Am 29. April 2017 endete in London die Karriere von Wladimir Klitschko. Der Kampf gegen Anthony Joshua war sein spektakulärster. Er brachte dem Ukrainer jene Anerkennung, die ihm lange verwehrt blieb.
Wladimir Klitschko war mehrfacher Weltmeister, Olympiasieger, Träger sämtlicher wichtiger Box-Titel. Die ganz grosse Wertschätzung erfuhr er ausserhalb seines Heimatlandes und seiner Wahlheimat Deutschland aber trotz jahrelangem Nummer-1-Status erst ganz am Schluss seiner Karriere, nach seinem letzten Kampf, einer Niederlage gegen Anthony Joshua. Zu berechnend, zu kontrolliert boxte «Dr. Steelhammer» für die grossen Sympathie-Bekundungen bis zu diesem letzten Feuerwerk.
Er war schon etwas in die Jahre gekommen an jenem 29. April 2017, der jüngere Bruder von Witali Klitschko. Die einst stupende Technik und das taktische Geschick verschonten den 41-Jährigen nicht mehr vor harten Schlägen. Wladimir Klitschko, der seine Gegner mit seinem auf Sicherheit bedachten defensiven Lauer-Boxen über Jahre kontrolliert hatte, war verwundbar geworden. 17 Monate nach der Niederlage gegen Tyson Fury wollte er es aber noch einmal wissen, und es schien fast, als wollte er zum Schluss seiner Karriere all seine Kritiker widerlegen. Ganz offensichtlich hatte er seine Lehren gezogen aus dem enttäuschenden Kampf gegen Fury, in welchem er in seinem passiven Muster gefangen war und ungewohnt langsam wirkte.
Wie gegen den noch grösseren Fury konnte Klitschko auch gegen den ebenfalls knapp zwei Meter langen Joshua nicht auf seinen sonst üblichen Reichweiten-Vorteil bauen. Er suchte diesmal also nach einem anderen Weg und tat, was man sich Zeit seiner Karriere vergeblich von ihm erhofft hatte: Er liess sich auch einmal auf einen Schlagabtausch ein. Und zeigte Nehmerqualitäten.
Zuerst ging Klitschko auf die Bretter, dann Joshua
Die Affiche im Wembley-Stadion hielt, was sie versprach. Mehr noch. Klitschko, der alternde Langzeit-Weltmeister, und der 14 Jahre jüngere Brite Joshua boten ein Spektakel, das man sich vor allem vom berechnenden Ukrainer nicht gewohnt war. Doch der Sieger im Generationenduell hiess nicht Klitschko. Nachdem beide einmal am Boden gewesen waren, erklärte der Ringrichter Joshua nach einer weiteren Schlagserie in der 11. Runde zum Sieger durch technischen K.o.
Zehn Runden hatten sich Klitschko und Joshua auf Augenhöhe bekämpft. Vor allem die Runden 5 und 6 elektrisierten die 90'000 Zuschauer im Stadion. In der fünften ging Klitschko nach einem Treffer zu Boden, in der sechsten Joshua. Vor der 11. Runde sahen zwei der drei Punktrichter Joshua vorne (96:93 und 95:93), beim dritten lag Klitschko in Führung (95:93). Das Duell hätte allemal auch auf Klitschkos Seite kippen können. Viele Betrachter waren überzeugt, dass Joshua nicht zurück in den Kampf gekommen wäre, hätte Klitschko nach der 6. Runde den Rat seines Bruders zur Vorsicht und Kräfte-Einteilung ignoriert und in jener Phase mehr Druck auf den taumelnden Joshua ausgeübt.
«Ich hatte geplant, den Ring als Sieger zu verlassen. Ich war in Topform und muss die Niederlage nun akzeptieren. Ich war kurz vor dem Sieg und muss es so nehmen wie es ist. Anthony lieferte einen grossen Kampf. Er ist ein starker Champion», sagte Klitschko im Nachgang. Und wusste: «Obwohl ich meinen zweiten Kampf in Folge verloren habe, habe ich heute Abend auch viel gewonnen.»
Wahrscheinlich spürte in jenem Moment auch er, dass es trotz Niederlage ein perfekter Zeitpunkt ist, um abzutreten: als Verlierer eines Kampfs, aber als Sieger über seine Kritiker. Es blieben seine letzten Worte nach einem Boxkampf. Gut drei Monate nach dem verlorenen Duell in London, das beiden rund 20 Millionen Franken einbrachte, erklärte Wladimir Klitschko offiziell seinen Rücktritt.