Der Deutsche Alexander Zverev steht am Australian Open nicht nur auf dem Platz unter Druck. Der anstehende Prozess wegen des Vorwurfs der Misshandlung einer Frau wirft grosse Schatten.
Bei der ATP ist man nervös. Als es ein vietnamesischer TV-Journalist wagt, Alexander Zverev auf seine Probleme neben dem Platz anzusprechen, wird ihm von Seiten der Männer-Tennisorganisation rüde beschieden, er werde nie mehr ein Interview bekommen. Mittlerweile kommt aber auch die ATP selber wegen Zverevs im Frühling anstehendem Gerichtstermin unter Druck.
Es geht um einen Vorfall im Mai 2020. Zverev soll in Berlin im Rahmen eines Streits eine Frau körperlich misshandelt haben. Der Fall hätte mit einer Busse von 450'000 Euro wegen Körperverletzung beigelegt werden können, der Olympiasieger hielt aber an seiner Unschuld fest und legte Einspruch ein. Anfang Woche gab das zuständige Amtsgericht in Berlin nun das Datum für den Prozess fest. Dieser soll am 31. Mai beginnen, zunächst sind acht Verhandlungstage bis zum 19. Juli geplant. Gut für Zverev: Er muss nicht anwesend sein; gleichzeitig finden das French Open und Wimbledon statt.
Spielerrat und Netflix-Star
In Melbourne muss sich der Deutsche dennoch vielen Fragen stellen – auch, weil er Einsitz im Spielerrat der ATP hat und der Star einer Episode der Netflix-Serie «Break Point» ist, wo des Thema aber nicht angesprochen wird. Journalisten der grossen australischen Tageszeitungen «The Age» und «Sydney Morning Herald» fragten Zverev nach seinem Sieg in der 1. Runde, ob er es angebracht finde, dass er noch im Spielerrat sei. Der Hamburger fragte zurück: «Warum sollte es das nicht sein?» Er habe keinen Grund zu glauben, dass die Spielerkollegen nicht mehr hinter ihm stehen würden. Ein paar von ihnen reagierten auf entsprechende Fragen ausweichend. Sie würden nicht alle Fakten und Einzelheiten kennen. Die ATP liess Anfragen von Journalisten unbeantwortet.
In der 2. Runde kämpfte sich Zverev in über viereinhalb Stunden zum Sieg, da kam ihm die erste Frage an der Medienkonferenz nach dem bevorstehenden Prozess verständlicherweise in den falschen Hals. «Wow! Das ist jetzt nach 4:40 Stunden wirklich nicht die erste Frage, die ich mir gewünscht hätte.»
Da waren die Macher der Netflix-Serie, die private Einblicke ins Leben der Stars ermöglichen soll, gnädiger. Die juristischen Schwierigkeiten kommen darin nicht vor. «Ich denke, Netflix lässt negative Sachen bei allen weg», stellte der Weltranglisten-Zwölfte Taylor Fritz fest. «Aber wenn man eine Episode über ihn macht, verstehe ich schon, dass die Leute sich wünschten, dass das Thema zumindest angeschnitten wird.»
«Ziemlich komische» ATP
Das tun mehr und mehr Spielerinnen der WTA Tour. Die Russin Daria Kassatkina, Nummer 14 der Welt, bezeichnete den Umgang der ATP mit der Sache als «ziemlich komisch». Die Männer würden nur «vorgegebene» Antworten geben und die ATP bleibe stumm. «Irgend etwas ist da. Wenn es eine juristische Anklage gegen jemanden gibt, finde ich es nicht richtig, diese Person zu promoten.» Sloane Stephens wundert sich ebenfalls: «Die ATP fällt da ziemlich aus dem Takt.»
Klar ist, dass die Fragen nicht weggehen werden. Spätestens im Mai, wenn Zverev in Paris spielt, werden sie erst recht auftauchen.