Kommentar Mit den neuen Siegesanwärtern Medvedev/Thiem sinken Federers Chancen auf weitere Erfolge

Von Syl Battistuzzi

23.11.2020

Roger Federer blickt in eine sportlich ungewisse Zukunft.
Roger Federer blickt in eine sportlich ungewisse Zukunft.
Bild: Keystone

Die Tennis-Saison 2020 ist zu Ende. Nicht nur Corona hat dieses Jahr der ATP-Tour den Stempel aufgedrückt. Klar ist auch: Die Luft an der Spitze wird für die einstigen Dominatoren der Szene dünner.

Den letzten grossen Titel sicherte sich am Sonntag Daniil Medvedev bei den ATP Finals. Der Russe schlug in einem spannenden Endspiel den Österreicher Dominic Thiem in drei Sätzen

Die beiden lieferten sich spektakuläre Ballwechsel auf höchstem Niveau. Thiem schlug Winner aus allen Lagen, Medvedev machte mit seinem unorthodoxen Spiel seinem Gegner wie gewohnt das Leben schwer. Am Ende halfen dem nervenstarken Thiem auch die acht abgewehrten Breakbälle im dritten Durchgang nicht weiter, Medvedev gelang das letztlich entscheidende Break.



Die mentale Härte der Finalisten war beeindruckend anzusehen. In den entscheidenden Momenten kaltblütig zu sein, macht in dieser Sportart aus normalen Spielern Champions. Neben dem 27-jährigen US-Open-Sieger Thiem, der in den letzten beiden Jahren die beste Direkt-Bilanz gegen die Dominatoren des Herrentennis (Federer, Nadal und Djokovic) aufweist, hat nun sicher auch der abgezockte Medvedev Blut geleckt. 

Viele Faktoren sprechen gegen Federer

In der Gruppenphase schlug er die Weltnummer 1 Novak Djokovic klar in zwei Sätzen. Im Halbfinal lag er gegen Rafael Nadal mit Satz zurück, ehe er den Spanier bodigte. Im Final machte er auch gegen die Nummer 3 einen Satzrückstand wett. Noch nie hatte es ein Tennisprofi seit 1973 geschafft, die Top Drei der Weltrangliste bei den ATP Finals zu besiegen. 

«Ich denke, es ist super für das Tennis. Wir beginnen, uns zurechtzufinden» – Medvedev

Der 24-Jährige schubste bereits vor London Federer von Platz 4 der Weltrangliste. Der Schweizer hat am 20. Januar 2020 seinen letzten Ernstkampf bestritten (Halbfinal-Niederlage gegen Djokovic). In Melbourne will der 39-Jährige auch sein Comeback geben. Die lange Absenz wird ihm anzumerken sein, meint etwa der ehemalige Spitzenspieler Greg Rusedski: «Man wird nicht den Kerl von 2017 zu sehen bekommen».



Tatsächlich wird es ein harter Weg für den 20-fachen Grand-Slam-Sieger zurück in die Top 3. 784 Wochen war Federer immer auf dem Podest zu finden. Mit Thiem und Medvedev sind aber neben seinen beiden Erzrivalen Djokovic und Nadal zwei neue Konkurrenten entwachsen, die ihren Platz vorne nicht so schnell abgeben dürften. Und dahinter drücken mit Stefanos Tsitsipas und Alexander Zverev zwei weitere junge Spieler, die Qualitäten für ganz nach oben aufweisen.

«Wir haben bewiesen, dass wir die Legenden schlagen und auch die grossen Turniere gewinnen können» – Thiem


Die langersehnte Rückkehr von Federer wird zur Herkules-Aufgabe. Er ist darauf angewiesen, möglichst ohne Energieverlust die ersten Runden zu überstehen. Durch die erweiterte Breite an der Spitze ist aber die Gefahr gestiegen, dass Federer bereits früher auf einen Gegner trifft, der ihn bezwingen kann. Die aktuellen Kontrahenten lassen sich zudem nicht mehr wie früher von seiner Aura erdrücken. Die fehlende Matchpraxis lässt sich leider im Training auch nur schwer simulieren. Schliesslich wird es schwierig, seinem Spiel eine neue Note hinzuzufügen. Bei Thiem oder Medvedev hingegen zeigt die Lernkurve steil nach oben. Sie wären aktuell auch für einen Federer ohne Knieprobleme eine grosse Hürde. Aber ein «Maestro» wächst an seinen Aufgaben.

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