Tadesse Abraham Tadesse Abraham: «Ich bin mir sicher, dass jemand unter zwei Stunden laufen wird»

Von Nicolas Larchevêque

11.10.2019

Tadesse Abraham ist die Schweizer Hoffnung im Marathon.
Tadesse Abraham ist die Schweizer Hoffnung im Marathon.
Bild: Keystone

Der Schweizer Marathonläufer Tadesse Abraham spricht im Interview mit «Bluewin» über die Suche nach seinen Grenzen, das WM-Rennen in Doha und seine Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Tokio 2020.

Tadesse Abraham, wir erreichen langsam das Jahresende. Wie bewerten Sie Ihre Saison 2019?

2019 war kein grossartiges Jahr, aber es bleibt dennoch ein gutes. Das Hauptziel war, im Januar in Dubai mein Limit zu erreichen (Angriff auf Mo Farahs Europarekord von 2:05:11 Stunden, Anm. d. Red.), wo ich schliesslich 2:09:49 Stunden lief. Ich knackte den Rekord nicht, weil einige Details nicht gut liefen. Aber einige Wochen später zeigte ich, dass ich dank der sehr guten Zeit von 2:07:24 Stunden in Wien (die zweitbeste Leistung seiner Karriere, Anm. d. Red.) schneller laufen konnte. In diesem Moment klickte es in meinem Kopf. Ich dachte mir: ‹So, das war's, jetzt ist alles in Ordnung. Ich kann immer noch laufen, ich habe das Potenzial.› Es war toll und ich bin glücklich. Auch wenn ich den vorgesehenen Plan nicht verwirklichten konnte, beruhigte es mich, dass ich so schnell laufen konnte. 

Was halten Sie von Ihrem Rennen bei der WM in Doha, wo Sie eine Zeit von 2:11:58 Stunden liefen?

Bei einer Weltmeisterschaft kann man nie sicher sein, dass man um Medaillen laufen wird. Auch wenn du am Renntag in Topform bist, brauchst du Glück und einen guten Tag. Ich hatte ein tolles Rennen: Ich schaffte es, wie geplant zu laufen. Ich muss glücklich sein über meinen neunten Platz. 



Wie haben Sie Ihr Rennen in Doha bei diesen klimatischen Bedingungen von 31 Grad und 45 Prozent Luftfeuchtigkeit bewältigt? Vor und während des Rennens?

Ich kam am Mittwoch in Doha an, da war es sehr schwierig mit den Bedingungen. Ich trainierte dreimal um Mitternacht und erlebte drei Läufe mit drei verschiedenen Bedingungen. Es ist daher etwas schwierig, welche Ausrüstung man nehmen soll, da sich die Umstände täglich oder sogar stündlich ändern in Bezug auf Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Aber wir haben gut geplant und mit den Leuten vom Verband diverse Überlegungen angestellt. So haben wir ziemlich viel Equipment eingesetzt, um am Ende des Rennens die Besten zu sein. Während des Rennens waren die Bedingungen im Vergleich zu den Trainingseinheiten nicht so schlecht und feucht. Wir benutzten etwa Eisbandagen, die ich mir um den Kopf band, «flüssiges Eis»  und andere Vorräte. Ich freue mich auf Tokio, wo wir das Gleiche tun werden und noch einige Details hinzufügen können, um uns zu verbessern.

Der Doha-Marathon begann erst um Mitternacht. Wie bereitet man sich auf ein Rennen vor, das zu einer so ungewöhnlichen Zeit beginnt?

Es ist ein seltsam, um Mitternacht zu laufen, mit all den Lichtern. Aber die Bedingungen sind für alle Teilnehmer die gleichen. Andererseits ist es für den Körper, der es gewohnt ist, um Mitternacht zu schlafen, eigenartig zu laufen. Ausserdem kann man ja nicht einfach den ganzen Tag nicht schlafen. Du kannst dich ausruhen, aber du kannst nicht wie nachts schlafen, auch wenn du ins Bett gehst. Dennoch: Es war besser nachts als tagsüber, weil am Tag die hohen Temperaturen schrecklich waren. Es gab einen Unterschied von 10 bis 15 Grad zwischen Tag und Nacht. Und das Gleiche gilt für die Feuchtigkeit. 

Im nächsten Jahr wird der Marathon in Tokio um sechs Uhr morgens beginnen. Was müssen Sie anpassen?

Um sechs Uhr wirst du dich besser fühlen. Ich bin es gewohnt, sehr früh am Morgen zu laufen, wenn ich in Äthiopien bin. Morgens stehst du auch mit so viel Energie wie möglich auf, nachdem du dich die ganze Nacht ausgeruht hast. Mit dem Zeitunterschied kann ich vielleicht etwas früher nach Tokio gehen, um mich daran zu gewöhnen. Ich denke, der Zeitplan wird in Tokio viel besser sein als in Doha.

Im Januar haben Sie in Dubai versucht, den europäischen Rekord zu brechen. Ist das immer noch Ihr Ziel?

Wenn ich einmal sehe, dass ich ihn während eines Marathons schlagen kann, dann ja. Aber mein Ziel ist es nicht nur, den europäischen Rekord zu brechen, sondern meine Grenzen zu überschreiten, um mir selbst zu sagen: ‹Wozu bin ich während eines Marathons fähig? Wo ist mein Limit?› Das ist es, wonach ich suchen will. Jetzt ist es an der Zeit, es zu tun. Denn in ein oder zwei Jahren wird es schwieriger sein. Und deshalb habe ich es beim Marathon in Wien versucht.

Apropos Rekorde: Eliud Kipchoge wird versuchen, diese Woche in Wien unter zwei Stunden zu laufen. Was denken Sie darüber und glauben Sie, dass er es schaffen kann?

Ich denke, es geht darum, Menschen, die den Sport nicht verstehen, zu zeigen, dass es für uns Athleten keine Grenzen gibt. Ich persönlich bin mir sicher, dass dereinst jemand unter zwei Stunden laufen wird. Ich muss das Rennen nicht sehen, um den Leuten vermitteln zu können, dass er innerhalb von zwei Stunden laufen wird. Auch ohne ihn laufen zu sehen, habe ich volles Vertrauen in ihn. Eliud Kipchoge hat Talent. Er arbeitet hart und zeigt uns, dass alles möglich ist. Und dann liebe ich es, wie er läuft und wie viel Disziplin und Respekt er für andere Athleten hat. Er ist demütig. 



Fühlen Sie sich stärker als vor einigen Jahren, zum Beispiel als 2016, wo Sie Ihre persönliche Bestzeit erreichten (2:06:40 Stunden)?

Heute denke ich, dass ich mich stärker fühle als früher, weil ich mehr Motivation und Erfahrung habe. Ich gebe mir auch mehr Zeit um zu trainieren und zu arbeiten. Entscheidend ist vor allem der Verstand. Das Laufen ist in deinem Kopf. Wenn du hier stark bist (tippt an den Kopf), bist du auch in den Beinen stark. Wenn man älter ist, hat man logischerweise weniger Kraft. Aber es ist das Gegenteil, man verbessert sich dank der Erfahrung und Motivation, was einem zusätzliche Energie gibt.

Sehen Sie sich mit 36 Jahren noch mehrere Jahre auf höchstem Niveau laufen?

Seit ich mit den Marathons anfing, habe ich mich entschieden, zwei Rennen im Jahr zu laufen. So wird meine Karriere länger dauern. Wenn ich drei oder vier Marathons pro Jahr mache, wird sich die Karrieredauer verkürzen. Es ist möglich, dass ich einige Halbmarathons oder Stadtrennen hinzufügen werde. Diese zusätzlichen Läufe helfen mir, meine Geschwindigkeit zu verbessern. Also werde ich so weitermachen und wir werden sehen, wie schnell meine Beine sein werden.

Wenn wir noch weiter gehen: Denken Sie schon an die Zeit nach ihrer Aktivkarriere?

Ich denke darüber nach, das ist normal. Aber ich habe noch nichts im Detail geplant oder so. Ich möchte in der Welt des Sports bleiben. Aber ich habe mir noch keine Zeit genommen, darüber nachzudenken, weil ich denke, dass es zu früh ist.

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