Er hat es geschafft! Carlos Mäder ist der zweite Skifahrer Ghanas, der sich für die Olympischen Spiele qualifiziert hat. Hier ist die filmreife Geschichte eines Mannes, der seinen Traum trotz aller Widerstände nie aufgegeben hat und damit ein Vorbild weit über den Skisport hinaus ist.
Mit acht Monaten wird Mäder von einem Ehepaar aus Giswil adoptiert, wächst in Obwalden am Fuss der Mörlialp auf und kommt so schon früh mit dem Skisport in Berührung. «Wir, die dort aufgewachsen sind, standen wohl alle schon auf Ski, noch bevor wir laufen konnten», sagt der 43-Jährige am anderen Ende der Telefonleitung lächelnd. In jungen Jahren nimmt er regelmässig an den damals beliebten Ovo-Grandprix teil und fährt dort um die Wette. Eine Skikarriere schlägt er dann aber nicht ein, eine andere Leidenschaft ist noch stärker: «Ich war noch besser und fanatischer für den Fussball. Für mich war ganz klar, dass ich mich für den Fussball entscheide.»
Schon früh schafft er es in die Innerschweizer Regionalauswahl, spielt dort mit Jungs, die drei, vier Jahre älter sind als er. Der FC Luzern wird auf das Talent aufmerksam und so durchläuft er die verschiedenen Juniorenstufen. Doch in der U21 macht ihm plötzlich das Knie zu schaffen, die Ärzte machen ihm wenig Hoffnung, dass schnelle Besserung in Sicht ist, und in der Kanti ist er ebenfalls gefordert. «Und da meinten dann auch die Eltern, jetzt konzentriere dich doch auf die Schule. Und deshalb habe ich mich dann für eine seriöse Karriere entschieden», erinnert sich Mäder. Wenn er darüber spricht, dann spürt man noch heute das Feuer für den Fussball: «Im Nachhinein fuchst es mich natürlich manchmal, wenn ich den einen oder anderen in der Super League spielen sehe und denke, da war ich definitiv besser. Aber that’s life.»
Wir wundern uns und wollen wissen, wie er denn zum Skifahren zurückgefunden hat. Das hat eine Weile gedauert, denn «wie viele bin ich den 90er-Jahren aufs Snowboard umgestiegen, weil das Skifahren war ja fast verpönt damals». Er habe das Skifahren ja noch auf den «Pommes-Frites-Ski» gelernt, doch eines Tages habe er sich dann ein paar Carvingski gemietet und da hat es ihn gepackt: «Es war so geil, so ein geiler Tag, ein geiles Feeling», Mäder kommt gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus. An eine Teilnahme an den Olympischen Spielen denkt er da natürlich noch nicht.
«Die Initialzündung war sogar im Ausgang, ich glaube im The Chedi, der Zigarrenbar.»
Diesen Plan hegt er erst seit rund fünf Jahren. Seinen Kumpels, mit denen er Ende Saison immer in Andermatt Skifahren geht, sei Dank. Sie hätten ihn gepusht und meinten, er solle doch schauen, ob das möglich sei. «Die Initialzündung war sogar im Ausgang, ich glaube im ‹The Chedi›, der Zigarrenbar. Und dann musste ich den Worten Taten folgen lassen und habe das in Angriff genommen.» Was Mäder von vielen da draussen unterscheidet, er lässt den Worten tatsächlich Taten folgen. Oder wie Mäder sagt: «Die ganze Reise hat wirklich vor vier Jahren begonnen.» Sein eigentliches Ziel sind da aber noch die Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang.
Nach dem Ausflug mit seinen Freunden sucht er die Botschaft von Ghana in Bern auf, «weil meinen letzten ghanaischen Pass hatte ich als Baby». Einen solchen habe er aber gebraucht, um überhaupt eine FIS-Lizenz lösen zu können. Mäder erzählt, wie er mit dem Botschafter gesprochen habe, der seine Idee «megacool» gefunden habe. Und er erinnert sich, wie der Botschafter ihm irgendwann den Arm um die Schulter legt, ihm tief in die Augen blick und meint: «Du weisst schon, dass wir keine Berge haben in Ghana?» Noch heute muss er schmunzeln, wenn er daran denkt. «Ich habe ihm dann gesagt, dass ich in der Schweiz wohne.»
Bis er den Pass tatsächlich in den Händen hält, dauert es: «Du kannst dir ja vorstellen, dass das bei den ghanaischen Behörden nicht sooo schnell geht», meint Mäder und kommt schon auf die nächste Challenge zu sprechen, das Lösen der FIS-Lizenz. «Bei der FIS waren Personen eingetragen als Verantwortliche für Ski Ghana, wo ich nach langem, mühsamen Hin und Her herausfinden musste, dass diese Personen niemand kennt, nicht einmal beim Olympischen Komitee von Ghana.»
«Das war ein ganz schlimmes Gefühl für mich.»
Die meisten hätten ihren Traum längst begraben, aber Mäder nimmt alle Hürden, bis er Mitte Dezember 2017 tatsächlich Rennen fahren kann. Das Problem: «Grundsätzlich ist es so, dass die ganze Qualifikationsdauer zwei Jahre dauert. Und ich habe dann zusammengerechnet etwa fünf Wochen gehabt und bin in der ganzen Weltgeschichte herumgereist.»
Doch er ist ganz nah dran am Ziel, reist nach Island und will dort die letzten noch fehlenden Punkte holen. Doch die zwei geplanten Rennen werden abgesagt. «Nicht zu viel Schnee, zu wenig Schnee oder Nebel, sondern wegen zu starken Winds.» Er kann es noch heute kaum fassen. Aufgeben? Nicht Mäders Ding.
Er schaut im Renn-Kalender, wo es noch eine Möglichkeit gibt, das Ticket zu lösen. «Und das einzige Rennen, das ich sah, war in Iran. Ich bin dann wirklich von Akureyri nach Reykjavik geflogen, von dort nach Frankfurt und Teheran und dann noch zweieinhalb Stunden in die Pampa gefahren. Gegen vier Uhr morgens bin ich angekommen und habe mich noch anderthalb Stunden hinlegen können. In einem Hotel, das gerade frisch gestrichen wurde, das ganze Zimmer und Hotel hat vor Lösungsmittel gedampft.» Alles wäre ihm egal gewesen, hätte er es im Rennen gepackt, doch er verfehlt sein Ziel. «Das war ein ganz schlimmes Gefühl für mich, weil ich doch fünf Wochen herumgereist bin von Pontius bis Pilatus.»
«Für mich war es dann natürlich die Chance meines Lebens, meinen Skitraum umzusetzen.»
Und dann? «Ich habe mir geschworen, dass ich es noch einmal probiere. Obwohl ich ja nicht mehr der Jüngste bin.» Und einfacher wird es nicht. Zwar bekommt er für die zweijährige Qualifikationsphase ein olympisches Stipendium, dafür erhält er jährlich 18’000 Dollar, ausgezahlt in vier Tranchen, doch das reicht bei weitem nicht, um die Kosten zu decken. Mit einem Kumpel, der den Skizirkus kennt, plant er die zwei Jahre durch, doch dann kommt Corona. «Das heisst, der ganze Plan wurde über den Haufen geworfen. Es fiel ja dann eigentlich die ganze Saison aus und so blieb schlussendlich nur etwas mehr Zeit als beim letzten Mal. Ich habe im November die ersten Rennen gemacht. Aber schlussendlich hat es ja dann doch gereicht.» Andere Fahrer konnten die Punkte aus dem Jahr zuvor mitnehmen, doch diese Saison verpasste Mäder aufgrund einer Knieverletzung – auch dazu hätte er noch so viel mehr zu erzählen.
Langweilig wird es ihm nie, denn schliesslich geht er neben dem täglichen Training auch einem 100-Prozent-Job nach, bis er im letzten Sommer kündigt. Eine Fusion zweier grosser Unternehmen sorgt dafür, dass Wege, die er gehen will, versperrt sind und er schlussendlich «die Schnauze voll» hat. Zuvor hat er gerade noch einen Executive MBA abgeschlossen, und weil er vom Arbeitgeber auch noch eine Vergütung bekommt, geht er ohne Groll. «Für mich war es dann natürlich die Chance meines Lebens, meinen Skitraum umzusetzen. Und das letzte halbe Jahr bin ich wirklich nur Ski gefahren.»
«Ich werde mir mein Ziel mit einem Höchstrückstand auf den Sieger, also auf Marco Odermatt, setzen.»
… zu den sportlichen Ambitionen in Peking.
Aber betreibt er diesen ganzen Aufwand nur, um an den Olympischen Spielen teilzunehmen, oder steckt noch mehr dahinter, will er eine Botschaft senden? «Ja genau, das war immer ein Punkt. Ein Beispiel für Junge zu sein. Zu zeigen, wenn sogar ich alter Sack das schaffen kann (lacht), dann können das auch andere. Just do it, bleib dabei und mach etwas dafür und dann kannst du ganz crazy Sachen erreichen.» Und natürlich möchte er auch für viele Afrikaner ein Vorbild sein, ein Wegbereiter. Da sieht er auch seine Zukunft. Er möchte Junge mit ähnlichem Hintergrund unterstützen, «dass sie nicht den harten Weg gehen müssen, den ich gehen musste». Er träumt schon von einem panafrikanischen Team im Weltcup, vielleicht in 15 Jahren.
Das ist Zukunftsmusik, die Gegenwart ist eine andere. Noch ist er ziemlich alleine unterwegs, Kontakt etwa zu Schweizer Skifahrern hat er keine. «Ich bin eine absolute One-Man-Show und ein Einzelkämpfer.» Und was will er sportlich erreichen? «Jetzt für Olympia weiss ich gar nicht recht, da will ich es sicher einfach mal geniessen», denn gegen all die Profis werde das schon eine andere Geschichte. Und dann nennt er doch noch ein Ziel: «Ich werde mir mein Ziel mit einem Höchstrückstand auf den Sieger, also auf Marco Odermatt, setzen.»
Geniessen möchte er auch den Einmarsch ins Stadion, als Fahnenträger Ghanas. Das steht jetzt schon fest, weil sein einziger Landsmann Olympia verpasst. «Wir haben eigentlich noch einen Skeleton-Fahrer, aber der arme Siech hat vor zwei Wochen in Deutschland bei einem Wettkampf Corona erwischt und musste dann in Isolation und konnte deshalb die Qualifikation nicht mehr fertig fahren. Das tut mir mega, mega leid für ihn.»
Bleibt zu hoffen, dass Mäder ein solches Corona-Schicksal nicht ereilt. «Ich bin wahrscheinlich der bestgetestete Mann in der Schweiz», sagt er, doch die Angst schwingt immer ein bisschen mit in Zeiten explodierender Fallzahlen. «Letzten Sonntag musste ich am Bahnhof in Luzern etwas zu Essen kaufen und es hatte so viele Leute, da habe ich gemerkt, wie sehr mich das stresst. Es wäre das Schlimmste, wenn das jetzt noch passieren würde.» Und der Riesenslalom in Peking wäre um eine Attraktion ärmer.
blue News blickt in der Serie «Olympia-Countdown» auf die Spiele in Peking – das war Teil 4 von 7.
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