Analyse Apple schafft den ganz grossen Wurf nicht

Henning Steier

25.3.2019

Der Streamingdienst Apple TV+, die Kreditkarte Apple Card, Apple News+ und das Spieleangebot Apple Arcade: Der iPhone-Hersteller baut sein Angebot an Diensten stark aus, schwächelt aber in der Kombination derselben – eine Analyse.

Alles in einer App, alles Interessante aber wie so oft vorerst nur in den USA. Die neue Apple-TV-App ist durchdacht. Sie wird es auch für Fernseher von Herstellern wie Samsung, LG und Sony sowie in 100 Ländern geben – und auf Macs. Und auf den ersten Blick hat Apple es einmal mehr geschafft, grosse Namen für sich zu gewinnen: HBO, Cinemax, CBS, Epix, MTV, Showtime, Starz, Steven Spielberg, J.J. Abrams, Jennifer Aniston, Steve Carell, Damian Chazelle, Octavia Spencer, M. Night Shyamalan, Oprah Winfrey und Reese Witherspoon.



Mit Originalinhalten dieser Kanäle und Stars soll die heute vorgestellte neue Apple-TV-App samt dem neuen Streamingdienst Apple TV+, der ab Herbst in 100 Ländern verfügbar sein wird, bei Kunden punkten. 

Doch andere grosse Namen fehlen auf der Partnerliste: Denn Apple betritt einen umkämpften Markt, der von Netflix beherrscht wird. Rund 150 Millionen Abonnenten verzeichnet der führende Streamingdienst für Filme und Serien. Disney und NBC Universal arbeiten an eigenen Angeboten, sind also auch nicht Teil des Apple-Angebots. Und all die Konkurrenten setzen wie Apple auf eine Vielzahl an Originalinhalten. Es schein fraglich, dass Apple bis dahin noch etablierte Studios als Partner für seinen Flatrate-Streaming-Dienst gewinnen wird. Noch eine Zahl: Allein Netflix wird 2019 rund 15 Milliarden US-Dollar für Inhalte ausgeben, Apple dem Vernehmen nach eine Milliarde. 

Regisseur Steven Spielberg dreht neu auch für Apple TV+.
Regisseur Steven Spielberg dreht neu auch für Apple TV+.
Screenshot: PD

Apropos: Eine Milliarde Nutzer hat mindestens ein Spiel aus dem App Store heruntergeladen. 300'000 Games gibt es in Apples Angebot. Das neue Abo-Angebot Apple Arcade, das 100 Titel bietet, soll mehr Nutzer dazu bringen, für Spiele zu zahlen. Apple Arcade läuft auf iPhone, iPad, Mac und Apple TV. Der Service ist werbefrei, im Gegensatz zu Google Stadia ist er kein Streaming-Angebot. Apple Arcade soll im Herbst in 150 Ländern verfügbar sein. Einen Preis nannte Apple noch nicht. 



Fünf Milliarden Artikel würden monatlich in Apple News gelesen, wie Tim Cook sagte, damit sei der Dienst der grösste seiner Art. Und das neue digitale Magazin-Angebot mit 300 Titeln namens Apple News+ mit digitalen Ausgaben etwa von «Time», «Vogue», «National Geographic», «Popular Science», «The New Yorker», «Sports Illustrated», «Fortune»?

Nicht schlecht für ein Angebot, das monatlich zehn US-Dollar kostet und für die ganze Familie verfügbar ist, aber angesichts eines weltweiten Überangebotes auch nicht gerade berauschend. Dass Roger Rosner, VP Applications, zunächst von 3000 Titeln sprach, darf man wohl als symbolisch werten. Apple News+ ist ab sofort in den USA und Kanada verfügbar, ab Herbst wird das Angebot in Australien und Grossbritannien an den Start gehen. 

Apple News+ gibt es bisher nur in den USA und Kanada.
Apple News+ gibt es bisher nur in den USA und Kanada.
Bild: PD

Es gibt zwar einige Zeitungsneulinge wie das «Wall Street Journal» und die «Los Angeles Times». Grosse Namen wie die «New York Times» und die «Washington Post» fehlen übrigens auf der Liste. Dass nicht mehr Verlage dabei sind, dürfte auch an den hohen Umsatzanteilen liegen, die sie Apple zahlen müssten.

Davon abgesehen, gibt es seit Jahren Bündelangebote für News und Magazininhalte, zum Beispiel Readly. Der grosse Erfolg ist bisher auch ausgeblieben, weil sie auf Mobilgeräten mit Diensten wie Spotify und Netflix um die Nutzeraufmerksamkeit konkurrieren. Daran dürfte auch Apple nicht viel ändern. Apple News+ mag kuratierte Artikel bieten, die auf den Lesegeschmack des Nutzers zugeschnitten sind. Man kennt handkuratierte Playlists auch von Apple Music. Als Must-Have-Funktion haben sich diese aber bisher nicht erwiesen. 

Warum setzt Apple auf die neuen Dienste? Weil der iPhone-Absatz, wenngleich auf hohem Niveau, schwächelt. Wenn nun manche Kommentatoren von einer Zeitenwende in Cupertino sprechen, dann ist das angesichts der Umsatzverhältnisse noch nicht angebracht: Apples Service-Geschäft mag im abgelaufenen Quartal um 19 Prozent gewachsen sein. Den grössten Umsatz erzielte sicherlich der App Store, denn Apple hat mit diesem das App-Geschäft für Mobilgeräte erfunden.

Es folgen auf den Plätzen: Lizenzgeschäft, Apple Care und Apple Music. Das Unternehmen veröffentlicht die Zahlen nicht einzeln.

2018 erzielte die Sparte einen Erlös von 37,2 Milliarden US-Dollar und legte damit im Vergleich zu 2017 um 24 Prozent zu. Apple will mit Services 2020 rund 48 Milliarden Dollar umsetzen. Zum Vergleich: 2018 erzielte das Unternehmen insgesamt einen Umsatz von 265,6 Milliarden Dollar. 



Apple hat vieles nicht erfunden, aber deutlich besser und schöner gemacht, siehe iPhone. Spät dran zu sein galt also bisher nicht als riskant für das Unternehmen. Doch dieses Mal ist (noch) nicht augenfällig, inwiefern Apples neue Dienste viel besser und schöner als die Konkurrenz sein werden.

Den richtig grossen Wurf hat Apple heute also nicht verkündet. Wie aber sähe der aus? Ein anderer Tech-Gigant gibt die Richtung vor: Amazon Prime nennt sich das Angebot des Web-Versandhändlers. Für umgerechnet 80 Franken im Jahr bekommen Kunden unter anderem kostenfreien Premiumversand für Millionen Artikel, unbegrenztes Streaming von Filmen und Serienepisoden mit Prime Video, unlimitierten Cloud-Speicher für Fotos, Streaming von Millionen Songs mit Prime Music sowie einen E-Book-Verleih.

Apple Prime, wenn man es denn so nennen möchte, böte also zum Beispiel Apple Music, iCloud-Speicher, Film- und Serienstreaming Magazine, Apple TV+, Apple News+ und die neue mit Mastercard und Goldman Sachs ausgegebene und ab Sommer in den USA verfügbare Kreditkarte Apple Card in einem Paket. All das für 200 Franken im Jahr und in allen grossen Ländern der Welt – das wäre der grosse Wurf gewesen, den mancher Branchenbeobachter und Kunde am heutigen Event in Cupertino vermisst haben dürfte.

Symptomatisch übrigens: Wie «Bluewin» weiss, wird das Begleichen von Rechnungen zumindest zum Start nur komfortabel möglich sein, wenn man ein iPhone hat. Ein Web Interface, wie man es von anderen Kreditkarten kennt, ist für die Apple Card zunächst nicht geplant. 

Update 13. August 2019: Es hat sich bestätigt, dass für die komfortable Nutzung einer Apple Card ein iPhone vonnöten ist

Hier können Sie dem Autor auf Twitter folgen – und dort können Sie sich mit ihm auf Linkedin vernetzen.

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite