Doping-Serie (5) Doping-Serie, Teil 5: «Ein Auftragsmörder in der Nähe» – Rodschenkow verharrt in Schutzhaft

Von Luca Betschart

17.4.2020

Bryan Fogel (links) und Whistleblower Grigori Rodschenkow steckten Richard McLaren in seiner Untersuchung gegen Russland wichtige Informationen.
Bryan Fogel (links) und Whistleblower Grigori Rodschenkow steckten Richard McLaren in seiner Untersuchung gegen Russland wichtige Informationen.
Bild: Netflix

In einer fünfteiligen Serie erzählt «Bluewin» die Geschichte von Grigori Rodschenkow, dem furchtlosen Whistleblower im russischen Dopingskandal. Teil 5: Das ewige Versteckspiel.

«Ich kann zweifelsfrei sagen, dass Rodschenkow die Wahrheit sagt und ein ehrlicher Zeuge war», stellt Richard McLaren, der zuvor das umfassende Geständnis des ehemaligen russischen Doping-Drahtziehers im Auftrag der WADA unter die Lupe nimmt, an einer Pressekonferenz in Toronto im Juli 2016 klar. Anhand von Kratzspuren im Inneren der Flaschendeckel habe man während den Untersuchungen festgestellt, dass russische Proben mit einem Werkzeug geöffnet und manipuliert wurden – gemäss den Schilderungen von Rodschenkow.

Ikarus (2017)
Der Film Ikarus wurde 2018 mit dem Oscar als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet.

Ikarus ist ein im Jahr 2017 auf Netflix erschienener Dokumentarfilm. Er handelt in der ersten Hälfte von dem Selbstversuch des Filmemachers Bryan Fogel mithilfe von Doping ein Radsportamateurrennen zu gewinnen. Dabei wird er von Grigori Rodschenkow unterstützt. Die zweite Hälfte handelt von Rodschenkows Rolle im russischen Staatsdoping. Wir stützen uns in dieser Serie auf den preisgekrönten Dokumentarfilm.

Zudem ist für die McLaren-Kommission unmöglich, dass der ehemalige Leiter des Moskauer Labors diesbezüglich in Eigenregie gehandelt habe. Man könne die Existenz eines staatlich gesteuerten Doping-Systems zweifelsfrei belegen. «Das Sportministerium (mit Minister Vitaly Mutko, Anm. d. Red.), Stellvertreter Juri Nagornich, die RUSADA sowie der ehemalige Leiter des Moskauer Testlabors Rodschenkow waren alle in die Operation eingebunden», sagt McLaren.

Sogar der russische Sicherheitsdienst habe seine Finger im Spiel – wie bei den Olympischen Spielen 2014: «Der FSB hatte unter dem Deckmantel einer Gebäudewartungsfirma Zugang zum Labor in Sotschi.»

Russland widerspricht

Dem eindeutigen McLaren-Report zum Trotz entscheidet das IOC kurz darauf, russische Athleten dürfen an den Olympischen Spielen in Rio starten. Putin frohlockt: «Es gab nie ein Doping-Programm in Russland. Das ist unmöglich, undenkbar. So etwas würden wir nie tun. (…) Ich erinnere mich nicht einmal an den Namen des Überläufers.»

Selbst als McLaren in seinem rund 1'600 Seiten langen Schlussbericht Ende Dezember festhält, dass mehr als 1'000 russische Athleten aller Sportarten beteiligt seien, bestreitet Putin die Existenz eines Doping-Programms. Vier Tage darauf spricht der neue RUSADA-Leiter in der «New York Times» von einer «institutionellen Verschwörung, die seit Jahren bestand, um bei den Olympischen Spielen zu schummeln». Stunden später zieht Russland die Stellungnahme des Funktionärs zurück.

Rodschenkow verschwindet in Schutzhaft

Zu diesem Zeitpunkt ist Whistleblower Rodschenkow längst untergetaucht. Nachdem der einstige Doping-Drahtzieher dank des Berichts von McLaren an Glaubwürdigkeit gewinnt, wird er von den US-Behörden kurz vor den Olympischen Spielen in Rio ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen – wo er bis zum heutigen Tag ausharren muss. Für den übergewanderten Kronzeugen entwickelt sich ein nicht endendes Versteckspiel. 

«Wie kann ich abschätzen, ob ich sicher bin oder nicht. Wenn ein Auftragsmörder in der Nähe ist, kann man das nicht abschätzen», beschreibt Rodschenkow in einem Interview im Februar 2018 seine Situation. Mehr Sorgen macht er sich deshalb um seine Angehörigen, die nach wie vor in Russland leben. «Ich sorge mich um meine Kinder, meine Frau und um meinen Hund übrigens auch», gesteht Grigori. 

Dennoch: Die Entscheidung, die Seiten zu wechseln, bereut Rodschenkow ganz und gar nicht. «Ich habe gezeigt, wie viele Probleme wir im Sport und in der Dopingkontrolle noch haben. Irgendjemand musste das sagen. (...) Also ich bedauere es nicht. Ich würde es wieder machen.»

«Russland ist nach wie vor ein Doping-Land»

Dass sein mutiges Handeln auch in seinem Heimatland für ein Umdenken gesorgt hat, bezweifelt Rodschenkow. «Die Mentalität ist gleich geblieben. Es ist eine Mentalität des Betrügens, Lügens und Leugnens.» Viele damals involvierte Leute – ob Sportfunktionäre oder Athleten – seien noch immer im Amt. 

Erst im vergangenen Dezember erhält der untergetauchte Rodschenkow prominenten Zuspruch. Juri Ganus, seit 2017 Vorsitzender der RUSADA (Russische Anti-Doping-Agentur), sagt: «Insgesamt ist es so, dass einiges faul ist – und an vielen Stellen bei uns Sportfunktionäre ausgewechselt werden müssen.» Gemäss Ganus seien selbst im Jahr 2019 – im Zuge der vermeintlichen Aufklärung des Skandals – noch Daten gefälscht worden. Auch der McLaren-Bericht wird von Russland noch immer nicht anerkannt.

«Wir brauchen tief greifende Reformen. Das dauert wohl noch eine Generation», glaubt Ganus. Und Whistleblower Grigori Rodschenkow ist sich sicher: «Russland ist nach wie vor ein Doping-Land. Es hat sich absolut nichts geändert.»

Hinweis: Die fünfteilige Serie zu Grigori Rodschenkow, dem Whistleblower im russischen Dopingskandal, basiert auf dem 2017 erschienen Dokumentarfilm «Ikarus». Sofern keine Quelle angegeben wird, stammen Zitate aus der auf Netflix verfügbaren Dokumentation.

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