Ausgetalkt Roger Schawinski: «Jetzt bin ich ganz offiziell alt»

Von Lukas Rüttimann

23.3.2020

Roger Schawinskis Talk läuft heute zum letzten Mal.
Roger Schawinskis Talk läuft heute zum letzten Mal.
SRF/Oscar Alessio

Heute Nacht sitzt Roger Schawinski zum letzten Mal vor dem Mikrofon seiner SRF-Talkshow. Im Gespräch mit «Bluewin» blickt der Medienpionier zurück auf fast zehn Jahre «Schawinski» – und spart dabei nicht mit Kritik an der SRF-Führung.

Herr Schawinski, gern würden wir mit etwas anderem beginnen. Dennoch: Wie gehen Sie mit der aktuellen Situation rund um das Coronavirus um?

Das ist eine Situation, wie sie niemand erwartet hat. Und da ich mit 74 Jahren ohne Wenn und Aber zur Risikogruppe gehöre, bin ich nun ganz offiziell alt. Damit muss ich mich abfinden, obwohl ich in der Vergangenheit stets versucht habe, dieses Thema auf die Seite zu schieben. Das bedeutet auch, dass ich mich entsprechend verhalten muss und aktuell nicht im Studio herumturne, wie ich das als Journalist sonst machen würde.

Sie bleiben in diesen Tagen also zu Hause.

Ja, aber ich habe mir hier ein Studio einrichten lassen. So kann ich auch von zu Hause aus Sendungen machen.

Hat die Situation Auswirkungen auf die letzte ‹Schawinski›-Ausgabe von heute Nacht?

Offenbar nicht, die Planung läuft, so weit ich weiss, normal weiter. Ich hatte bei meiner letzten Sendung mit Christoph Blocher ja diese Idee mit der Glasscheibe, die andere Sender inzwischen übernommen haben. Das ist eine Vorsichtsmassnahme, die sicher auch wieder zum Tragen kommt. Zudem werde ich bei diesem einen Gang ins SRF-Studio ganz sicher alle Vorschriften beachten und mich entsprechend verhalten.

Wie sehr wurmt es Sie, dass Sie keine Ahnung haben, wer oder was Sie heute in der Sendung erwartet?

Das wurmt mich überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich finde es faszinierend. Es sollen offenbar vier Gäste sein, die nacheinander zu mir ins Studio kommen. Ich freue mich auf eine logistisch eher schwierige, aber bestimmt sehr spannende Sendung.

Für Ihre letzten Sendungen gab es auffallend viel positives Feedback. Eine Genugtuung für Sie?

Ja klar, das freut einen. Viele Leute bedauern es, dass es diese Form der Sendung mit mir nicht mehr geben wird. Es herrscht auch ein grosses Unverständnis über diesen Entscheid, das muss ich so sagen.

Wird ‹Schawinski› erst richtig vermisst, wenn es nicht mehr da ist?

Vielleicht spielt das auch mit rein, das ist durchaus möglich. Aber wenn man beispielsweise meinen Talk zur Corona-Krise mit Christoph Blocher vom letzten Montag mit anderen Sendungen vergleicht, sieht man unseren völlig unterschiedlichen Ansatz. Ich denke, ich konnte mit meiner Sendung immer einen Mehrwert an Erkenntnis schaffen, und das wird von vielen Zuschauern entsprechend geschätzt.

Gleichzeitig waren die Reaktionen auf ‹Schawinski› über Jahre geprägt von einem erstaunlichen Mass an Gehässigkeiten. Wie erklären Sie sich das?

Es gibt eine aktive Online-Meute, die sich auf alles stürzt, das aus meiner Ecke kommt. Vor allem seit der Sendung mit Andreas Thiel hatten viele das Gefühl, alles von mir runtermachen zu müssen. Diese Leute haben sich im Internet virulent verbreitet und für eine gewisse Deutungshoheit gesorgt. Ich denke aber nicht, dass diese Stimmen ein adäquates Bild darüber abgeben, wie meine Sendung vom Publikum empfunden wurde.

Wie nahe haben Sie das an sich herangelassen?

Am Anfang sehr nahe, das gebe ich zu. Mit der Zeit aber habe ich die Mechanismen hinter dieser Stimmungsmache verstanden und beispielsweise gemerkt, dass es oft Leute mit gewissen ortografischen Mängeln sind, die sich da auslassen. Menschen, die einen Satz korrekt formulieren und schreiben können, haben sich hingegen eher weniger an dieser Art von Kritik beteiligt.

In den 80er- und 90er-Jahren waren Sie ein Pionier, für einige sogar ein Held. Irgendwann wurden Sie zur Reizfigur. Weshalb?

Viele Leute können wahrscheinlich nicht damit umgehen, dass ich immer noch hier bin. Das gilt vor allem für solche, die ein paar Jahre jünger sind und vielleicht von ihrem Chef mal unschön abserviert wurden. Die haben mit mir ein passendes Ziel gefunden, um ihren Frust abzulassen. Logisch bin ich in meinem Alter in vielen Bereichen der Älteste. Das halten viele nicht aus. Wenn man zum Beispiel in Online-Medien mal auf die Kommentare schaut, heisst es oft: ‹Ich schaue Sie seit vielen Jahren nicht mehr, aber ...› und dann lassen sie los. Deshalb kann ich vieles aus dieser Ecke nicht ernst nehmen.

Das 1-1-Gespräch, wie Sie ihn mit ‹Schawinski› machen, gilt als Königsdisziplin bei Talkshows. Welche Note würden Sie sich selbst geben?

Im Gegensatz zu Donald Trump gebe ich mir selber keine Noten. Das sollen andere machen.

Haben Sie persönliche High- und Lowlights?

Das würde hier zu weit führen. Was ich sagen kann: Jede Sendung war eine Premiere. Jede Sendung war ein Risiko, ein Akt auf dem Hochseil. Ich hatte viele Gäste, die der Sendung nicht nur Quote, sondern auch Relevanz und Prestige verliehen haben. Wir waren auch sehr oft sehr aktuell. Die Mischung aus Relevanz, Quote und Prestige hat diese Sendung ausgemacht. Deshalb war sie auch trotz des äusserst schwierigen Sendeplatzes sehr erfolgreich. Das lässt sich auch an den Streaming-Zahlen festmachen. Doch Zahlen allein sind nicht das einzige Kriterium. Schon als Senderchef von Sat 1 wusste ich: Es gibt auch Sendungen, die imagebildend und darum enorm wichtig sind. Aber offenbar sieht man das in der aktuellen SRF-Führungsetage anders.

Welche Sendungen waren am erfolgreichsten?

Quotenmässig? Roger Köppel am Tag, als Nationalbankchef Philipp Hildebrand zurücktrat. Und dahinter die Sendung vom letzten Montag mit Christoph Blocher.



Ending on a high note, könnte man sagen.

Ich hatte vielfach den richtigen Gast zur richtigen Zeit. Aber ich sage oft scherzhaft: Ein guter Journalist sieht die Geschichte, bevor sie passiert. Bei Blocher war ich einen Monat vorher dran. Natürlich wusste ich nicht, dass am Sendetag der Notstand ausgerufen wird und ich den wichtigsten Politiker des Landes in der Sendung haben werde. Oft hatte ich Gäste, die zum Zeitpunkt der Sendung sehr aktuell waren. Das hat mich jedes Mal gefreut.

Sie machen kein Geheimnis daraus, dass Sie mit Ihrer Absetzung nicht glücklich sind.

Der Entscheid ist gefallen. Und klar: Jeder Senderchef muss ab und zu solche Massnahmen ergreifen; das war bei mir und Sat. 1 nicht anders. Aber man muss immer eine glaubwürdige Begründung liefern können. Das ist bei SRF nicht der Fall. Die Erklärung, ich sei aus Kostengründen abgesetzt worden, ist schlicht und einfach nicht zutreffend. Ich glaube, es ist nicht gut für die Glaubwürdigkeit der SRG, wenn sie solche irreführenden Statements rauslässt.

Sind Sie ein Vertreter einer journalistischen Spezies, die man nicht mehr will?

Nein, das glaube ich nicht. Es gibt nach wie vor viele gute Leute, die einen ähnlichen Ansatz haben wie ich. Aber man muss diese auch machen lassen und sie stützen, wenns hart auf hart geht. Schauen Sie mal ins Ausland: Ein Armin Wolf vom ORF oder eine Caren Miosga bei der ARD – die lösen auch mal Zoff aus bei wichtigen Politikern. Diese Funktion muss man doch auch beim SRF wahrnehmen! Aber da sehe ich den Willen aktuell nicht vorhanden. Davon zeugen auch die Aussagen von Nathalie Wappler, sie wolle keinen Meinungsjournalismus – und damit keinen kritischen Journalismus – mehr.

Sie veröffentlichen demnächst ein neues Buch: ‹Die Schawinski-Methode›.

Na ja, da hat mir Corona einen ziemlichen Strich durch die Rechnung gemacht. Einen vergleichsweisen kleinen, aber dennoch ... das Buch hätte letzten Dienstag erscheinen sollen. Das von mir nicht kontrollierbare Timing hat nicht wirklich optimal funktioniert. (lacht) Ich nehme das aber mit einem Lächeln hin, es gibt Wichtigeres in diesen Tagen.

Sie formulieren im Buch 15 persönliche Rezepte für den Erfolg. Verraten Sie uns eines, das gerade jetzt besonders relevant ist?

Wenn du nur ein Prozent Chance hast, etwas zu schaffen, dass solltest du das versuchen – und nicht den Kopf in den Sand stecken und dich darüber beklagen, wie schwierig, unwahrscheinlich oder unangenehm es sein könnte. Bei Widerständen ist man als Chef oder Vorbild jeglicher Art gefordert, dieses eine Prozent zu finden. Gerade in der heutigen Zeit sind wir aufgefordert, Dinge möglichst fachgerecht und dennoch leidenschaftlich anzugehen, damit wir auch diese Phase gut überstehen.

Letzte Frage: Der wohl meistgenannte Vorwurf an ‹Schawinski› war, dass Sie Ihre Gäste nicht ausreden lassen. Können Sie das nachvollziehen?

Erstens stimmt das gar nicht mehr, das war vielleicht früher so. Und zweitens will ich immer ein gewisses Tempo. Wenn man die Leute reden lässt, schläft das Publikum in einer Talkshow kurz vor Mitternacht ein. Logisch mache ich das anders als andere. Aber das hat mich und die Sendung auch ausgemacht. Ausserdem habe ich meine Gäste immer gewarnt. Auch Christoph Blocher sagte ich letzten Montag, dass er hier nicht seine Albisgüetli-Ansprache halten müsse. Es war bei ‹Schawinski› immer ein Dialog, und wie ich finde – in den meisten Fällen ein durchaus spannender.

Zum Buch: Roger Schawinski «Die Schawinski-Methode» bei NZZ Libro.

«Schawinski» läuft am Montag, 23. März, um 22:55 Uhr auf SRF1. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

Schawinski und seine Talk-Gäste.

Zurück zur Startseite