Vom Musik-Genie zum Neonazi Der tiefe Fall des Kanye West

Von Jan-Niklas Jäger

2.12.2022

«Ich mag Hitler»: Kanye West macht kein Geheimnis aus seinen Nazi-Sympathien.
«Ich mag Hitler»: Kanye West macht kein Geheimnis aus seinen Nazi-Sympathien.
Bild: Evan Agostini / AP / dpa

Mit seinen jüngsten Aussagen hat sich der einst einflussreiche Rapper Kanye West alias «Ye» endgültig ins Abseits befördert. Über den Fall eines Superstars.

Von Jan-Niklas Jäger

2.12.2022

Nachdem Kanye West, der sich nur noch «Ye» nennt, am gestrigen Donnerstag in der Sendung des rechten Verschwörungstheoretikers Alex Jones seine Sympathie für Adolf Hitler erklärt und den Holocaust geleugnet hat, scheint er sich endgültig in der Medien- und Geschäftswelt isoliert zu haben.

Twitter-Chef Elon Musik suspendierte Yes Account, nachdem er diesen erst im November wieder hatte freischalten lassen. Zuvor hatte Ye ein Symbol gepostet, das eine Symbiose aus einem Hakenkreuz und einem Davidstern zeigte.

Auch der konservative Nachrichtendienst Parler, den der Rapper kaufen wollte, erklärte den Deal für gescheitert.

Die Skandale wurden immer grösser

Ye machte schon lange vor seinem Abdriften in rechte Verschwörungstheorien Schlagzeilen aufgrund seines Verhaltens, etwa als er Taylor Swift während einer Dankesrede bei den MTV Video Music Awards 2009 das Mikrofon aus der Hand riss, um zu verkünden, dass Beyoncé den Award verdient hätte.

Doch mit seiner öffentlichen Unterstützung für den damals frisch zum Präsidenten gewählten Donald Trump begann 2016 eine Annäherung an den rechten Rand, die Skandale wie diesen in den Schatten stellt und jetzt einen neuen Höhepunkt gefunden hat.

Welche Rolle spielt Yes psychische Gesundheit?

Der mentale Gesundheitszustand Yes verkompliziert den Sachverhalt zusätzlich, denn er leidet unter einer bipolaren Störung, wie seine damalige Frau Kim Kardashian öffentlich machte.

Kanye West besuchte 2016 den frisch gewählten Donald Trump in seinem Trump Tower in Manhattan. (Archivbild)
Kanye West besuchte 2016 den frisch gewählten Donald Trump in seinem Trump Tower in Manhattan. (Archivbild)
Bild: John Taggart / BLOOMBERG POOL / epa / dpa

«Hasserfüllte Worte und Verhalten sind verletzend und unangemessen, ob sie von jemandem mit oder ohne psychischer Krankheit kommen», schreibt die Psychologin Allison Young von der Gesundheitswebsite «Everyday Health». «Aber wenn jemand einen akuten Schub einer psychischen Erkrankung hat, ist es auch problematisch, nicht anzuerkennen, dass der Zustand dieser Person einen Beitrag zu ihrem Verhalten leistet.»

Isha Metzger, Psychologie-Professorin an der University of Georgia, sagte im Interview mit der «Washington Post»: «Rassismus an sich ist keine psychische Erkrankung.» Deswegen sei eine Diagnose auch keine Entschuldigung. «Diese Ansichten sind kein Symptom einer bipolaren Störung. Aber das Aussetzen eines inneren Filters kann dazu führen, dass sie ausgesprochen werden.»

Cyberbullying und Antisemitismus

Bereits vor seinen antisemitischen Ausfällen hatte Ye mit seinem Verhalten zahlreiche negative Reaktionen provoziert.

So nutzte er seine Accounts in den sozialen Medien zum Cyberbullying von Pete Davidson, dem Komiker, mit dem seine Ex-Frau Kim Kardashian bis August 2022 liiert war. Zuletzt nutzte er seine Plattform hauptsächlich für die Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien.

Wie tief der Stern des Musikers gefallen ist, lässt sich kaum in Worte fassen. Es ist nicht lange her, da gab es kaum andere Musiker*innen, die so stark simultan von der Musikkritik und einem Massenpublikum gepriesen wurden. Anfang des vergangenen Jahrzehnts war er der vielleicht grösste Star der Musikbranche.

Künstlerische Triumphe

Sein 2010 erschienenes Album My Beautiful Dark Twisted Fantasy gilt als Meilenstein. Der «Rolling Stone» ernannte es 2019 zum besten Album des Jahrzehnts. In einer Liste der besten Alben aller Zeiten, die das Magazin 2020 veröffentlichte, erreichte es den 17. Platz. 2015 arbeitete er mit Rihanna und Paul McCartney auf dem Song «FourFiveSeconds» zusammen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Stars dieser Grösse je wieder in seine Nähe begeben werden.

Obwohl er als Rapper bekannt ist, übte Ye seinen grossen musikalischen Einfluss vor allem durch seine innovativen Produktionen aus. Noch vor seinem eigenen Debütalbum The College Dropout aus dem Jahr 2004 produzierte er die Musik von Künstler*innen wie Jay-Z, Janet Jackson und Alicia Keys.

2008 half er mit dem Album 808s & Heartbreak, die Gesangssoftware Autotune neu zu erfinden, indem er sie als Effektgerät nutzte, um seine Stimme hörbar zu manipulieren, statt sie heimlich zur Korrektur von gesanglichen Unreinheiten zu verwenden, wie es von den Erfindern der Software vorgesehen war.

Mit My Beautiful Dark Twisted Fantasy leitete er die von bombastischeren Produktionen geprägten 10er-Jahre ein, eine Dekade, deren Popmusik sonst vermutlich eine andere Stossrichtung genommen hätte.

Vom Bush-Kritiker zum Hitler-Versteher

Als Person des öffentlichen Lebens war Ye lange vor seiner Umbenennung bereits für Skandale bekannt. Doch wenn diese einen politischen Hintergrund hatten, waren sie zumeist antirassistisch motiviert.

So nutzte er eine Spendengala für die Opfer des Hurrikans Katrina im Jahr 2005, um die Medien dafür zu kritisieren, Berichte über Plünderungen im Rahmen der Katastrophe ausschliesslich mit Bildern von schwarzen Plünderer*innen zu untermahlen.

West beendete seine Ansprache mit den Worten «George Bush sind schwarze Menschen völlig egal». 2013 erklärte Bush diesen Moment zum Tiefpunkt seiner Präsidentschaft.

Geld für Clinton, Support für Trump

Die «Huffington Post» illustrierte einen retrospektiven Artikel über den Vorfall noch im Jahr 2015 mit einer Zeichnung, die den Rapper in einem «Black Lives Matter»-Shirt porträtierte. Zu diesem Zeitpunkt galt West noch als exzentrisches Genie und Ikone für das schwarze Amerika.

Anfang Oktober dieses Jahres hingegen präsentierte er sich auf der Pariser Fashion-Week zusammen mit der Rechtsaussen-Journalistin Candace Owens in Pullis mit der Aufschrift «White Lives Matter».

Bei der Paris Fashion Week provozierten Ye (r.) und die rechtskonservative Journalistin Candace Owens mit dem Schriftzug «White Lives Matter», einer Abwandlung des Slogans «Black Lives Matter», der sich gegen rassistische Polizeigewalt wendet.
Bei der Paris Fashion Week provozierten Ye (r.) und die rechtskonservative Journalistin Candace Owens mit dem Schriftzug «White Lives Matter», einer Abwandlung des Slogans «Black Lives Matter», der sich gegen rassistische Polizeigewalt wendet.
Bild: Twitter

Bei der Präsidentschaftswahl 2016 spendete er zwar Geld für Hillary Clintons Kampagne, verkündete aber kurz nach der Wahl, dass er, wenn er denn gewählt hätte, Donald Trump bevorzugt hätte.

Er besuchte Trump kurz nach seiner Wahl in dessen Trump Tower in New York und bezeichnete ihn als «Geistesverwandten». 2018 begann er damit, sich in der roten «Make America Great Again»-Mütze zu zeigen, die Trump während seines Wahlkampfs popularisiert hatte.

Ye hat sich endgültig isoliert

Nun scheint die Entwicklung zur Persona non grata vollzogen. Selbst konservativen Hardlinern dürfte es schwerfallen, Yes Aussagen weiter zu tragen. Sogar Alex Jones, selbst ein antisemitischer Verschwörungstheoretiker, versuchte, sich während seines Interviews mit Ye von dessen Sympathiebekundungen für Adolf Hitler abzugrenzen.

Der einst als musikalisches Genie gefeierte Künstler Kanye West hat sich zum isolierten Neonazi und Verschwörungstheoretiker Ye gewandelt. Der Fall seines Sterns dürfte einer der tiefsten in der Geschichte der Popkultur sein.

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