Nach seinem schweren Sturz 2009 in Kitzbühel landete Daniel Albrecht im Koma, musste die einfachsten Dinge wieder lernen und konnte nie mehr an die früheren Leistungen anknüpfen. In einem Interview spricht Albrecht über die Emotionen, die bei ihm nach dem Sturz von Urs Kryenbühl an selber Stelle hochkommen.
Als Urs Kryenbühl am vergangenen Freitag nach seinem Horrorsturz auf der Streif im Zielraum liegt, kommen bei manch einem Ski-Fan Erinnerungen hoch. An Daniel Albrecht, der zwölf Jahre zuvor an gleicher Stelle – und am exakt gleichen Datum – ebenfalls schwer stürzt. Bei 138 km/h verliert er beim 70-Meter-Zielsprung die Kontrolle, landet auf dem Rücken bleibt regungslos liegen.
Albrecht verletzt sich schwer und landet auf der Intensivstation. Mit einem Schädel-Hirn-Trauma bleibt er dreieinhalb Wochen im künstlichen Koma. Als er aufwacht, weiss er nicht, wer er ist und warum er überhaupt im Spital ist. Auch sprechen kann er nicht mehr, verwechselt Worte. Es folgt ein langer Weg, ein harter Kampf fürs Comeback. 22 Monate nach dem üblen Sturz kehrt Albrecht tatsächlich in den Weltcup zurück. Der sportliche Erfolg des ehemaligen Top-Talents will sich aber nicht mehr einstellen, sodass Albrecht im Oktober 2013 nach einer weiteren (Knie-)Verletzung mit 30 Jahren seine Karriere beendet.
Mehr als sieben Jahre sind seit dem Rücktritt vergangen, zwölf Jahre liegt der Sturz, der sein Leben verändert hat, zurück. Doch manchmal sind die Erinnerungen daran immer noch sehr präsent, wie Albrecht nun in einem Interview mit dem «Tagesanzeiger» erzählt. «Ich schaue Skirennen nicht mehr live», sagt er. «Erst dann, wenn ich weiss, was passiert ist. Ich bin fast noch zu sehr verbunden mit dem Sport, habe selber zu viel erlebt und möchte das emotional fernhalten von mir.»
«Ich weiss, dass es viel Zeit und Energie braucht»
Den Sturz von Urs Kryenbühl habe er sich hinterher aber dennoch angesehen. «Passiert ein solcher Unfall, und erst noch in Kitzbühel, erscheint mein Name wieder in den Medien wegen meines Sturzes. Als es hiess, es sei etwas Ähnliches passiert wie mir damals, dass ein Schweizer am genau gleichen Datum und auch beim Zielsprung gestürzt sei, wollte ich wissen, was genau war.»
Seine ersten Gedanken: «Ich hoffe vor allem, dass es nicht zu schlimm ist, weil ich weiss, dass es viel Zeit und Energie braucht, um sich von dem Ganzen zu erholen.» Fast zwei Jahre lang schuftete Albrecht für sein Comeback, musste dabei Rückschläge wegstecken. «Es ist schon so, dass Kryenbühls Sturz bei mir wieder Dinge hochbrachte und entsprechende Gedanken kommen», sagt er. «Ich drücke ihm die Daumen, dass alles gut kommt und er die richtigen Entscheidungen treffen wird.»
Kryenbühl zog sich bei seinem Crash einen Riss des Kreuz- und Innenbandes im rechten Knie sowie einen Schlüsselbeinbruch und eine Gehirnerschütterung zu. Der 26-Jährige kam damit im Gegensatz zu Albrecht fast noch glimpflich davon. «Ich hatte bei diesem Sturz einen grossen Schutzengel an meiner Seite», weiss der Schwyzer.
«Man sollte auf die Besten hören»
Brisant bei Kryenbühls Sturz ist, dass der Zielsprung schon im Vorfeld der Hahnenkamm-Rennen ein Thema war. Der Sprung gehe zu weit, beklagten sich einige Fahrer nach der Trainingsfahrt, bei der schon Johan Clarey stürzte. Grossartig verändert wurde der Zielsprung dann aber nicht, was im Nachgang für grosse Kritik sorgte. Selbst Beat Feuz, der gerne weit springt, sagte: «Das muss nicht sein.»
Albrecht erinnert sich, dass vor seinem Sturz auch der damals beste Abfahrer Didier Cuche sagte, dass der Zielsprung in Kitzbühel zu weit gehe. «Wenn selbst die Besten sagen, es gebe ein Problem, dann sollte man auf diese vielleicht auch hören», meint der Walliser. Das Problem sei, dass es bei einem Sprung bei solch hohen Geschwindigkeiten nicht viel brauche, bis man die Kontrolle verliert. «Sie können das selber testen: Halten Sie bei Tempo 140 auf der Autobahn den Kopf aus dem Fenster, dann sehen Sie, was da für Kräfte wirken», erklärt Albrecht.
Albrecht findet seinen Sturz «interessant und eindrücklich»
Auch wenn der heute 37-Jährige sich sehr emotional an seinen langen Leidensweg erinnert, sagt er, dass er seinen schweren Sturz nicht ungern sehe: «Ich habe keine negativen Emotionen oder Verbindungen zu diesen Bildern. Es schmerzt mich mehr, wenn ich Kryenbühls Sturz sehe. Meinen Sturz finde ich eher interessant, es sieht schon ziemlich eindrücklich aus.»
An den Sturz könne er sich zwar nicht erinnern. Dennoch kann ihn Albrecht analysieren: «Es war kein riesiger Fahrfehler, ich habe nicht was weiss ich alles riskiert, nichts falsch gemacht. Es war ein kleiner Fehler mit grossen Auswirkungen. Ich habe schon viel blödere Sachen gemacht – und nichts ist passiert. Wenn man mit 140 auf einen Sprung zuschiesst, muss man keinen Fehler machen, da reicht Pech.»
Pech hat Albrecht viel gehabt. Wer weiss, was aus ihm geworden wäre, wäre er an jenem 22. Januar 2009 die Streif nicht runtergefahren. Der Kombi-Weltmeister von 2007 galt als grosse Schweizer Hoffnung. Und doch sagt er heute, dass er bei seinem Sturz «mehr Glück als Pech» gehabt habe. Schliesslich befand er sich wochenlang in Lebensgefahr. Albrecht: «Ich erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und habe keine grossen bleibenden Schäden. Also: Ich hatte schon sehr, sehr viel Glück, eigentlich nicht normal.»