine unglaubliche Chance für uns, und ich hoffe wirklich sehr, dass wir den Zuschlag erhalten.